Rom-Vergleiche sind nicht statthaft

Roms Gründungsmythos: Die kapitolinische Wölfin säugt Romulus und Remus, 13. Jahrhundert. Die beiden Knaben hinzugefügt aus dem 15. Jahrhundert / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Capitoline_she-wolf_Musei_Capitolini_MC1181.jpg; See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons Roms Gründungsmythos: Die kapitolinische Wölfin säugt Romulus und Remus, 13. Jahrhundert. Die beiden Knaben hinzugefügt aus dem 15. Jahrhundert / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Capitoline_she-wolf_Musei_Capitolini_MC1181.jpg; See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons

In der Migrationskrise führen wir einen Kampf um die richtige Sichtweise historischer Ereignisse. So wird die Völkerwanderung vor 1500 Jahren zum Politikum.

Mit diesem Beitrag kommt der Verfasser noch einmal auf das Thema „Antike Völkerwanderung und Untergang Roms“ (siehe: „Noch im Untergang träumt Europa“) zurück. Hier soll aber vor allem behandelt werden, dass dieser geschichtliche Vorgang in den Zeiten der Migrationskrise zum Gegenstand einer politischen Diskussion mit Bezug zur aktuellen Zeit geworden ist. Dieses ferne Ereignis vor über 1500 Jahren hat Brisanz bekommen, seine Erwähnung bzw. Nichterwähnung oder die Art, wie es interpretiert wird, wurde plötzlich zu einem Politikum.

Bei der Behandlung der neueren Geschichte musste man sich inzwischen in Deutschland daran gewöhnen, dass Meinungen und Interpretationen zu Vorgängen in dieser Zeit (man denke an die Schuld am Ausbruch des 1. Weltkriegs) vom politischen Betrieb, den Mainstreammedien und anderen Meinungsmächten auf politische Korrektheit überwacht werden.

Das ungeschriebene Gesetz der politischen Korrektheit sieht vor, dass manche Vorgänge in der Geschichte nicht in falscher Weise instrumentalisiert werden dürfen. Dabei ist es schwierig, immer zu wissen, welche Geschichtsvorgänge der politischen Korrektheit unterstehen und was eigentlich die korrekte Auslegung eines geschichtlichen Ereignisses ist. Geht man über einen bestimmten Rahmen hinaus, kann das zur gesellschaftlichen Ächtung bis hin zur Existenzbedrohung führen. Aber die antike Geschichte war bisher verschont geblieben, genau das hat sich seit Ende 2015 geändert.

Offene gesinnungsethische Repression

Natürlich sind die Befürchtungen der politischen Verantwortlichen und ihrer Befürworter in den Medien vor allem in Deutschland nicht unbegründet, dass die Verwendung allein des Begriffs „Völkerwanderung“ auf die heutige Zeit bezogen eine klare Kritik der bisherigen Migrationspolitik impliziert. Die Nebenbedeutungen des Begriffs sind unweigerlich „Gewalt“, „Krieg“, „Untergang“, „Rechtlosigkeit“ und „Kulturverfall“. Das aktuelle Buch des ehemaligen Präsidenten der Tschechischen Republik, Vaclav Klaus, hat dann auch diesen Titel und seine Abrechnung mit der aktuellen Politik der EU (durch den Titel immer mit dem Bezug auf das untergegangene Römische Reich) ist vernichtend[1]:

„Und wir bemühen uns auch, die Folgen des massiven Stromes von Hunderttausenden oder sogar Millionen Menschen einer fremden Kultur, Sprache und Zivilisationsgewohnheiten für die Kohärenz, Stabilität und Funktionieren der europäischen Gesellschaft, für das Erhalten unseres über Jahrhunderte hinweg gebildeten Sozialkapitals, für das Erhalten unserer bisherigen Lebensqualität und für das Erhalten unseres – heute noch positiven – Lebensgefühls zu analysieren.“

In Deutschland wurde dieses Buch, wie nicht anders zu erwarten, von Politik und Medien, weitgehend ignoriert. Sein Erscheinen konnte man nicht verhindern, aber eine inhaltliche Diskussion des impliziten Vergleichs mit dem antiken Geschehen überließ man den „Populisten“.

Die direkteste Form der Meinungssteuerung ist die Ablehnung einer Veröffentlichung. Das heißt, man will von Vornherein nicht zulassen, dass ein bestimmtes Thema überhaupt als Vergleichsmaßstab zum aktuellen Geschehen, in diesem Fall die immer noch andauernde Migrationskrise, herhalten soll. Hier bleibt allerdings die Meinungsfreiheit auf der Strecke, es herrscht dann die offene gesinnungsethische Repression.

Anfang des Jahres lehnte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung die Publikation eines bestellten Aufsatzes über die Völkerwanderung des renommierten Althistorikers Alexander Demandt ab. Demandt hatte in diesem Beitrag eine für die Leitung der Stiftung plötzlich nicht mehr statthafte Parallelisierung der Vorgänge in Geschichte und Gegenwart vorgenommen. Diese Art der Interpretation der Geschichte war somit politisch nicht mehr korrekt.

Der Versuch der völligen Publikationsverhinderung ist gescheitert, wohl weil es auch in den etablierten Medien in Deutschland noch Journalisten und Herausgeber gibt, die die freie Diskussion jeglicher Gesinnungsrepression und jeder Meinungssteuerung vorziehen. Die „FAZ“ hat den Beitrag gedruckt und diesen skandalösen Vorgang publik gemacht, wofür ihr Dank auszusprechen ist. Am 22.1.2016 liest man am Ende eines Beitrags des Historikers zur antiken Völkerwanderung folgende Anmerkung des FAZ-Journalisten Reinhard Müller:[2]

„Diesen Text lehnte die Zeitschrift ,Die politische Meinung’ mit der Begründung ab: ,Gerade auch unter dem Eindruck der Ereignisse zu Sylvester in Köln ist mir deutlich geworden, dass Ihr sachlicher geschichtswissenschaftlicher Text, den Sie dankenswerterweise für uns vorbereitet haben, von böswilliger Seite im Kontext unserer politischen Zeitschrift missinterpretiert werden könnte. Aus meiner Perspektive besteht die Gefahr, dass isolierte Textstellen missbräuchlich herangezogen werden könnten, um allzu einfache Parallelitäten zur aktuellen Lage zu konstruieren, die wir uns nicht wünschen können.’ Das schrieb dem Autor der Chefredakteur der von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Zeitschrift, die den Text eigens mit Blick auf die Flüchtlingskrise bestellt hatte.“

„Rom war immer fremdenfreundlich“

Aber was stand eigentlich Befremdliches in Demandts auf Bestellung gelieferten Aufsatz? Ausgehend von der Zeit ab 376 n. Chr., dem ungefähren Beginn der antiken Völkerwanderung, schildert Demandt, wie im spätantiken Rom die Integration der aus dem Norden und Osten andrängenden Germanen scheiterte. Die Aufnahme der vor den Hunnen fliehenden Westgoten geriet völlig aus dem Ruder. In der Schlacht bei Adrianopel wurde die östliche Armee der Römer von den Goten vernichtend geschlagen, Kaiser Valens, der die Osthälfte regierte, fiel im Kampf. Allein die militärischen Nachwirkungen waren immens: Rom mangelte es in der Folge an ausgebildeten Soldaten zur Verteidigung, die Donaugrenze war offen.

Demandt legt Wert auf die Feststellung, dass die Römer im Verlauf ihrer Geschichte genau das Gegenteil dessen waren, was man als fremdenfeindlich bezeichnen könnte, sie hatten immer darauf gebaut, Menschen aus anderen Ländern in ihr Reich zu integrieren:

„Die Aufnahme der gotischen Flüchtlinge 376 war politisch nichts Neues. Rom war immer fremdenfreundlich. Schließlich war nach der Überlieferung schon Äneas, der Stammvater, selbst ein Zuwanderer aus Troja gewesen. Als Romulus die Stadt gründete, eröffnete er auf dem Palatin ein Asyl, bevölkerte es mit Asylanten beliebiger Herkunft und machte sie zu Römern. In folgender, historischer Zeit war es ein Grundsatz römischer Politik, jeden, der tüchtig war, aufzunehmen.“

Reaktion auf die gescheiterte Integration

Während aber in früheren Zeiten die Zuwanderer in „homöopathischen“ Dosen und somit für das Gesamtreich verträglich, zum Beispiel als Föderaten, in den Reichsverband eingebunden werden konnten, ist nun durch die Menge an Menschen, die in Bewegung gesetzt wurden, ein Punkt erreicht, der für das Römische Reich gefährlich wurde:

„[Kaiser] Theodosius musste den Fremden 382 Land anweisen, wo sie nach eigenem Recht lebten. Die Donaugrenze aber war und blieb offen. Immer neue Scharen drangen ins Reich. Im Jahre 406 war auch die Rheingrenze nicht mehr zu halten. Die Völkerwanderung war im Gang. Die Landnahme endete erst mit dem Einbruch der Langobarden in Italien 568.“

Demandt sieht durchaus, dass es im Verlauf der weiteren Ereignisse auch im Römerreich zu fremdenfeindlichen Reaktionen kam, zu Massakern an Germanen durch die römische Bevölkerung zum Beispiel. Aber im Grunde, so muss man wohl Demandt verstehen, war dies eher eine Reaktion auf die gescheiterte Integration und nicht der Grund für das Scheitern.

Nach und nach verlor das Reich in seiner Westhälfte die Kontrolle über das Land. Die Absetzung des letzten Westkaisers 476 n. Chr. hatte keine machtpolitische Auswirkungen, denn eine eigenständige römische Militärorganisation war nicht mehr vorhanden. Das Fazit Demandts für diesen Prozess des Niedergangs ist am Ende seines Beitrags kurz und bündig:

„Überschaubare Zahlen von Zuwanderern ließen sich integrieren. Sobald diese eine kritische Menge überschritten und als eigenständige handlungsfähige Gruppen organisiert waren, verschob sich das Machtgefüge, die alte Ordnung löste sich auf.“

In Europa gingen die Lichter aus

Demandt hat damit klar und deutlich den Einbruch zahlenmäßig großer Verbände der Germanen in das Römische Reich als Auslöser für dessen Untergang beschrieben und auch noch auf jegliche positive Beurteilung des Endes der antiken Hochkultur im Sinne einer Metamorphose oder Transformation der antiken Welt hin zur neuen mittelalterlichen Realität verzichtet:

„Die Städte, in denen die Grundbesitzer wohnten, verarmten. Das kulturtragende Bürgertum verschwand – die Germanen interessierten sich mehr für Waffen als für Bücher –, das Bildungswesen blieb ihnen als Fremden fremd. Die Verkehrswege zu Land wie zu Wasser waren nicht mehr sicher, der für den Wohlstand wichtige Fernhandel erlahmte. Naturalwirtschaft machte sich breit. Die Wasserleitungen zerfielen, die Bäder konnten nicht mehr beheizt, Straßen und Brücken nicht mehr ausgebessert werden, über den Rhein gab es nur noch Fähren.“

Nur das Byzantinische Reich als Nachfolgestaat des Römerreichs konnte sich kulturell halten (immerhin ging es erst 1453 unter), war aber in seinem Kerngebiet eine kleinasiatische Macht; im eigentlichen Europa gingen letztendlich die Lichter aus.

Kampf um die richtige Sichtweise

Diese Darstellung der historischen Vorgänge war der Konrad-Adenauer-Stiftung um die Jahreswende 2015/16 zu brisant, da inzwischen klar war, dass große Teile der Bevölkerung die Masseneinwanderung von als Kriegsflüchtlinge bezeichneten Menschen aus Nordafrika und Nahost als bedrohliche Entwicklung ansahen. Deshalb wurde Demandts bestellter Beitrag gecancelt. Seine Aussagen entsprachen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr den politisch korrekten und gesinnungsmäßigen Ansprüchen an einen Geschichtswissenschaftler, der zur Kenntnis genommen werden will.

Dabei hat Demandt noch Glück gehabt, denn das eigentlich probateste Mittel, natürlich nicht nur bei nicht statthaften Äußerungen zur Geschichte, ist immer der persönliche Angriff auf den Meinungsträger, der als „Nazi“, „Populist“ oder „ewig Gestriger“ usw. aus der öffentlichen Diskussion ausgegrenzt werden soll. In seinem Fall wurde „nur“ versucht, seinen Aufsatz mit einer inzwischen politisch unbequemen Auslegung der Geschichte der Öffentlichkeit vorzuenthalten.

Eine ganz andere Vorgehensweise im Kampf um die richtige Sichtweise geschichtlicher Ereignisse ist die Neu- oder Umdeutung. Hier geht es um die Ersetzung bisheriger Interpretationen durch eine neue, nun als „richtig“ angesehene Auslegung eines historischen Ereignisses. Die Geschichte wird neu gedeutet, so dass z. B. die aktuelle Politik in der Migrationskrise als einzig angemessene Vorgehensweise angesehen werden kann. Das wird im 2. Teil des Beitrags behandelt, den wir alsbald veröffentlichen.

 

Anmerkungen

[1] http://www.manuscriptum.de/autoren/k/klaus-vaclav-weigl-jiri/voelkerwanderung.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/untergang-des-roemischen-reichs-das-ende-der-alten-ordnung-14024912.html

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