Selbstzensur des Bundestages in der Euro-Politik

Drucksache des Haushaltsausschusses

Drucksache des Haushaltsausschusses

In seinem Urteil vom Februar dieses Jahres über die Beteiligungsrechte des Bundestages an der Euro-Politik hat das Bundesverfassungsgericht der Regierung klare Vorgaben gemacht. Damals ordneten die Richter an: „Die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag in Angelegenheiten dieses Gesetzes umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten.“ Kaum vier Monate später sieht es ganz so aus, als entließen die Abgeordneten die Regierung leichtfertig und aus freien Stücken wieder aus dieser Pflicht.

Mehr noch, sie lassen zu, dass vorab nur ein klein gehaltener exklusiver Kreis von Abgeordneten „fernmündlich“ über „Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen der Euro-Stabilisierung während der sitzungsfreien Zeit vom 2. Juli bis 7. September 2012“ unterrichtet wird. So jedenfalls beschloss es der Haushaltsausschuss am 27. Juni in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause unter „Top 1 Aktuelle Unterrichtungen“.

Nachzulesen ist dies in der Ausschuss-Drucksache 4566. Überschrieben ist sie mit den Worten „Einvernehmlicher Beschluss“ und suggeriert, es habe keinerlei Gegenstimmen oder sonstigen Protest gegen dieses Vorgehen gegeben.

Glaubt man allerdings dem CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, dann ist dieser Beschluss keineswegs einvernehmlich zustande gekommen. In einem Protestbrief an die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Petra Merkel (SPD), schreibt er:  „Zunächst weise ich darauf hin, dass hierzu nicht einvernehmlich Beschluss gefasst worden ist. Mindestens ich habe nicht zugestimmt.“ Und weiter: „Ich widerspreche diesem Verfahren hiermit ausdrücklich.“

Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, warum „ein exklusiver Zirkel von Abgeordneten seitens der Bundesregierung informiert“ werde und die Unterrichtung darüber hinaus nur telefonisch erfolgen solle. Gerade diese Vorgehensweise, bei der nur wenige Abgeordnete eingeweiht würden, habe das Verfassungsgericht schließlich mehrfach gerügt.

„Nun konstituiert sich hier informell ein Gremium, das von der Bundesregierung bevorzugt unterrichtet wird und dann entscheidet, ob Informationen weitergegeben werden oder nicht“, schreibt der CDU-Politiker an Merkel. „Dies ist nichts anderes als eine Vorzensur, die ich nicht dulden kann.“

Gegenüber „Welt Online“ wies die Vorsitzende des Haushaltsausschusses die Kritik zurück. „Dieses Verfahren entspricht dem Beschluss der Obleute und begründet sich auf  Erfahrungen während der sitzungsfreien Zeiten, ein Verfahren, das seit vielen Jahren praktiziert wird“, sagte die SPD-Politikerin Merkel. So sei sichergestellt, „dass alle Aufgaben auch während der sitzungsfreien Zeit erfüllt werden“.

Tatsächlich fasste der Ausschuss im vergangenen Jahr einen fast gleichlautenden Beschluss. Nur gab es da das Urteil des Verfassungsgerichtes noch nicht.

Ganz entschieden widersprach Merkel der Darstellung, Willsch habe gegen das Vorgehen noch während der Ausschusssitzung protestiert. „Jedes Mitglied hat das Recht, Änderungen vorzuschlagen oder dem Verfahren zu widersprechen. Dies hat niemand getan“, so Merkel. Im Übrigen sehe sie nicht, dass das Verfahren gegen die Vorgaben des Verfassungsgerichtes verstoße.

Sicher ist jedoch, dass nur eine kleine Gruppe aus dem Haushaltsausschuss mündlich über aktuelle Rettungs-Maßnahmen der Bundesregierung in der Euro-Politik informiert wird. Dazu zählen die Obleute der Fraktionen, die Ausschuss-Vorsitzende und ihr Stellvertreter, mithin als sieben der insgesamt 41 Mitglieder. Sämtliche Mitglieder des Ausschusses werden erst nach der Telefonkonferenz der Sieben mit der Regierung schriftlich unterrichtet.

„Was weiß ich, was die dann telefonisch ausgehandelt haben“, sagt Willsch. „Ich fordere, dass alle Mitglieder des Haushaltsausschusses zum gleichen Zeitpunkt unterrichtet werden. Die Unterrichtung muss schriftlich erfolgen. Falls eine schriftliche Unterrichtung nicht möglich ist, muss die Telefonkonferenz frühestmöglich angekündigt und eine Teilnahme allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses offen stehen“, heißt es in seinem Brief an Merkel. Derzeit sieht es allerdings nicht so aus, als ob er mit seiner Forderung durchkäme.

Günther Lachmann am 7. Juli 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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