Der ESM hat mit Europa angeblich nichts zu tun

Hier geht's zum GesetzentwurfIn der Bewertung der europäischen Finanzkrise und den Milliarden schweren Hilfszahlungen für überschuldete Staaten gibt es tief greifende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Stellungnahme der Bundesregierung auf die Beschlüsse des Bundesrates vom 11. Mai 2012 hervor. In der „elektronischen Vorabfassung“ vom 16. Mai 2012 erteilt die Regierung den Forderungen der Länder nach weitgehenden Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrechten im Sinne des Grundgesetzes beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) eine schroffe Absage. Damit entbrennt zwischen den Ländern und dem Bund ein Konflikt über die Aufgabe demokratischer Rechte des Nationalstaates zugunsten einer mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten neuen europäischen Finanzbehörde.

Die Bundesländer betrachten den ESM als ein Vorhaben der Europäischen Union und wollen ihn innenpolitisch auch als ein solches bewertet wissen. Demnach fiele der zwischen den 17 Euro-Staaten zu schließende ESM-Vertrag unter Artikel 23 des Grundgesetzes.

Darin ist die Mitwirkung der Bundesrepublik an der Entwicklung der Europäischen Union geregelt. Wörtlich heißt es in Artikel 23, Absatz 2: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung  hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“

In seiner Stellungnahme vom 11. Mai kritisiert der Bundesrat das Vorgehen der Bundesregierung in wesentlichen Punkten. So bemängeln die Länder, dass „wesentliche Aspekte zur Umsetzung des Fiskalpaktes“, der die Einführung einer europäischen Schuldenbremse vorsieht, noch nicht bekannt seien. Gleichzeitig fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, die in Artikel 23 verbrieften Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte der Länder auch beim ESM einzuräumen.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=d6JKlbbvcu0&w=560&h=315]Die sich aus Artikel 23 ergebende Rechte seien „im weiteren Verfahren zu beachten“, schreiben die Länder. Daraus folgern sie: „Zukünftige Änderungen des ESM-Vertrages wie auch die Nutzung der vertragsimmanenten Änderungsklauseln zum Stammkapital des ESM und zu den Arten der Finanzhilfeinstrumente bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“

In der Ziffer 9 seiner Stellungnahme erläutern die Länder dann, wie sie sich das weitere Vorgehen konkret vorstellen. Sie seien der Auffassung, dass der ESM-Vertrag nur unter Wahrung der „Mitwirkungsrechte aus Artikel 23 des Grundgesetzes und den entsprechenden Zusammenarbeitsgesetzen in EU-Angelegenheiten“ vollzogen werden könne. Der Bundesrat fordert unmissverständlich „eine umfassende und fortlaufende Unterrichtung zum jeweils frühestmöglichen Zeitpunkt über die beabsichtigten Entscheidungen des ESM (z.B. Gewährung von Finanzhilfen) und die Entwicklung in den unterstützten Staaten, damit der Bundesrat hierzu im Einzelfall Stellung nehmen kann. Der Bundesrat fordert eine gesetzliche Regelung dieses Informationsrechtes.“

Darüber hinaus müsse die Bundesregierung mögliche Einwände und Stellungnahmen der Länder im Zusammenhang mit den über den ESM abgewickelten Hilfszahlungen an Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien berücksichtigen. Damit die „Interessen des Steuerzahlers im Hinblick auf den Staatshaushalt gewahrt bleiben“ verlangt der Bundesrat eine Vetorecht, mit dem er Einfluss auf die Abstimmungen der Finanzminister der Euroländer im ESM-Gouverneursrat nehmen kann. „Die Bundesregierung ist verpflichtet, eine Abweichung von einer Stellungnahme des Bundesrates zu begründen. Das soll nach Möglichkeit vor einer Beschlussfassung im Gouverneursrat des ESM geschehen“, verlangen die Länder.

Mit all dem ist die Bundesregierung ganz und gar nicht einverstanden. „Die Bundesregierung teilt diese Ansicht nicht“, schreibt sie in ihrer Antwort auf alle genannten Kritikpunkte der Bundesländer. Anders als von den Ländern behauptet, sei der ESM, also der neuen Finanzbehörde der Euro-Staaten, keineswegs ein europäisches Vorhaben. „Beim ESM handelt es sich (…)  um einen völkerrechtlichen Vertrag, der bewusst außerhalb der EU konzipiert wurde“, schreibt die Regierung. „Für die Anwendung des Artikels 23 des Grundgesetzes besteht schon deswegen keine Grundlage.“

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=K_6oKbvNpDI&w=560&h=315]Das heißt, eine Mitbestimmung der Länder, wie sie bis heute in allen anderen Fällen bei der Gestaltung Europas durch Artikel 23 Grundgesetz garantiert ist, soll es beim ESM-Vertrag nach dem Willen der Regierung nicht geben. „Der ESM ist in diesem Sinne kein europäisches Projekt, da er nur die 17 Staaten der Euro-Zone betrifft“, begründet ein Sprecher des Finanzministeriums die Haltung der Bundesregierung auf Anfrage von „Welt Online“.

In ihrer Ablehnung einer Mitbestimmung des Bundesrates beim ESM bezieht die Bundesregierung ausdrücklich auch die Fraktionen des Bundestages mit ein. „In Absprache mit den Fraktionen hat die Bundesregierung in ihren Gesetzentwurf keinen Vorschlag für die parlamentarischen Beteiligungsrechte aufgenommen“, schreibt die Regierung. Es sei ausreichend und „sachgerecht“, den Bundesrat schriftlich zu unterrichten und Einzelheiten in einer Bund-Länder-Vereinbarung zu regeln.

Ausdrücklich schließt die Bundesregierung auch eine Kontrolle der Arbeit des ESM durch die Bundesländer aus. „Eine im ESM-Finanzierungsgesetz aufzunehmende und über die Unterrichtung hinausgehende Pflicht der Bundesregierung, Stellungnahmen des Bundesrates zu berücksichtigen und eine Abweichung von der Stellungnahme zu begründen, lehnt die Bundesregierung ab, da Länderinteressen in Angelegenheiten des ESM nicht betroffen sind.“

Die entsprechende Forderung des Bundesrates sei inakzeptabel, sagte der Ministeriumssprecher gegenüber „Welt Online“, schließlich könnten die Länder auch nicht bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes mitreden. Dies sei rechtlich nicht vorgesehen.

Der ESM wird mit einem Kapital von 700 Milliarden Euro ausgestattet. Er soll künftig schnell und unbürokratisch Milliardenhilfen für überschuldete Länder bereitstellen. Inzwischen wird auch daran gedacht, dass der ESM Banken in Krisenstaaten wie etwa Spanien retten soll.

Günther Lachmann am 30. Mai 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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