„Döner-Diplomatie“ – Erdogan macht den Steinmeier

Bundespraesident Steinmeier / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: Rabenspiegel; https://pixabay.com/de/photos/bundespr%C3%A4sident-2391748/ Bundespraesident Steinmeier / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: Rabenspiegel; https://pixabay.com/de/photos/bundespr%C3%A4sident-2391748/

Ein Besuch, der die frostigen Beziehungen erwärmen sollte. Was hat die Reise des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier in die Türkei gebracht?

Ich sehe es als große Wertschätzung, dass ich mit auf die Reise darf“, freut sich Arif Keles über die Einladung Frank Walter Steinmeiers für dessen Staatsbesuch in die Türkei. Keles Großvater eröffnete nach Jahren der Fabrikarbeit einen Grill-Imbiss, der heute in dritter Generation am Berliner S-Bahnhof Yorkstraße türkische Spezialitäten anbietet. Als besonderer Clou hatte sich das Bundespräsidialamt die Döner-Diplomatie ausgedacht: Ein tiefgefrorener Spieß reiste mit nach Ankara als Symbol zum 100. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Türkei. Realität schlägt Satire! Es war sicherlich eine gut gemeinte Geste – aber das Gegenteil von gut, ist eben gut gemeint.

Fettnäpfchen auf Reisen

So sahen das auch zahlreiche Kommentare im Netz, wie beispielsweise der WDR-Redakteur Tuncay Özdamar. Er kritisiert auf X: „Dass Steinmeier Döner aus Deutschland mit in die Türkei nimmt, zeigt, wie sein Türkei-Bild klischeehaft und von gestern ist.“ Oder der Vertreter der liberal-islamischen Alhambra-Gesellschaft, Eren Güvercin, zeigt sich übers kulinarische Gastgeschenk konsterniert: „Wer ist der Türkeiberater eigentlich im Bundespräsidialamt?“, fragt er auf X. Auch der Essener Politikwissenschaft-Professor Burak Çopur ist erschüttert: „Man wundert sich nicht, warum Deutschlands Reputation in der Welt so gelitten hat. Schlimmer geht’s nimmer.“  

Steinmeier tritt nicht zum ersten Mal ins Fettnäpfchen und ist für sein angespanntes Verhältnis bereits als Außenminister zum Türken-Chef bekannt. Das Bundespräsidialamt hat keine eigene Türkei-Abteilung, sondern stützt sich auf die Beratung der zuständigen Experten aus dem Auswärtigen Amt. Wer auch immer auf den Döner-Gag gekommen sein mag, er löste in Deutschland unter den Deutsch-Türken Kopfschütteln aus.

Künftig sollte bei Staatsbesuchen generell eine landestypische Speise als Präsent mitgenommen werden – wie wäre es mit Tiefkühlpizza Hawaii für Meloni oder Peking Ente süß-sauer für Xi Jinping? Die Begeisterung wäre sicherlich groß und Steinmeier hätte den Spitznamen als Präsident Peinlich redlich verdient.

Kleine Gesten mit großer Wirkung?

Überhaupt war die Türkei-Sause symbolisch aufgeladen. Nicht allein durch die Kulinarik, sondern auch wegen der Auswahl der türkischen Gesprächspartner und die Abfolge der Treffen. Steinmeier beehrte demonstrativ als ersten den jüngst wiedergewählten Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu. Der Spitzenpolitiker gilt als schärfster Rivale Erdogans und dürfte der Kandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen sein. Er ist Mitglied der CHP, also der Republikanischen Volkspartei, die 1923 von Atatürk gegründet wurde und inzwischen ins sozialdemokratische Spektrum gehört. Dass Steinmeier dem oppositionellen Hoffnungsträger vor Erdogan seine Aufwartung macht, liegt auf deutscher Regierungslinie.

Völlig ungewöhnlich waren die mediale Beachtung und die positiven Kommentare seitens der Bundesregierung zu den Kommunalwahlen in der Türkei. Über ähnliche Wahlen in Italien, Schweden oder Polen ist hierzulande nichts bekannt. Die Erfolge für die Opposition, vor allem der CHP in den Großstädten, sollen aus deutscher Sicht das Sterbeglöckchen für Erdogan und seine AKP einläuten. Steinmeier und die Bundesregierung greifen nach jedem Strohhalm, an den sie sich klammern, um eine wertegeleitete, feministische Außenpolitik durchzusetzen. Aber ist der „Sultan vom Bosporus“ schon am Ende?

Wahrheiten jenseits des Pomps

Salutschüsse, Präsidialgarde, Blumenmädchen! Steinmeier erlebte das volle Programm für einen Staatsgast vor dem Präsidentenpalast in Ankara. Inklusive des obligatorischen Besuchs am Mausoleum Atatürks, der auch unter Erdogan zum Pflichtprogramm gehört. Jener zeigte sich für seine Verhältnisse bestens gelaunt, als er bei strahlendem Sonnenschein den Bundespräsidenten begrüßte. Wohl gemerkt, war dies erst die zweite Station seiner Visite.

Erdogan als erfahrener politischer Fuchs ließ sich die symbolischen Seitenhiebe seines Gastes nicht anmerken. Dafür sind ihm die deutsch-türkischen Beziehungen doch zu wichtig. Erdogan weiß um das Faustpfand der Türken in Deutschland, die überwiegend nur die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie sind durch die eifrig konsumierten türkischen TV-Sender nach wie vor geistig mit der Türkei verbunden jenseits der dortigen Verwandten.

Erdogan weiß dies für seine Politik zu nutzen, vor allem vor Präsidentschaftswahlen. Bei den letzten stimmte eine deutliche Mehrheit der Türken in Deutschland für ihn. Und nun zur Gretchenfrage: Wie halten sie es mit der „Heymat“, wie Deutsch-Türken das Land, in dem sie schon länger leben nennen?

Machen wir uns nichts vor: Die meisten Türken in Deutschland identifizieren sich nicht mit ihrem Gastland. Sie fühlen sich als Dauer-Gäste. Das passt zur ethno-politischen Linie Erdogans, der bei seinen Wahlkampfauftritten in der Bundesrepublik davon gesprochen hat, dass Assimilation ein Verbrechen sei. Das wäre ungefähr so, als wenn Steinmeier in den USA den rund 35 Millionen deutschstämmigen Amerikanern zuriefe: Hört auf US-Bürger zu sein! Baut eine deutsche Parallelgesellschaft auf! Und wählt die Ampel!

Was für ein Aufschrei ginge durch die Welt und die US-Regierung würde als Maßnahme nicht nur den deutschen Botschafter zum Gespräch einbestellen. Doch hierzulande darf ein ausländischer Politiker wie Erdogan wahlkämpfen, der noch dazu nicht einmal auf den wertegeleiteten Pfaden deutscher Außenpolitik wandelt. Wieso darf er das?

Weltpolitiker trifft auf feministischen Außenpolitiker

Die Antwort ist einfach: Alle Bundesregierungen der letzten zwanzig Jahre scheinen ihn zu brauchen. Sie brauchen ihn für den Handel, sie brauchen ihn als Bündnispartner in der Nato, sie brauchen ihn als Sprachrohr des Westens in die islamische Welt und sie brauchen ihn nicht zuletzt als Türsteher bei der Migration. Erdogan und die Türkei sind für Europa und die USA ein unverzichtbares Schlüsselland. Aber was ist der Westen für den türkischen Präsidenten?

Mehr oder weniger ein Spielball, den er nach Belieben mal mehr abstößt oder wieder ins eigene Feld holt. Erdogan weiß, dass er auch Deutschland braucht. Wenn die Türkei überhaupt noch die EU kommen kann, dann geht das nur mit Berlin. Deutsche Touristen belegen Platz 1 an den türkischen Stränden und sind damit ein relevanter Wirtschaftsfaktor. Und er weiß, dass er mit Deutschland Politik im nationalen Sinn bei den Auslandstürken machen kann. Für die AKP ist klar: Schaut her, die türkischen und islamischen Werte bewahrt nur Erdogan für euch in der wahren Heimat, der Türkei.

Dass Erdogan eine nationale Politik über seine Landesgrenzen hinaus betreibt, das zeigt der Anspruch Großmacht zu sein. Mit seiner Einmischungspolitik in ehemaligen Provinzen des Osmanischen Reichs, wie beispielsweise in Syrien oder Libyen, hat er die Linie seiner Vorgänger verlassen. Inklusive des Staatsgründers Atatürk. Die Gastarbeiter-Romantik, die ihm Steinmeier bei tiefgekühltem Döner auftischen wollte, schmeckt dem Türken nicht. Das ist ein zutiefst deutscher Blick auf die Geschichte der Türken im Land.

Nostalgien im Lala-Land

Vorzeige Deutsch-Türken wie ein Professor Burak Çopur oder Grünen-Minister Cem Özdemir, die in der Bundesrepublik sozialisiert wurden, sind immer noch die Ausnahmen. Özdemir hat sich an einem bestimmten Punkt in seinem Leben für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden – ausschließlich. Das ist der richtige Weg, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Kein deutschstämmiger Amerikaner käme auf die Idee, den deutschen Pass zu beantragen. Die deutsche Herkunft ist eine Erinnerung, vielleicht ein nostalgisches Hobby, indem man Ahnenforschung betreibt.

Die Deutsch-Türken brauchen auch eine Erinnerungskultur – jedoch eine neue. Sie sollten sich an den Amerikanern deutscher, italienischer oder polnischer Herkunft ein Beispiel nehmen. Ja, es gab eine andere Heimat. Aber sie ist ein ferner Klang, und die Loyalität gehört nun nurmehr dem Aufnahmeland der Vorfahren. Wenn es weiter eine mentale und rechtlich erlaubte türkische Parallelgesellschaft – erweitert um die arabischstämmige – in Deutschland gibt, dann sind bürgerkriegsähnliche Verhältnisse langfristig nicht auszuschließen.

Der iranstämmige Behzad Karim Khani hat in seinen Artikeln auf die schwindende deutsche Mehrheitsgesellschaft hingewiesen und erwartet in wenigen Jahrzehnten eine migrantische Mehrheit in Deutschland. Darauf dürfte auch Erdogan setzen, der seine Landsleute in der Bundesrepublik aufforderte, fleißig Kinder zu zeugen, denn das sei eine Waffe gegen die noch deutsche Mehrheit.

 Der in Steinmeiers Tross mitgereiste Imbiss-Chef Arif Keles brachte seine Dankbarkeit im „Stern“ auf den Punkt: „Es geht bei der Reise auch um die Gastarbeiter-Geschichte. Ich finde es sehr gut, dass der Bundespräsident da an uns gedacht hat. Mein Opa hat genau hier 1986 in einem Anhängercontainer den ersten Döner-Stand aufgemacht, da war ich ein Jahr alt.“ Kelef ist erinnerungspolitisch in Deutschland bestens integriert. Besser hätte es auch der Bundespräsident nicht sagen können.   

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Janus
Janus
12 Tage her

USA: Willkommenskultur, entspannteres Verhältnis zur Religion und wirtschaftliche Möglichkeiten in einem Riesenland mit gleicher Spache und grundsätzlich gleicher Rechtsordnung und zwar ungeteilt. Wer vermisst da die ehemalige Heimat. Die BRD hatte damals Geld und Arbeit zu bieten. Ausländerfeindlichkeit und Angst vor dem Islam inklusive. Hat sich alles verändert. Was tun? Wertegeleitete Außenpolitik? Haben andere Länder keine Werte? Die Deutschen sind nicht die „besseren“ aber auch nicht die schlechteren Menschen. Aber angesichts des Katar- Gasdeals wäre Demut angesagt. Und geĝenüber den radikalen Kräften ob links, rechts muslimisch oder sonstiger Gesinnung endlich eine parteiunabhängige! Linie vertreten. Und gegen den Westen gerichtete Kräfte… Read more »

Ketzerlehrling
Ketzerlehrling
8 Tage her

Ein Grüßaugust zum Fremdschämen

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