EU-Gericht nimmt deutsche Massenklage gegen die EZB an
Bankkreise reagieren überrascht. In Frankfurt war nicht mit der Annahme der von 7000 Bürgern unterstützten Klage gerechnet worden. Die Bürger werfen der EZB "Rechtsbrüche von besonderer Art" vor.
Mario Draghi hat es nicht leicht mit den Deutschen. Nicht nur, dass sie ständig an seinem Verständnis von Geldpolitik zweifeln. Jetzt verklagen sie die von ihm geführte Europäische Zentralbank (EZB) auch noch vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG), das dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nachgeordnet ist. Und das Gericht hat die Klage tatsächlich angenommen und der Zentralbank zur Stellungnahme zugeleitet. Dafür darf sich die EZB nun zwei Monate Zeit lassen.
Die Klage schließt im Grunde nahtlos an die von mehr als 37.000 Bürgern unterstützten Verfassungsbeschwerden gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die von der EZB angekündigten Ankäufe von Staatsanleihen an, die bereits im vergangen Frühsommer eingereicht worden waren.
Die Bürger wollten verhindern, dass über den ESM unwiederbringlich nationale Haushaltskompetenzen und Souveränitätsrechte an die EU abgegeben würden.
„Ungewöhnlicher Schritt“
Ende Juli riefen dann auch die Liberalen nach der Justiz. Es gehe um den „Schutz der deutschen Spareinlagen“, sagte Hessens Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) der „Welt“. Hahn forderte die Bundesregierung auf, eine Klage gegen die Europäische Zentralbank vor dem Europäischen Gerichtshof zu prüfen. Die Pläne von EZB-Präsident Draghi machten diesen „ungewöhnlichen Schritt“ notwendig.
Gänzlich unbeeindruckt von den deutschen Protesten beschloss die EZB dann am 6. September, künftig unbegrenzt Staatsanleihen in Not geratener Euro-Länder an Sekundärmärkten anzukaufen und so die Märkte mit Geld zu fluten.
Wenige Tage später, am 12. September, wies Karlsruhe die Verfassungsbeschwerden gegen den Beitritt Deutschlands zum ESM ab. Allerdings ließ das Gericht die Entscheidung über die Anleihenkäufe der EZB vorerst offen.
Aufgebrachte Bürger
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sagte damals in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“, das Verfassungsgericht werde „sicherlich versuchen, so schnell wie möglich zu einem Ende zu kommen“. Auf einen konkreten Zeitpunkt mochte er sich allerdings nicht festlegen.
Aus der von Hahn lautstark eingeforderten Klage der Bundesregierung gegen die EZB wurde freilich nichts. Es blieb bei den Klagen der aufgebrachten Bürger.
In den Wochen nach dem EZB-Beschluss trommelte die „Zivile Koalition“ zusätzlich zu den Verfassungsbeschwerden für eine Sammelklage vor dem Gericht der Europäischen Union.
„Kampferprobter Anwalt“
„Die EZB hat angekündigt, Staatsanleihen kriselnder Staaten in unbegrenztem Umfang aufzukaufen. Dies ist nichts anderes als Geld drucken, um Staaten zu finanzieren und das auch noch ohne Limit“, schrieb die Vereinsvorsitzende Beatrix von Storch im Internet.
„Staatenfinanzierung ist der EZB gemäß ihren eigenen Statuten jedoch aus guten Gründen ausdrücklich verboten.“ Sie forderte die Leser auf, eine Klagevollmacht herunterzuladen und unterschrieben an den Verein zurückzuschicken.
Juristisch übernahm der durch zahlreiche Klagen vor dem Verfassungsgericht reichlich „kampferprobte“ Berliner Anwalt Markus C. Kerber die Vertretung der Klage, die Mitte November rausging.
Darin wird das europäische Gericht aufgefordert, den Beschluss der EZB vom 6. September 2012 zum Ankauf von Staatsanleihen an Sekundärmarkten „für unvereinbar“ mit Artikel 123-125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu erklären und so weitere Ankäufe zu verhindern.
„Besondere Rechtsbrüche“
Zwischenzeitlich bemängelte das europäische Gericht Formfehler in Kerbers Klageschrift. Diese sind inzwischen beseitigt. Nunmehr unterstützen über 7000 Bürger die Aktion. „Wir werten die offizielle Zustellung der Klage als großen Erfolg“, sagt von Storch. Der ursprüngliche Versuch des Gerichtes, die Klage durch Beanstandungen abzuwehren, sei nicht haltbar gewesen.
Nun müsse es eine Entscheidung in der Sache geben. „Ziel der Klage ist es, die Inflationspolitik der EZB zu stoppen und die Einkommen und Ersparnisse der Bürger zu schützen“, sagt sie.
In der Klageschrift erhebt Kerber schwere Vorwürfe. Die EZB begehe „Rechtsbrüche von besonderer Art“, weil die EZB europäischen Kreditinstituten gegen die Einreichung von Wertpapieren auch minderer Bonität „unbegrenzte Liquidität“ zur Verfügung stelle.
Die EZB betreibe Fiskalpolitik, dabei sei vollkommen unklar, ob die eingeleiteten Maßnahmen überhaupt geeignet seien, den notleidenden Staaten zu helfen.
„Staatlich organisierter Hedgefonds“
Besonders kritisch sieht Kerber das Zusammenwirken von EZB und ESM. Die neu geschaffene mächtige Finanzbehörde sei nichts anderes als ein „staatlich organisierter Hedgefonds“, sagt er.
„EZB-Chef Mario Draghi braucht den ESM, damit er über den Stabilitätsmechanismus Staatsanleihen auch am Primärmarkt kaufen kann“, so der Anwalt. Der ESM reiche die Anleihen dann an die EZB weiter.
So entstehe ein groteske Marktsituation, weil jeder sicher sein könne, dass seine Papiere abgenommen würden.
Nach Informationen von GEOLITICO war in Bankkreisen nicht mit einer Annahme der Klage durch das Gericht der Europäischen Union gerechnet worden. Man sei überrascht, hieß es in Frankfurt, wo Juristen und Ökonomen in den Glastürmen der großen Geldinstitute sehr genau den anhaltenden Protest gegen die Euro-Politik. Sie werten Klagenschriften und Urteile aus. Ihre Expertisen fließen in die Strategieplanungen der Geldhäuser ein.
Geschrieben für „Die Welt„