„US-Kräfte führen einen Währungskrieg gegen Europa“

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CDU-Europa-Parlamentarier Elmar Brok

Der CDU-Europa-Abgeordnete und außenpolitischen Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP), Elmar Brok, war schon bei der Formulierung der EU-Verfassung dabei. Jetzt begleitet er die Verhandlungen über den von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy geplanten Vertrag zur Fiskalunion der Eurostaaten. Brok ist zudem ein exzellenter Kenner der USA. Ich sprach mit ihm über das schwierige transatlantische Verhältnis in den Zeiten der Finanzkrise.

Herr Brok, was steckt hinter der Herabstufung wichtiger Euroländer durch die US-Ratingagentur Standard & Poor`s?

Elmar Brok: Die Abstufung ist ein gezielter Angriff der US-Ratingagentur gegen Europa. Es gibt doch keinen einzigen plausiblen Grund für die Entscheidung, etwa jetzt Italien abzuwerten. Das Land hat einen neuen Regierungschef, mit dem es wichtige Reformen umsetzt. Das gilt im Übrigen auch für Spanien. Über Frankreich müssen wir gar nicht erst reden. Die Abstufung durch S&P ist folglich interessengelenkt. Die haben uns den Währungskrieg erklärt. Die Ratingagenturen sind mehr Krisenverstärker als Frühwarner.

Die USA führen einen Finanzkrieg gegen uns?

Brok: Starke Kräfte in den USA, insbesondere aus der Finanzwirtschaft. Es geht ihnen offenbar einzig und allein darum, auf diese Weise angelsächsische Interessen gegen Europa durchzusetzen.

Welcher Art sind diese Interessen?

Brok: Finanzieller Art. Sie wollen die Euro-Zone zerschießen, um Geld daran zu verdienen. Dieses Interesse ist im Übrigen leicht zu verifizieren. Schauen wir uns doch nur einmal die Finanzierung der Ratingagenturen an. Die bekommen ihr Geld von der Finanzwirtschaft. Von den Staaten bekommen sie nichts. Sie sind also von der Finanzwirtschaft abhängig. Folglich  bewerten sie die Bonität der Staaten nach den Interessenlagen der Finanzindustrie.

Aber die USA schaden sich doch selbst, wenn sie dem Euroraum schaden. Sie zerstören auf diese Weise nämlich auch einen wichtigen Absatzmarkt, oder?

Brok: Das interessiert die Finanzindustrie nicht. Die Investoren wollen jetzt die Chance nutzen, an der aktuellen Situation soviel Geld wie möglich zu verdienen.

Aber gibt es denn in Washington nicht auch ein erhebliches politisches Interesse an einem starken Europa?

Brok: Die Solidarität der USA gegenüber Europa verfolgte immer auch Eigeninteressen. Außerdem gibt es innerhalb der US-Regierung seit langem schon zwei Lager. Das State Department ist für ein geeintes Europa. Andere Ministerien verfolgen hingegen nach wie vor das Ziel divide et impera – teile und herrsche. Denen ist ein geteiltes, weniger einflussreiches Europa lieber.

Sie zweifeln an der transatlantischen Solidarität?

Brok: Nein, ich zweifle an gar nichts. Zweifellos gibt es in Washington ein bedeutendes sicherheitspolitisches Interesse an engen Beziehungen zu Europa. Aber das ist eben nur die eine Seite. Ich beschreibe lediglich, wie sich die Dinge zueinander verhalten. Es gibt derzeit deutliche anti-europäische Tendenzen in den USA, wie nicht zuletzt am Wahlkampf des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Mitt Romney deutlich wird.

Woher kommt das?

Brok: In den USA existiert ein völlig falsches Europabild. Das kann man den Amerikanern allerdings nicht vorwerfen, denn die angelsächsische Presse malt ihnen seit Jahrzehnten dieses Bild. Es gibt in den USA keine kontinentaleuropäische Sicht in der Wirtschaftsberichterstattung. Europäische Medien spielen dort keine Rolle. Alle Informationen stammen von CNN, Reuters und dem Imperium des erklärten Anti-Europäers Rupert Murdoch.

Sie meinen, die Murdoch-Journalisten sind angehalten, ein ganz bestimmtes Europabild zu transportieren?

Brok: Daraus macht Murdoch doch gar kein Geheimnis. Damit sich etwas ändert, müssten sich zum Beispiel deutsche und andere kontinentaleuropäische Großverlage zusammentun und gemeinsam eine englischsprachige Wirtschaftsagentur gründen, um in der weltweiten Berichterstattung die europäische Sicht darzustellen. Dann wird auch ein Mitt Romney nicht länger abfällig vom „Wohlfahrts-Europa“ reden können.

Was fehlt in der angelsächsischen über das wirtschaftliche Europa?

Brok: Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Zu Beginn des Jahrtausends war Deutschland der kranke Mann Europas. Nur mit dem „Wunder der deutschen Mitbestimmung“ konnten die Unternehmen ihre Kosten so weit senken und ihre Produktivität steigern, damit die deutsche Wirtschaft wieder wachsen konnte. Betriebsräte haben mit den Unternehmen Hand in Hand gearbeitet. Das versteht in den USA niemand.

Wird Europa die Angriffe der Ratingagenturen aushalten?

Brok: Ich hoffe es. Wir müssen jetzt noch stärker an unserer Glaubwürdigkeit arbeiten. Das heißt, die Länder der Eurozone müssen Schulden abbauen, Reformen und Wachstum schaffen. Dazu gehört als nächster Schritt die Schaffung der Fiskalunion.

Die Verhandlungen stocken angeblich. Stimmt das?

Brok: Nein, wir sind in unseren Gesprächen in der vergangenen Woche gut vorangekommen. Schwierigkeiten macht noch die Frage, wie vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Schulden-Länder geklagt werden kann. Und dann sind da noch die Vorschläge der Europäischen Zentralbank (EZB).

Was schlägt die EZB vor?

Brok: Das müssen wir uns erst noch einmal im Detail anschauen. Die Vorschläge der EZB kamen genau zehn Minuten vor Beginn der letzten Beratungsrunde. Kein Mensch hatte sie zuvor gesehen. Daher konnten sie in der Sitzung nicht behandelt werden. Nur zum Verständnis: Alle anderen hatten ihre Papiere bis zum 29. Dezember 2011 eingereicht.

Günther Lachmann am 16. Januar 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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