Ein deutscher Euro-Austritt klingt verlockend…

Hier geht's zum ESM-VideoNicht wenige Deutsche mögen sich heimlich wünschen, was zwei US-Ökonomen dieser offen aussprechen. Clyde Prestowitz, Präsident des amerikanischen Economic Strategy Institute, und der frühere Finanzchef der Crédit Commercial de France, John Prout, sprachen aus, fordern in einem gemeinsamen Beitrag für CNN, Deutschland solle aus der Euro-Zone austreten und die D-Mark wieder einführen. Nur so sei die Euro-Zone noch zu retten.

Nicht das an einer korrupten Bürokratie verelendete Griechenland sei das größte Problem des gemeinsamen Währungsraumes. Deutschland sei es, das sozusagen auf Kosten der anderen seinem Reichtum erwirtschaftet habe. „Die deutsche Wirtschaft ist nicht nur wegen ihre hohen Produktivität stark“, schreiben Prestowitz und Prout. „Ihre Exporterfolge sind das Ergebnis eines für Deutschland klar unterbewerteten Euros.“

Und nun maße sich dieses Deutschland an, Europa die Bedingungen für eine wirtschaftliche Erholung zu diktieren. Es verordne den Südländern Europas eine strenge Sparpolitik. Sie würden gezwungen, „deutscher“ zu werden, in dem sie Sozialausgaben drastisch kürzten, Löhne senkten und steigende Arbeitslosenzahlen akzeptierten. All dies aber habe die Länder keinen Schritt weitergebracht. Stattdessen gefährde diese deutsche Austeritätspolitik sogar das politische und soziale Gefüge von einst prosperierenden Staaten wie den Niederlanden.

Folglich könne es eine Lösung der europäischen Finanzkrise nur durch einen Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone geben. Dann sei endlich auch der Weg für Eurobonds frei, also gemeinsame Anleihen aller Euro-Staaten.

Was aber bedeutet ein solches Szenario für Deutschland? Nun, damit halten die beiden zwar nicht hinterm Berg, spielen die Folgen aber doch herunter. „Der Preis den Deutschland für die Rettung Europas zu zahlen hätte, wäre ein Rückschlag bei den Exporten und ein zeitweiliger Anstieg der Arbeitslosigkeit“, schreiben Prestowitz und Prout. Klingt, als wäre alles halb so schlimm. Ist es aber nicht.

Denn mit einer Rückkehr Deutschlands zur D-Mark würde diese sofort zur härtesten Währung der Welt aufsteigen. Die Milliarden schweren Forderungen des Landes gegenüber seinen Schuldnern verlören auf einen Schlag deutlich an Wert – mit katastrophalen Folgen für den Staatshaushalt.

Deutsche Waren dürften für die anderen Europäer, ja selbst für US-Konsumenten plötzlich so teuer sein, dass die Nachfrage dramatisch einbräche. Das wiederum die deutsche Wirtschaft schwer treffen, die schließlich allein vom Export lebt. Eine tragfähige Inlandsnachfrage, die einen Zusammenbruch verhindern könnte, gibt es noch immer nicht.

Das haben die europäischen Nachbarn den Deutschen übrigens immer zu Recht vorgeworfen. Noch als französische Finanzministerin beschwerte sich die Christine Lagarde, heute Chefin des Internationalen Währungsfonds, Deutschland habe die im Maastricht-Vertrag enthalten Wachstumskriterien nicht eingehalten. In dem Vertrag verpflichteten sich die Länder der Eurozone nämlich nicht nur zu strenger Haushaltsdisziplin, sondern auch dazu die Wirtschaft durch Inlandsnachfrage anzukurbeln.

Das geschah in fast allen europäischen Ländern durch deutlich steigende Einkommen. In Deutschland hingegen stagnieren die Reallöhne seit gut 15 Jahren. Womit also sollten die Bürger die Inlandsnachfrage stärken? Es waren die Griechen, Portugiesen und Spanier, die nun mit ihren steigenden Einkommen die deutschen Waren kauften.

Diese Rechnung konnte freilich auf Dauer nicht aufgehen – nicht für die Griechen, Portugiesen und Spanier, und auch nicht für Deutschland. Denn weder reformierten die Südländer ihre Wirtschaftsstrukturen und wurden international wettbewerbsfähig, noch sorgte Deutschland für den Fall vor, dass dem Exportboom irgendwann einmal die Luft ausgehen könnte. Vielmehr verschuldeten sich die Südländer mit Hilfe der billigen Euro-Zinsen, und Deutschland schuf mit einem Millionenheer von Mini-Jobbern, Leiharbeitern und Aufstockern ein neues Arbeitsprekariat, das zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel verdient.

Was heißt das für die aktuelle Krisensituation? „Die noch unbekannten Risiken eines deutschen Euro-Ausstieges scheinen besser handhabbar als endlose soziale Unruhen und  eine politische Polarisierung“, schreiben Prestowitz und Prout. Eine solche Argumentation ist allerdings arg leichtfertig, denn wie könnten „unbekannte Risiken“ gegen die bekannten Probleme abgewogen werden?

Fest steht, ganz egal, ob Deutschland in der Euro-Zone bleibt oder tatsächlich ausstiege, am Ende wird es vermutlich einen hohen Preis zahlen müssen

Günther Lachmann am 1. Juni 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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