Gabriels Vertrauenskrise
Es klang schon fast neutestamentarisch, wie Vize-Kanzler Gabriel in der BND-Affäre Angela Merkel ans Kreuz nageln wollte. Aber wozu das Ganze? Die Linke traut ihm nun nicht mehr.
Es kommt selten vor, dass Gregor Gysi irgendetwas die Sprache verschlägt. Doch vor kurzem soll Vize-Kanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel das Kunststück gelungen sein. Jedenfalls wird es so auf den Fluren der Linksfraktion im Bundestag kolportiert. „Könnte sein, dass ihr bald springen müsst“, soll Gabriel dem erstaunten Oppositionsführer im Vorbeigehen zugeraunt haben.
Es ist eines dieser Gerüchte aus dem grauen politischen Alltag, deren Wahrheitsgehalt wenigstens unbestimmt, ihr Potenzial zur Legende aber im Zweifel groß ist. Nämlich dann, wenn die SPD nun im Streit über den BND/NSA-Skandal die Koalition mit der CDU tatsächlich aufkündigte.
Irreparabler Schaden
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Denn dann hätte Gabriel nämlich kalkuliert das Vertrauen der Kanzlerin gebrochen. Zweimal habe er Angela Merkel gefragt, ob der Bundesnachrichtendienst (BND) im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes NSA Wirtschaftsspionage betrieben habe, hatte Gabriel dieser Tage gesagt. Zweimal habe Merkel verneint. Mit seinen Worten suggerierte der Vize-Kanzler zum einen, dass er Merkels erster Antwort nicht traute. Zum anderen schuf er eine Situation, in der Merkel, sollten neue Informationen das hergeben, Merkel öffentlich der Lüge bezichtigt werden kann.
„Was er da gemacht hat, ist irreparabel“, urteilen die meisten in der Fraktion der Linken. Will heißen, bei Merkel hat Gabriel verspielt. So etwas verzeiht sie ihm nicht. Aber warum macht er dann so etwas mitten in der Legislaturperiode? Weil er die Koalition beenden und sich von Linken und Grünen zum Kanzler wählen lassen will?
„Weil die SPD aus ihrem 25-Prozent-Dilemma nicht herauskommt“, sagt Fraktionsvize Sahra Wagenknecht. Gabriel sei schwer unter Druck. Die Erwartungen der SPD, sie könne an der Seite der Union wieder an Zustimmung gewinnen, hätten sich nicht erfüllt. Und weil die Sozialdemokraten inhaltlich nichts zu bieten hätten, sei Gabriel wohl die Idee gekommen, sich in der BND-Affäre von Merkel zu distanzieren und eigene Akzente zu setzen.
Wozu das Ganze?
Andere führen die Aktion auf Gabriels Empfindsamkeit zurück. In letzter Zeit habe sich der Vize-Kanzler öffentlich viel Kritik gefallen lassen müssen. Damit aber könne er nicht gut umgehen und habe sozusagen aus einer Laune heraus Merkel eins auswischen wollen. Mit dem Ergebnis seines Handelns wiederum habe er nicht im Geringsten gerechnet. Und mit Vertrauensbrüchen biete er sich schon mal gar nicht als Kanzler an. Glücklich sind die Linken über diesen Koalitionskrach jedenfalls nicht, so gerne sie selbst Merkel für die US-Spionage in die Pflicht nähmen.
Und so gern auch die Episode um die angeblich Gabriel-Bemerkung gegenüber Gysi zum besten gegeben wird, an einen Koalitionsbruch glaubt in der Linken niemand. „Die machen durch bis 2017“, heißt es. Und: „Im Übrigen bekäme Gabriel wohl nicht einmal genügend Stimmen von Linken und Grünen.“ Erstens sind sie inhaltlich in Fragen der Russlandpolitik oder auch beim Freiheihandeslabkommen TTIP weit auseinander. Außerdem: Wer paktiert schon gern mit jemandem, der öffentlich beweist, dass auf ihn kein Verlass ist? So lässt der Vorstoß des Vizekanzlers die Linke einfach nur verstört zurück: Wozu das Ganze?
Die SPD hätte besser daran getan, die Affäre inhaltlich weiter aufzuklären, sagt Wagenknecht: „Denn die Antworten auf unsere parlamentarischen Anfragen in der Sache waren im Grunde genommen offene Lügen. Und die ganze Informationspolitik auch gegenüber den Parlamentarischen Kontrollgremium ist davon gekennzeichnet, dass man versucht, Aufklärung zu verhindern.“ Dazu zähle auch Merkels Ankündigung, eine mutmaßliche Liste von NSA-Suchanfragen an den BND erst nach Beratungen mit der US-Regierung vorlegen zu wollen.
Aufklärung kaum möglich
„Wenn es sich um Straftaten handelt, dann sollen die Amerikaner darüber entscheiden, ob man uns Beweismittel zur Verfügung stellt?“, fragte der Linken-Abgeordnete und Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn. „Das kann ja wohl nicht sein.“ Sollten die Unterlagen nicht vorgelegt werden, würden die Oppositionsfraktionen beim Bundesverfassungsgericht klagen. „Wenn man die Unterlagen nicht herausgibt, dann ist eine Aufklärung kaum möglich“, sagte er.
Zuvor hatte Linke-Chef Bernd Riexinger angekündigt, seine Partei wolle sämtliche in den vergangen Jahren für die Geheimdienstkontrolle zuständigen Kanzleramtsminister unter Eid befragen lassen. Das betrifft neben dem früheren Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) auch sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) sowie seine Nachfolger Ronald Pofalla und Peter Altmaier (beide CDU).