Wie Politik sich ad absurdum führt
Ex-US-Notenbank-Chef Greenspan sagt, Regierungen seien überflüssig. Der Ausgang der Bundestagswahl bedeutet: Eine Regierung, die verändert, richtet nur Schaden an. Doch Union und SPD schert das wenig.
Als der frühere Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, 2007 von Schweizer Journalisten gefragt wurde, welchen Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen er denn unterstütze, gab er ihnen eine für die Politik insgesamt ziemlich erniedrigende Antwort: „Wir haben das Glück, dass die politischen Beschlüsse in den USA dank der Globalisierung größtenteils durch die weltweite Markwirtschaft ersetzt wurden. Mit Ausnahme des Themas der nationalen Sicherheit spielt es kaum eine Rolle, wer der nächste Präsident sein wird. Die Welt wir durch die Marktkräfte regiert.“
Wer weiß, ob er sich vielleicht ein Jahr später, als die US-Bank Lehman Brothers zusammenbrach und die Welt in die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Zeit der großen Depression stürzten, nicht vorsichtiger ausgedrückt hätte. Andererseits hat er diese Bewertung bis heute nicht korrigiert. Und auch wenn Greenspans Botschaft, die Politik sei im Grunde überflüssig, zu einem nicht geringen Teil der Hochnäsigkeit eines Zentralbankers geschuldet ist, drängt sich ganz aktuell nach der Bedeutung oder der Bedeutungslosigkeit der Politik in der öffentlichen Wahrnehmung auf. Also, mal ganz ehrlich: Wen interessiert es denn wirklich, was die Spitzen von CDU, CSU und SPD da seit Wochen in bereits jetzt scheinbar endlosen Koalitionsgesprächen verhandeln?
Deutschland wird verwaltet
Überhaupt könnte sich Alan Greenspan, lebte er in Deutschland, über ein Zuviel an Politik eigentlich nicht beklagen. Denn im Grunde steht das Land irgendwie führungslos da. Es wird sozusagen politisch notversorgt. Zwar ist die alte schwarz-gelbe Regierung immer noch geschäftsführend im Amt. Doch tut sie dies weitgehend untätig. Auch der Parlamentarismus ist blockiert, denn der bereits am 22. September gewählte neue Bundestag hat seine Arbeit bisher nicht aufgenommen. Angeblich, weil es noch keine neue Regierung gibt und diejenigen, die sich anschicken, eine solche zu bilden, sich erst noch darüber klar werden müssen, was sie denn eigentlich zu tun gedenken.
Ein Land zu regieren heißt, es zu führen und zu lenken. Augenblicklich wird es vor allem repräsentiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel und seine Mitstreiter repräsentieren den Mitmach-Anspruch der SPD. Die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel repräsentiert die Wahlsieger. Und gemeinsam repräsentieren sie die sich abzeichnende neue Koalition. Doch geführt oder gelenkt wird gar nichts. Deutschland wird bestenfalls verwaltet. Immerhin.
Zufalls-Politik
Schließlich gibt es Länder, die haben nicht einmal eine funktionierende Verwaltung. Die Griechen beispielsweise können ein Lied davon singen. Ihr Land ist vor allem ein Opfer der Korruption. Auch in Deutschland mag es den einen oder anderen korrupten Beamten geben, aber dieses Verhalten hat kein System. Hier herrscht Ordnung – und sonst nichts! Und das ist, wenn man’s genau nimmt, auch gar nicht erst seit dem 22. September so. Das Land verharrt schon lange in diesem Zustand.
Zunächst einmal war da vor dem 22. September der Wahlkampf, der sich unmittelbar an die Sommerpause anschloss. Und davor wiederum war vor allem Krise. Von der Krise in der Koalition zeugen zahlreiche spektakuläre Rücktritte, von der in der Europäischen Union Milliarden schwere Rettungspakete für die Rettung von Banken sowie die EFSF und die neue Finanzbehörde namens ESM, die auf Druck der Finanzmärkte geschaffen wurden.
Alles soll beim Alten bleiben
Bundespolitisch hielt sich die Aktivität der bürgerlichen Regierung in engen Grenzen. Sie senkte die Mehrwertsteuer für Hoteliers, führte das Betreuungsgeld ein und schaffte die Praxisgebühr wieder ab. Ihre beiden wirklich großen Entscheidungen, der Ausstieg aus der Atomkraft oder das Ende der Wehrpflicht, waren allein dem Zufall geschuldet. Sie kamen zustande, weil erstens Japan von einem Supergau heimgesucht wurde und zweitens der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nicht wusste, wie er den Sparauflagen des Finanzministers nachkommen sollte.
So gingen die Dinge ihren Gang, ohne dass jemand groß geführt oder gelenkt hätte. Freilich gehen die Vorstellungen darüber, ob Deutschland besser dastünde, wenn die Politik hier und da korrigierend eingegriffen hätte, weit auseinander. Was ist etwa mit der rasanten Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, also von Minijobs, Zeitarbeit und so schlecht bezahlter Arbeit, dass der Lohn vom Staat aufgebessert werden muss? Andererseits ist das Ergebnis vom 22. September ein überaus deutlicher Appell an die Politik, so weiterzumachen wie bisher, nämlich möglichst gar nichts zu verändern. Die Botschaft der Wähler lautet: Alles soll so bleiben wie es ist.
Botschaft des Misstrauens
Das heißt, die Politik soll sich möglichst nicht mehr einmischen. Aus der politischen Perspektive betrachtet, wäre das ein zutiefst liberaler Ansatz. Demnach wollten die Menschen nur so viel Staat wie nötig und so wenig Staat wie möglich. Das mag ja sein, aber warum haben sie dann ausgerechnet die Liberalen aus der Regierung und dem Bundestag gejagt? Da stimmt doch etwas nicht, oder?
Darum drängt sich eine andere Schlussfolgerung auf. Weil die Wähler den Parteien und ihren Repräsentanten nicht mehr über den Weg trauen, sollen die möglichst gar nichts mehr machen. Denn wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen. So interpretiert, wäre das Wahlergebnis alles andere als das Votum einer die Politik bejahenden liberalen Wählerschaft, sondern Ausdruck allergrößten Misstrauens gegenüber der Politik schlechthin. Demnach wurden diejenigen gewählt, von denen die Wähler erwarten, dass sie den geringsten Schaden anrichten.
Das gemeinsame Wollen
Ob es am Ende tatsächlich so kommt? Seit Wochen quälen sich Union und SPD nun schon durch ihre Verhandlungsrunden und formulieren mühevoll das gemeinsame Wollen: In der Energiepolitik wollen Union und SPD die Ökostrom-Förderung verringern, den Ausbau des schnellen Internets beschleunigen und
Firmenforschung steuerlich fördern. In Brüssel wollen sie sich für die Finanztransaktionssteuer stark machen und darauf drängen, dass die weitere Privatisierung der Wasserversorgung verhindert wird.
Ein paar Uneinsichtige
Da aus politischem Wollen nur in Ausnahmefällen einmal Taten wurden, sind diese Wünsche also getrost zu vernachlässigen. Doch es gibt ein paar „Uneinsichtige“, die in den Gesprächen auf zumindest drei klare Vorgaben drängen, mit denen dann zu Weihnachten die neue Regierung in Form einer großen Koalition antritt: Sie verlangen eine Maut für Pkw, eine höhere Rente für Mütter und einen einheitlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Sie werden sich doch nicht etwa durchsetzen? Das wäre ja eine schöne Bescherung!