Spielt Mozarts Requiem zur Beerdigung der Banken
Oft sind die Wege politischer Entscheidungsfindung verworren und für den Wähler nur schwer zu durchschauern. Das gilt auch oder besonders für komplexe Sachverhalte wie die Hilfe für Griechenland. Sollen wir dem Land helfen? Wenn ja, wie sollen wir helfen? Vor einem Jahr wurde im Bundestag das erste Hilfsprogramm für Athen verabschiedet. Wer heute noch einmal das stenografische Protokoll der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses dazu liest, der wundert sich schon, wie einige Teilnehmer damals mit dem Thema umgegangen sind.
Der Ausschuss trat kurzfristig am 5. Mai 2010 gegen 10.30 Uhr zusammen. Auf der Tagesordnung stand der „Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik“.
Eilig waren unter anderen auch Bundesbank-Chef Axel Weber und der Chef der Finanzdienstleistungsaufsicht, Jochen Sanio, in das Reichstagsgebäude eingeladen worden. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern für uns alle außergewöhnliche Sitzungstermine“, begrüßte die Ausschussvorsitzende Petra Merkel die Runde. „Ich bin Ihnen daher besonders dankbar, dass Sie heute hier erschienen sind.“ An dieser Stelle notiert das Protokoll „Beifall“. „Das kann man auch einmal beklatschen“, sagte Merkel. Dann ging es zur Sache.
Bundesbank-Chef Axel Weber warb – ganz im Sinne von Bundeskanzlerin Angela Merkel – für an strenge Sparauflagen gekoppelte Hilfszahlen an die Griechen. „Die Maßnahmen, die jetzt geplant sind, erlauben es Griechenland, durch Umsetzung dieses Paketes das Vertrauen an den Märkten wiederzugewinnen (…) Wenn dieses Programm umgesetzt wird, dann sind wir einen ganz deutlichen Schritt weiter“, sagte Weber, der heute sicherlich nur ungern an diese Worte erinnert wird.
Den Chef der Finanzdienstleistungsaufsicht, Jochen Sanio, wiederum trieb das Risiko jener deutscher Banken um, die dem maroden Griechenland all jene Milliarden Euro geliehen hatten, mit denen sich das Land so hoch verschuldete. Völlig zu Recht warf er die Frage auf, ob der Staat die Banken noch einmal retten solle, falls der griechische Staatsbankrott doch nicht abzuwenden sei.
„Wir alle sind uns einig: Der Staat hat das einmal getan und soll das nicht ein zweites Mal tun“, sagte er. Nach aufmerksamem Lesen des Protokolls wäre es aber wohl falsch anzunehmen, Sanio habe diese Sätze aus der Überzeugung gesagt, eine solche Rettung sei dem Steuerzahler weder finanziell noch moralisch zuzumuten, da es ja schließlich auch eine Verantwortung der Banken gebe.
Nein, Sanio fürchtete die Bankenrettung aus einen ganz anderen Grund: „Sonst kommen die Steuerzahler und hängen uns alle auf“, offenbarte er den Abgeordneten. „Das möchten wir nicht. Wir müssen nach Lösungen suchen, um das zu vermeiden.“ Darum müsse die Politik „innovative Beerdigungsmöglichkeiten“ gesetzlich verankern.
Und nun, da das Griechenland-Thema bei mordenden Steuerzahlern und der Beisetzung deutscher Banken angekommen war, horchte auch der bis dahin schweigsame Unions-Abgeordnete Leo Dautzenberg auf. „Das Requiem von Mozart spielen wir dann; das ist so schön“, entfuhr es ihm. „Ich stehe dieser Idee positiv gegenüber.“
Mit einem „schönen Dank“ an alle Sachverständigen schloss Petra Merkel die Sitzung.
Zwei Tage später verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von 390 Abgeordneten, das hochverschuldete Griechenland bis zum Jahr 2012 mit 22,4 Milliarden Euro zu unterstützen. Geholfen hat es dem Land nicht. Im Gegenteil. Daher wird der deutsche Steuerzahler wohl für zusätzliche Milliarden Euro bürgen müssen.
Günther Lachmann am 19. Mai für Welt Online