An der Schwelle zur Deflation

Die Geldflut der Zentralbanken weltweit versickert. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Wohlstand wird vernichtet. Eine verheerende Abwärtsspirale setzt sich in Gang.

 

Die Analysten im Cross Asset Research (was immer das ist) der Societe Generale befürchten eine „längere Phase unterdrückter Inflation“. Sie illustrieren in ihren Grafiken steil sinkende Kurven für die Teuerungsraten im Euroland, besonders für Deutschland. Christopher Wood beschreibt im Greed and Fear-Newsletter von CLSA aus Hong Kong eine “erneute deflationäre Dynamik”. Und von JC Penney bis Macy´s bauen die großen US-Retailer massiv Stellen ab, weil sie enttäuschende Verkaufserlöse registrieren.

Hinzu kommt: Die Fed gibt weniger Gas, die chinesische Notenbank will die Eskalation der Kreditmenge bändigen. Und in den USA übertrifft seit 43 Monaten die Zahl der Arbeitslosen, die sich komplett aus dem Arbeitmarkt abmelden, die Zahl derjenigen, die eine neue Stelle finden. Dieser Schwund zehrt zusätzlich an der Kaufkraft. Die leidet ohnehin, weil sich jeden Tag 10.000 Baby Bommer in die Rente verabschieden.

USA erwarten BIP-Plus

Nach meinem Eindruck sind wir jetzt nur noch einen Rückschlag beim überhöhten Ölpreis von einer Deflation entfernt. Die Frage ist also, wie die Aussichten für 2014 an der Preisfront wirklich sind.

Hierzu ein paar Überlegungen:  Die US-Konjunktur hat 2013 die herben Zwangseinsparungen und das Budget-Debakel einigermaßen überstanden. Im dritten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt laut der jüngsten Aufwärts-Revision um 4,1%. Janet Yellen, die eiserne Lady, die im Februar ihren schweren Fuß auf das Gaspedal der Fed setzen wird, erwartet für 2014 sogar ein BIP-Plus von bis zu 3%. Die Wirtschaft in der Eurozone robbte sich derweil trotz eiserner Sparpolitik an die Grenze zu neuem Wachstum heran. In China scheint eine harte Landung – zumindest vorerst – abgewendet zu sein, obwohl die schweren Verwerfungen im Finanzgewerbe nicht von der Hand zu weisen sind.

„2014 wird alles besser“

Ganz klar: Die globale Wirtschaft hat sich im abgelaufenen Jahr durch massive Herausforderungen hindurch gewunden. Nachgeholfen haben selbstverständlich die Notenbanker von Washington über London bis nach Tokyo. Bankanalysten und Fondsmanager in Europa und den USA verbreiten daher neuen Optimismus. Davon, dass der Wachstums-Schub im dritten Quartal in den USA fast ausschließlich von unverkauften Lagerbeständen herrührte, ist eher selten die Rede.

2014 wird alles besser, sagen uns die Analysten. Es klingt wie ein fernes Echo von Ende 2012. Im neuen Wirtschaftsausblick des weltweit größten Anleihefonds Pimco ist sogar von „synchronisiertem Optimismus“ die Rede. Das klingt fast wie „flächendeckend.“ Doch so weit wollten sich selbst die Geldmanager nicht aus dem Fenster lehnen. Denn die Herausforderungen – vor allem Schulden, die schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung – begleiten uns ins kommende Jahr. Sie haben sich nicht in Luft aufgelöst. Im Gegenteil.

Erwartungen könnten enttäuscht werden

2014 könnte Amerikas banges Warten auf eine nachhaltige Erholung herb enttäuscht werden. Gerade haben die Kreditwächter bei S&P die Wachstumsprognose von 3,1% auf 2,6% gedrosselt. In China droht derweil eine Flut fauler Kredite aus dem Immobilien-Boom die Banken in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Und in Japan hat das BIP-Wachstum zuletzt enttäuscht, trotz der massiven Geldflut der Bank of Japan und der Anschubhilfe der Regierung von Premier Shinzo Abe.

Und in Europa ? Dort haben die Finanzminister der Eurozone in den vergangenen Wochen eine Rahmenvereinbarung über die künftige Bankenunion sowie die Abwicklung insolventer Kreditinstitute ausgearbeitet. Das hört sich ganz gut an.

Neue Runde der Schuldenkrise

Doch die Wahrheit ist: Es braut sich eine neue Runde in der Schuldenkrise zusammen. Diesmal könnte die Sprengkraft noch deutlich größer sein als bei den Rettungsaktionen für Griechenland, Portugal oder Irland.

Bildschirmfoto 2014-01-17 um 11.57.12

Der Zünder für die nächste Krise könnten die Preise sein. Die Teuerungsraten in Europa, in Nordamerika und in Japan liegen deutlich unterhalb dessen, was die Notenbanker sich wünschen und wofür sie ihre Bilanzen auf addierte 10 Billionen Dollar aufgebläht haben. In der Wirtschaft ist das viele Geld nicht angekommen. Die Folge: Der Preisauftrieb lässt deutlich nach und nähert sich der gefährlichen Null-Linie. Ab diesem magischen Punkt bremst die Kreditvergabe erst richtig ab, was in der Eurozone besonders schlimm wäre. Denn 90% der Schulden von Firmen bestehen laut der EZB gegenüber Banken. In den USA ist das weniger als ein Drittel.

Wohlstand wird vernichtet

Mehr noch: Konsumenten verzichten bei Deflation auf Einkäufe, weil sie die gewünschten Produkte in der Zukunft noch billiger bekommen. Firmen drosseln Investitionen und beginnen mit Entlassungen, weil sie auf wachsenden Überkapazitäten sitzen.

Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Wohlstand wird vernichtet. Eine verheerende Abwärtsspirale setzt sich in Gang. Sie aufzuhalten, ist Japan in zwei Jahrzehnten nicht gelungen. Die Last der Schulden wächst in diesem Umfeld gefährlich weiter an. Die existierenden Probleme von Wackelländern eskalieren.

Schuldenspirale beschleunigt sich

In der südlichen Peripherie der Eurozone könnte das 2014 noch einmal die Depression verschärfen und schließlich die Geldunion zersprengen. Die Deflation dürfte für die Eurozone eine verheerende Eigendynamik entfalten: Weil Anleger, Banken und Fonds ihr Geld wieder mehr in vermeintlich sichere Anleihen retten, steigen deren Kurse, die Renditen sinken. Regierungen können sich dank der sinkenden Zinsen dann noch billiger verschulden und machen davon Gebrauch.

Die Schuldenspirale beschleunigt sich. Der Anlauf dafür ist schon genommen. Nachzulesen ist das im Monatsbericht der Bundesbank für den November. Italiens Banken haben ihre Bestände an Regierungsanleihen des eigenen Landes seit November 2011 um 73% auf 415 Milliarden Euro erhöht. Spanische Banken schraubten den Bestand um 81% auf 299 Milliarden Euro nach oben. Die Zuwachsraten betragen in Irland 60%, in Portugal 51%. Der Sondermüll in den Tresoren der Banken wächst ins Unermessliche.

Die Fed scheiterte

Die jüngsten Zahlen zur Teuerung sehen furchterregend aus. In der Eurozone fiel die Teuerung mit 0,8% im Oktober auf den tiefsten Stand seit 47 Monaten. Bankkredite an private Kunden und Firmen purzelten 2,9%. In den USA fiel die Inflationsrate mit 1,1% im Oktober lediglich halb so hoch aus wie die Zielgröße der Zentralbank (Fed). Obwohl die Fed ihre Bilanz durch massive Anleihekäufe auf die Größe des deutschen Bruttoinlandsprodukts aufgebläht hat, konnte sie die erhoffte Teuerung nicht herbeiführen.

Diese würde helfen, die Schulden zu entwerten und den Dollar zum Wohl der Exportwirtschaft zu verbilligen. Fed-Chairman Ben Bernanke muss sich zum Ende seiner Amtszeit eingestehen, dass die größte Geldflut in der Geschichte der Menschheit außer inflationierten Immobilien- und Wertpapierpreisen nicht viel gebracht hat: Die laufende Erholung ist eine der schwächsten, die das Land je nach einer Rezession verzeichnet hat. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Und die soziale Spaltung Amerikas erreicht dramatische Rekorde.

Mangelnde Bankkredite

In Europa führen die sozialen Spannungen immer öfter zu großen Protesten, die sich auch auf die führenden Volkswirtschaften im Kern des Kontinents ausbreiten: Die Steuerproteste in Frankreich und die „Mistgabel“-Bewegung in Italien sind Beispiele. Italiens Innenminister Angelino Alfano warnte dieser Tage, es bestehe die Gefahr, „dass der soziale Protest in eine Revolte gegen nationale und europäische Institutionen entarten kann“.

Bildschirmfoto 2014-01-17 um 11.57.24

In allen großen Wirtschaftsnationen bremsen mangelnde Bankkredite, eine schwache Entwicklung der Geldmenge sowie ausgezehrte Konsumenten die wirtschaftliche Aktivität auf ein Niveau herab, das Notenbankern mit Blick auf die Preisentwicklung Gänsehaut verursacht.

Selbst in Japan, wo die Währungshüter bis Ende 2014 die Geldmenge verdoppeln wollen um die Konjunktur wieder unter Dampf zu setzen, verpuffen die Anstrengungen. Anfang Dezember musste die Regierung Abe die Wachstumsrate für das dritte Quartal drastisch von 1,9% auf nur noch 1,1% reduzieren.

Geldhütern droht ein Scherbenhaufen

Die als Abenomics bekannt gewordene Wachstums-Kampagne des Premiers droht, als potemkinsches Dorf zu enden, eher als gigantische Ruine. Eilig wurde vom Kabinett jetzt ein weiteres Ausgabenprogramm verabschiedet, diesmal im Umfang von über 53 Milliarden Dollar. Die beschlossene Anhebung der Umsatzsteuer von 5% auf 8% im kommenden April könnte die Konjunktur gänzlich abwürgen und in der Bank of Japan eine Panik auslösen. Überall droht den Geldhütern ein Scherbenhaufen.

„Das sieht alles aus wie in Japan in den frühen 90er Jahren“, sagt der Stratege Albert Edwards bei der Societe Generale, „jetzt fehlt nur noch ein Rückfall in die Rezession und wir haben eine ausgemachte Deflation, der Auslöser könnten die Exporte aus Asien sein.“

Auch auf der anderen Seite des Atlantiks wächst die Nervosität. „Die Europäer haben ein ausgemachtes Deflationsproblem und die EZB ist nicht am Schalthebel“, schimpft der Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen an der University of California in Berkeley.

Biblische Geldfluten

Eichengreen empfiehlt der EZB, wie die US-Notenbank durch Käufe von Anleihen Geld ins Finanzsystem zu spülen. Doch EZB-Chef Mario Draghi winkt ab. Die Europäische Zentralbank hat zwar ihr Inflationsziel für die beiden kommenden Jahr auf knapp über 1% gedrosselt. Und sie studiert, wie Japan in den frühen 90er Jahren auf die Implosion der Preise reagierte.

Aber ähnliche Geldfluten wie die Fed zu entfesseln, das will Draghi – zumindest vorerst – nicht. In Wahrheit wird in der EZB heftig gerungen. Denn vor allem die deutschen Repräsentanten sind gegen biblische Geldfluten.

Wozu sich die EZB im kommenden Jahr jedoch recht schnell hinreißen lassen könnte, ist eine weitere Runde langfristiger Ausleihungen an die Geschäftsbanken zu rekordniedrigen Zinsen. Der Druck zu Handeln wächst. Und die Chancen auf nachhaltige Erfolge bleiben gering.

Über Markus Gaertner

Markus Gaertner war über viele Jahre freier Wirtschafts-Korrespondent mit Sitz in Vancouver. Heute arbeitet er für den Kopp-Verlag. Weitere Artikel