Ein Video enthüllt die verborgene Seite der Euro-Rettung
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=KrUu0SqKDMU&feature=email&email=comment_reply_received]Dieser Artikel entstand durch den Hinweis eines Lesers dieses Blogs. Er machte mich auf ein Video zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aufmerksam und fragte, warum er solche Informationen nicht in den etablierten Medien finde. Ich versprach, mich darum zu kümmern. In dem Video wird der von den Euro-Staaten im Frühjahr niedergeschriebene Vertragsentwurf auseinandergenommen. Interessant daran ist zweierlei. Zum einen sind die hier genannten Fakten in Deutschland öffentlich bislang nicht debattiert worden, obwohl der Vertragsentwurf den Fraktionen bereits seit Mai vorliegt. Zum anderen mögen sich die Volksvertreter nicht direkt zu den im Video thematisierten Sachverhalten äußern.
Zum Hintergrund: Der ESM soll ab 2013 den vorläufigen Mechanismus zur Rettung des Euro (EFSF) ablösen, den der Bundestag in diesem Monat beschließen will. Der ESM soll im Dezember verabschiedet werden.
In dem Video werden folgende Punkte aus dem vorläufigen ESM-Vertragsentwurf behandelt:
– Der ESM soll ein Grundkapital von 700 Milliarden Euro bekommen. Das ist doppelt so viel wie der gesamte Bundeshaushalt dieses Jahres.
– Die ESM-Mitglieder sagen „unwiderruflich und bedingungslos zu“ einer Zahlungsanforderungen „binnen 7 (sieben) Tagen“ nachzukommen.
– Der Gouverneursrat kann eine Änderung des Grundkapitals beschließen.
– Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen umfassende gerichtliche Immunität.
– Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind „von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Entziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme, Wegnahme oder Zwangsvollstreckung durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzesweg befreit“.
Für „Welt Online“ konfrontierte ich alle im Bundestag vertretenen Parteien mit dem von „Abgeordneten-check.de“ produzierten Video und bat um eine kurze Bewertung der in dem Video aufgezeigten Punkte abzugeben. Die SPD teilte mit, sie sehe „von einem Kommentar zu diesem Video ab“. Sie begründete dies mit der aus ihrer Sicht „unseriösen Kampagne“ gegen den Euro, die von „einem einzelnen Betreiber verschiedener Internetseiten – auf denen unter anderem dieses Video zu finden ist – geführt wird“. Die SPD-Fraktion verwies „für weitere Informationen zur Euro-Politik“ auf ihre Internethompage. Im Übrigen werde der ESM-Vertrag gegenwärtig neu verhandelt, somit seien die Aussagen im Video ohnehin veraltet und unwahr.
Was CDU/CSU sagen
In seiner Stellungnahme für „Welt Online“ schrieb der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Klaus-Peter Flosbach: „Das Video ist viel zu einseitig ausgerichtet, um die Nutzer gut zu informieren. Es vertieft nur die Verunsicherung der Wähler. Wichtige Fragen, die für die Funktionsfähigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus von zentraler Bedeutung sind, werden ausgeklammert. Es wird zum Beispiel nicht auf die besonders hohen Hürden hingewiesen, unter denen finanzielle Unterstützung überhaupt gewährt werden kann. Außerdem fehlen Hinweise zur Privatsektorbeteiligung oder dass Deutschland bei allen Maßnahmen ein Vetorecht hat. Das Video ist aber ein Beispiel für das große Informationsbedürfnis der Wähler. Wir müssen dem Wähler besser erklären, warum wir diesen Weg bei der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise eingeschlagen haben.“
Die Grünen
Die Grünen-Fraktion teilte mit, sie habe sich bereits auf ihrer Klausurtagung in der vergangenen Woche „sehr intensiv mit der in dem Video angesprochenen Problematik beschäftigt“ und dazu einen Beschluss gefasst. Darin werde unter anderem folgendes ausgeführt:
„Trotz Verbesserungsbedarf ist der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ein sinnvolles Instrument. Deshalb unterstützen wir ihn. Der ESM muss schnell funktionsfähig und glaubwürdig sein. Nur so wird er zur Beruhigung der Finanzmärkte und als Prävention gegen marktgetriebene Schuldenkrisen dienen können. Gleichzeitig müssen die Rechte des Haushaltsgesetzgebers und die vom Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil auferlegte Integrationsverantwortung des Deutschen Bundestages gewahrt werden. Daher ist für uns eine weitreichende Beteiligung des Deutschen Bundestages wichtig.“
Die bereits bestehenden Gesetze über die Mitwirkung und Beteiligung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der EU (EUZBBG und IntVG) müssten als Vorbild für die künftige Parlamentsbeteiligung beim ESM herangezogen werden, sagen die Grünen und fordern:
– „Art und Höhe der deutschen Beiträge sowie die Instrumente werden durch Gesetz bestimmt und können nur nach einem Änderungsgesetz verändert werden.
– Ebenso soll der Bundestag zustimmen, wenn weitere Länder unter den dauerhaften Rettungsschirm genommen werden. Sollte die Bundesregierung aus zwingenden Gründen von der Stellungnahme des Bundestages abweichen, ist der Bundestag unverzüglich, noch vor der entscheidenden Abstimmung zu unterrichten.
– Zudem muss die Regierung den Bundestag über jegliches Handeln in den ESM-Entscheidungsgremien informieren und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt, umfassend, fortlaufend und in der Regel schriftlich und mündlich. Die Unterrichtung erfolgt darüber hinaus durch die Übersendung einschlägiger Dokumente, auch vorbereitender Art.“
Allerdings solle der Bundestag nicht bei jeder Milliardenhilfe zustimmen, schränken die Grünen ihre Forderung nach demokratischer Mitbestimmung gleich wieder ein:
„Aber der ESM muss in der Krise handlungsfähig sein und schnell reagieren können. Deshalb wäre eine zwingende Beschlussfassung des Bundestages vor der Gewährung einer jeden Tranche nicht geeignet, die Krise zu bewältigen.“
Dafür erwarten sie, „dass das Europäische Parlament umfassend einbezogen wird: Der ESM soll die Finanzstabilität im Euro-Währungsraum insgesamt absichern“.
Was die Linke sagt
Für die Linke kommentierte Alexander Ulrich, Obmann der Fraktion im EU-Ausschuss, das Video: „Die Linke lehnt den Europäischen Stabilitätsmechanismus – vermutlich als einzige Fraktion im Deutschen Bundestag – ab.“ Die Gründe hierfür seien jedoch andere als die im Video genannten. Das Video lasse völlig außer Acht, welche Mitspracherechte sich die deutsche Bundesregierung beim ESM gesichert habe.
„Die Entscheidungen werden dort entweder einstimmig oder mit einer Mehrheit gefällt, die ohne die deutsche Stimme nicht zusammenkommen kann“, schrieb Ulrich. Auch die Mitspracherechte des Bundestags würden im Video falsch dargestellt, so könne etwa das Grundkapital nicht autonom durch den ESM erhöht werden. Der Bundestag habe die Obergrenze für die deutsche Beteiligung in einem nationalen Gesetz festgelegt.
„Richtig ist jedoch: Der Bundestag muss in Zukunft deutlich mehr Rechte bekommen, über die Aktivitäten des Euro-Rettungsschirms entscheiden zu können“, so Ulrich. „Wie genau diese Beteiligungsrechte aussehen, darüber wird der Bundestag bei der anstehenden Ratifizierung des ESM-Vertrags zu streiten haben.“
Kritik am ESM sei berechtigt, sie müsse jedoch an den wirklichen Schwächen ansetzen: „Es kann nicht sein, dass weiterhin Milliarden von Steuergeldern dafür verschwendet werden, Bankenprofite zu retten und Spekulationsgewinne zu sichern. Es kann auch nicht sein, dass die Länder, die Gelder aus dem ESM erhalten, durch sozial ungerechte und ökonomisch unsinnige Kürzungsprogramme in die Rezession getrieben werden, die ihre Schulden ansteigen lassen, anstatt sie zu senken“, schrieb Ulrich.
Die Linke fordere daher, über Euro-Anleihen und Kredite einer Europäischen Bank für öffentliche Anleihen die Wucherzinsen der Kapitalmärkte zu drücken und so die Spekulanten an die Kette zu legen.
Kritik des Wirtschaftsrechtlers Kerber
Außerhalb der Politik wird das Thema ganz anders bewertet. So sagt der Berliner Wirtschaftsrechtler Markus C. Kerber, der vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage von über 50 Unternehmern gegen die Politik der Bundesregierung vertritt: „Der ESM ist das künftige Finanzministerium. Der ESM-Vertrag ist die Reise in die Eruoanleihe und damit die Abschaffung des Budgetrechts des Bundestages.“ Er warnt ausdrücklich vor diesem Weg.
Günther Lachmann am 6. September für Welt Online