Europas Furcht vor dem Ausgang der Krise

Hier geht es zum YouTube-Video IMF Greek Crisis - Athens 2012 Europa wankt. Die Griechen plündern ihre Konten, aus Angst, bei einem Austritt ihres Landes aus der Eurozone ihr letztes Erspartes zu verlieren. In Potsdam verübt eine Gruppe namens "FreundInnen von Loukanikos" einen Anschlag auf die Familie von Horst Reichenbach, der für die EU das griechische Sparprogramm durchsetzen soll. Sie zünden das Auto von Reichenbachs Ehefrau an.

Italiens Regierung erwägt nun gar den Einsatz Armee gegen das eigene Volk, das sich mit Gewalt gegen die Sparpolitik auflehnt und die Steuerbehörden mit Molotowcocktails angreift.

In Spanien reißen die friedlichen Proteste nicht ab, und in Frankfurt verbarrikadieren die Banken ihre Bürotürme aus Furcht vor Übergriffen des „Blockupy“-Bündnisses, das bis Samstag Bankenviertel gegen die EU-Krisenpolitik protestieren will. Die Barclays-Bank hat angeblich sogar ihr Namensschild abmontiert.

Das finanzpolitische Beben, das im Frühjahr 2010 in Griechenland ausbrach, erschüttert nunmehr weite Teile des Kontinents so sehr, dass das darauf aufgebaute politische und wirtschaftliche Gebäude einsturzgefährdet erscheint.

„Dies ist ein hässlicher Morgen in Euroland“, schreibt heute das Finanzblog Alphaville der renommierten Financial Times und zeigt unter der Überschrift die steil in die Höhe schießenden „seismographischen“ Krisen-Kurven, die diesmal den Preisanstieg für zehnjährige spanische und italienische Staatsanleihen aufzeigen. Über sechs Prozent Zinsen müssen die Ländern für die Rekapitalisierung zahlen, während der Euro gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit Januar abstürzt.

All das sind wahrlich keine guten Nachrichten, sie schüren die Sorge der Bürger, der Politiker und Banker vor den möglicherweise unkontrollierbaren Folgen eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone. Werden dann auch andere Staaten straucheln? „Unsere größte Sorge ist, was der Griechenland-Austritt über die angebliche Unzerbrechlichkeit des Euros aussagt“, sagt Jim Reid von der Deutschen Bank in London. „Der Austritt Griechenlands könnte eine gefährliche Vorlage für andere schwächelnde Länder sein.“

Die britische Financial Times beschreibt zwei mögliche Szenarien eines Griechenland-Austritts. Entweder komme es zu einem ungeordneten Bankrott mit tumultartigen Folgen wie der Massenflucht aus spanischen und italienischen Schulden.  Oder aber die politischen und wirtschaftlichen Institutionen bewiesen, dass sie zu einem abgestimmten, in hohem Maße verantwortungsvollen Handeln fähig seien.

Darunter versteht die Financial Times folgendes: Die Europäische Zentralbank wird weiterhin Staatsanleihen kaufen und zugleich die Banken mit Geld versorgen. Es könne „irgendeine Art Fiskalunion“ erklärt werden, die Transferzahlungen der reichen an die armen Länder vorsehe. Allerdings werde das Beben die Banken der Peripherie doch noch stärker erschüttern, wenn sich die Finanzen ihrer Staaten weiter verschlechterten. Denn die Banken hätten mit den Milliarden, die sie zum Jahresbeginn von der EZB bekamen, spanische und italienische Staatsanleihen gekauft.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=wpPgY-DgYSM&w=560&h=315]Sollte dieser Fall eintreten, werden auch deutsche Banken die Ausschläge des Finanzbebens in Spanien zur spüren bekommen. Während viele internationale Investoren bereits ihr Engagement in den Krisenländern zurückgefahren haben, seien derzeit keine anderen europäischen Banken so stark in Spanien engagiert wir die deutschen Institute, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.

„Im Januar 2012 hatte der deutsche Bankensektor gegenüber Spanien Kredite in der Höhe von gut 113 Milliarden Euro ausstehend“, schreibt das Blatt. Davon seien rund 52 Milliarden Euro an spanische Unternehmen ausgeliehen, über 42 Milliarden gingen an spanische Banken. Für etwa 19 Milliarden Euro besäßen deutsche Banken spanische Staatsanleihen. „Nur noch in Italien sind die deutschen Institute ähnlich stark im Ausland engagiert. Dort hatten sie Anfang 2012 rund 100 Milliarden Euro verliehen“, so die NZZ.

Möglicherweise könnte der griechische Euro-Austritt gar die Welt-Konjunktur mit in den Keller ziehen. Davor jedenfalls warnt der „Eonomist“: „Die Vorstellung eines chaotischen Austritts sollte jedem Angst einjagen.“ Der Schaden für die Weltwirtschaft könne nämlich gar „zum größten Risiko für Barack Obamas Chancen auf die Wiederwahl zum US-Präsidenten werden“.

Entsprechend aufmerksam verfolgen die Amerikaner das Beben in Europa. Zum wiederholten Mal spricht der Nobelpreisträger Paul Krugman dieser Tage  von der „Eurodämmerung“. Seiner Ansicht nach ist die Währung am Ende, es sei denn, Deutschland ändere seine Strategie grundlegend. „Deutschland hat die Wahl“, sagt er. Entweder akzeptiere es „die riesigen indirekten öffentlichen  Ansprüche Italiens und Spaniens“, sprich den hohen Finanzbedarf dieser Länder und garantiere für deren Schulden und nehme eine höhere Inflation in Kauf, oder aber: „Ende des Euros.“

Tatsächlich hat die Bundesregierung in den vergangenen Wochen ihre Krisen-Strategie verändert. Allerdings schlägt sie nicht die von Krugman gewünschte Richtung ein. Vielmehr bereitet sie die Menschen auf einen möglichen Ausstieg der Griechen aus dem Euro vor.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt, in den vergangenen Jahren sei die Eurozone insgesamt widerstandsfähiger geworden. „Wir haben in den letzten zwei Jahren viel gelernt und Schutzmechanismen eingebaut.“

Warum die vielen Milliarden, die nach Griechenland, Portugal und Irland geflossen sind, am Ende nichts bewirkt haben, sagt er nicht. So bleibt die Ungewissheit über den Ausgang des Bebens – und mit ihr die Angst.

Günther Lachmann am 16. Mai 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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