Und es gibt doch ein Geheimgremium zum ESM!
Es gibt nämlich doch ein Geheimgremium! Das hat der Bundestag jetzt ohne viel Aufhebens eingesetzt. Es besteht aus neun Mitgliedern und neun Stellvertretern aller im Bundestag vertretenden Parteien. Für die Union sind Norbert Barthle, Bartholomäus Kalb, Eckhardt Rehberg und Michael Stübgen dabei, die SPD entsendet Lothar Binding und Petra Merkel, die FDP schickt Florian Toncar, aus der Linken macht Dietmar Bartsch mit, und Priska Hintz vertritt die Grünen.
Diese Neun können ganz im Geheimen über milliardenschwere Aufkäufe von Staatsanleihen in Not geratener Euro-Staaten am sogenannten Sekundärmarkt entscheiden. Das heißt, sie kaufen nicht unmittelbar beim griechischen, spanischen portugiesischen oder italienischen Staat, sondern erteilen den Auftrag zum Kauf von älteren Anleihen, die Investoren abstoßen wollen. Auf diese Weise verwandeln sich die dem Wähler verpflichteten Abgeordneten in Investmentbanker.
Wer sich nun verwundert die Augen reibt und rätselt, wie das angesichts des Karlsruher Urteils vom 28. Februar möglich ist, dem sei gesagt, er hat, wie so viele andere auch, schlicht die Ausführungen des Gerichts und die darauf folgende Berichterstattung in den Medien nicht gründlich genug gelesen.
Denn in einem winzigen, vierzeiligen Absatz teilte das Gericht mit: „Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Regelung des § 3 Abs. 3 StabMechG nur insoweit, als sie dem Sondergremium Entscheidungskompetenzen für den Fall des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EFSF am sog. Sekundärmarkt verleiht.“
Solche politisch motivierten Sekundärmarktkäufe hat es seit Ausbruch der Finanzkrise schon zuhauf gegeben. Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hatte die Europäische Zentralbank (EZB) heftig für den Ankauf von Anleihen am Sekundärmarkt kritisiert, weil sie auf diese Weise das Verbot des Anleihekaufs direkt von den Staaten umgehe.
Außerdem hat sich die EZB nach Einschätzung von Finanzmarkt-Experten auf diese Weise viele faule Eier ins Nest geholt. „Die EZB-Erfahrung ist katastrophal“, sagt Achim Dübel von Finpolconsult in Berlin. Denn die EZB habe die Fundamentalwerte der Papiere nicht analysiert und letztlich viel zu teuer gekauft. Nun müssen die Bundestagsabgeordneten solchen Entscheidungen abwägen. „Es ist fraglich, ob Politiker die Kaufentscheidungen des ESM bei Spanien oder Italien nicht ebenso sachfremd treffen, wie die EZB bei Griechenland“, sagt Dübel.
Solche Sorgen plagen die Politiker offenbar nicht. „Wir berücksichtigen dabei natürlich auch Empfehlungen von Experten“, sagt der Unions-Politiker Norbert Barthle. Außerdem werte er seinen Auftrag als wichtigen Beitrag zur parlamentarischen Demokratie. „Wir schützen den Steuerzahler vor Verlusten. Müssten wir nämlich eine Woche vorher im Bundestag den Ankauf ankündigen, würden sofort die Preise steigen“, sagt Barthle.
Aus genau diesem Grund hat übrigens auch das Verfassungsgericht die Geheimtätigkeit der Abgeordneten in diesem Fall für zulässig erklärt. Das jetzt eingesetzte Gremium gilt zwar nur für den EFSF, aber die Fraktionen arbeiten bereits an einem Gesetz, das, so Barthle, „die parlamentarischen Mitwirkungsrechte beim ESM regelt“.
Das Gesetz soll bis zum 29. Juni stehen, also bis zu jenem Tag, an dem der Bundestag den ESM und den Fiskalpakt ratifizieren will. Barthle meint, am Ende werde man wohl einfach das bestehende Gremium auf den ESM übertragen.
Günther Lachmann am 22 Juni 2012 für Welt Online