Befangenheitsantrag gegen Richter Huber im ESM-Verfahren
Wenige Tage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Gesetz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wird das Verfahren durch einen Befangenheitsantrag belastet. Der Eil-Antrag richtet sich ausgerechnet gegen den Berichterstatter im ESM-Verfahren, Prof. Dr. Peter M. Huber. Begründet wird er mit Hubers früherer Tätigkeit für den Verein „Mehr direkte Demokratie e.V.“, über dessen Klage am 12. September vom Zweiten Senat entschieden werden soll. Außerdem soll die Klage des Vereins inhaltlich durch Äußerungen des Verfassungsrichters inspiriert worden sein.
Bereits im Juli war Hubers frühere Mitgliedschaft im Kuratorium des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ bekannt geworden. Brisant erschien die Verbindung zwischen dem Verfassungsrichter und dem Verein vor allem deshalb, weil der Verein dem Kuratorium eine herausgehobene Stellung zuschreibt. Kuratoriumsmitglieder nähmen repräsentative Aufgaben wahr, heißt es in den Statuten. Das wiederum setzt eine hohe Identifikation mit den Zielen des Vereins voraus.
Wörtlich schreibt „Mehr Demokratie e.V.“ in seiner Satzung fest: „Das Kuratorium repräsentiert die Ziele des Vereins nach außen und berät den Vorstand. Seine Mitglieder werden auf Vorschlag von Vereinsmitgliedern vom Vorstand ernannt. Das Amt eines Kuratoriumsmitglieds ist unbefristet (…).“
Erst am 12. Mai teilte Huber dem Verein schriftlich sein Ausscheiden aus dem Kuratorium mit. Zu diesem Zeitpunkt lief allerdings bereits die Vereins-Kampagne „Aufruf für mehr Demokratie in Europa. Sagen Sie Ja zu … Volksentscheiden über Euro-Rettungsschirm und Fiskalvertrag, zu einem Konvent zur Zukunft der EU. Jetzt Verfassungsbeschwerde unterstützen.“ Der Verein hatte die Kampagne im April gestartet.
Bereits am 30. April soll Huber allerdings schriftlich auf die drohende Klage von „Mehr Demokratie e.V.“ aufmerksam gemacht worden sein. Das behauptet die Wuppertalerin Sarah Luiza Hassel-Reusing. In dem von ihr eingereichten Befangenheitsantrag führt sie darüber hinaus weitere Gründe dafür an, die sie ernsthaft an der Unbefangenheit Hubers im ESM-Verfahren zweifeln lassen.
In ihrem Antrag schreibt Hassel-Reusing über Huber: „Der Befangene ist nach den im Anhang beigefügten Beweismitteln zumindest für die Jahre 2009, 2010 und 2011 (…) Mitherausgeber des ,Jahrbuchs Demokratie’ gewesen.“ Das Buch werde der dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“ nahe stehenden Organisation „Omnibus für Direkte Demokratie“ beworben. „Die übrigen Herausgeber sind alle ebenfalls Mitglieder des Kuratoriums von ,Mehr Demokratie“, heißt es in dem Befangenheitsantrag.
Erst Hubers Mitgliedschaft im Vereins-Kuratorium habe es ihm ermöglicht, Mitherausgeber des Jahrbuchs zu sein, schreibt Hassel-Reusing und vermutet, dass es sich bei der Herausgeberschaft um eine im weitesten Sinne als „beruflich“ zu bezeichnende Tätigkeit handeln könnte: „Wer ein Buch mitherausgibt, erzielt damit üblicherweise Einnahmen.“
Sarah Luiza Hassel-Reusing ist, wie der Verein „Mehr Demokratie e.V.“, Klägerin im ESM-Verfahren vor dem Verfassungsgericht. Allerdings wurde ihre Klage im Gegensatz zu der des Vereins nicht zur Entscheidung am 12. September zugelassen. Am 25. Juli hatte Richter Huber an Frau Hassel-Reusing geschrieben: „Neben Ihrer Verfassungsbeschwerde sind beim Bundesverfassungsgericht eine Vielzahl weiterer Verfahren eingegangen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Bearbeitung Ihrer Verfassungsbeschwerde vor diesem Hintergrund zunächst zurückgestellt wird.“
Inhaltlich unterscheidet sich die Verfassungsklage der Wuppertalerin substanziell von der des Vereins. Während Hassel-Reusing den ESM grundsätzlich verhindern will, strebt „Mehr Demokratie e.V.“ einen Volksentscheid über den ESM an. Dem Verein geht es folglich vor allem um die Vorgehensweise, er stellt aus demokratiepolitischen Gründen die geplante europäische Finanzbehörde mit ihren weitreichenden Befugnissen in Frage.
„Huber hat vor einem Jahr in einem Interview der Süddeutschen Zeitung genau das vorgegeben, was ,Mehr Demokratie’ jetzt einklagt“, sagt Hassel-Reusing gegenüber der „Welt“. In dem Interview war Huber über die Einsetzung einer europäischen Wirtschaftsregierung befragt worden. Damals sagte Huber, letztlich werde eine solche Wirtschaftsregierung wohl „auf leisen Sohlen durch ganz unspektakuläre Schritte“ kommen.
Auf die Frage „Das deutsche Volk würde sich also ein neues Grundgesetz geben, das sich in Europa auflösen kann?“, antwortete Huber damals: „Das kann sich auf wenige geänderte Sätze im EU-Artikel 23 des Grundgesetzes sowie in der Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 beschränken. Man müsste dort einen Vorbehalt für eine Wirtschaftsregierung der Europäischen Union hineinschreiben. In der Sache aber wäre es eine Revolution.“
In ihrem Befangenheitsantrag nimmt Hassel-Reusing explizit Bezug auf diese Passage. „Der Klageantrag von ,Mehr Demokratie e.V.’ geht über BVR Prof. Dr. Hubers damalige revolutionäre Überlegungen nur noch insoweit hinaus, als er das Aufbrechen zusätzlich auch für den ESM und für Art. 136 Abs. 3 AEUV (Anm. der Red.: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) will“, heißt es dort.
Gegenüber der „Welt“ erläutert sie ihre Haltung so: „Ich fürchte, dass am 12. September auch so geurteilt wird. Dass also das Verfassungsgericht sagt, der ESM sei mit dem Grundgesetz nicht zu machen und die Richter deshalb eine verfassungsgebende Versammlung für ein neues Grundgesetz fordern.“ Ihr gehe es um einen fairen Ausgleich zwischen Gläubigern und Einwohnern der Staaten am Maßstab der Verfassung des Schuldnerlandes und der im Schuldnerland geltenden universellen Menschenrechte.
Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ bestätigt derweil, Richter Huber sei, wie von Hassel-Reusing angemerkt, tatsächlich Mitherausgeber des „Jahrbuchs Demokratie“ gewesen. Zu der von der Wuppertalerin aufgeworfenen Frage der Einnahmen sagt Vereinssprecherin Anne Dänner: „Das Jahrbuch muss natürlich beim Verlag bezahlt werden. Die meisten Exemplare, die ,Mehr Demokratie’ selbst aufkauft, verkauft der Verein wieder zum Selbstkostenpreis. Insgesamt entstehen dem Verein mit dem Jahrbuchprojekt aber Verluste – es geht nicht um Einnahmen, sondern darum, aktuelle Forschungen zum Thema direkte Demokratie in der Fachwelt und bei Interessierten publik zu machen.“
Auf seiner Internetseite listet der Verein 24 Fragen und Antworten zu seiner Verfassungsbeschwerde auf. Darunter wird auch der Punkt erörtert: „Ist Verfassungsrichter Peter M. Huber befangen, weil er Kuratoriumsmitglied von Mehr Demokratie e.V. war?“
In seiner Antwort schreibt der Verein, Kuratoren müssten nicht zwingend Mitglied im Verein sein. Auch Richter Huber sei nicht Vereinsmitglied gewesen. Außerdem habe er „seit mehreren Jahren“ keine Kuratoriumssitzung mehr besucht. Huber habe seine Mitgliedschaft im Kuratorium gekündigt, „als er aus der Presse von der geplanten Verfassungsbeschwerde ,Europa braucht mehr Demokratie’ erfuhr, um jeden Anschein von Voreingenommenheit zu vermeiden“. Wörtlich heißt es dort: „Selbst wenn er weiterhin im Kuratorium wäre, wäre Huber nach dem Bundesverfassungsgerichts-Gesetz nicht befangen.“
Auf Anfrage der „Welt“ bestätigt das Gericht zwar den Eingang des Befangenheitsantrags gegen Richter Huber, mag sich aber zum Sachverhalt nicht weiter dazu äußern. „Der Antrag ist eingegangen“, sagt Gerichtssprecherin Judith Blohm lediglich. „Wie in allen anderen laufenden Verfahren können wird dazu noch nichts sagen.“
Es sei allerdings nicht zu erwarten, dass das ESM-Verfahren am 12. September durch den Befangenheitsantrag beeinträchtigt werde, hieß es im Umfeld des Gerichts. Denn ein solcher Antrag beziehe sich immer nur auf das Verfahren des Antragstellers.
Geschrieben für Welt Online