AfD-Chef Lucke denkt an Rückzug

Es könne sein, dass er nicht wieder für die AfD-Spitze kandidiere, sagt Parteichef Bernd Lucke im Interview. Grund ist der Streit um eine neue Führungsstruktur.

Herr Lucke, die AfD-Spitze streitet um Macht und Einfluss in der Partei, um Positionen und Inhalte. Das geht zum Teil tief ins Persönliche. Was ist los mit der AfD?

Bernd Lucke: Sie dramatisieren. Es gibt unterschiedliche Auffassungen über die künftige Führungsstruktur der Partei.

Das wissen wir. Aber warum wird in dieser Form gestritten?

Lucke: Zu parteiinternen Auseinandersetzungen äußere ich mich generell nur parteiintern.

Also gut: Sie wollen der AfD eine neue Führungsstruktur geben, die Sie als alleinigen Vorsitzenden vorsieht. Warum?

Lucke: Das ist eine Unterstellung. Ich möchte, dass die AfD künftig nur einen Vorsitzenden hat. Und die Partei ist völlig frei, wen sie als Vorsitzenden wählt. Ich habe bislang noch nicht einmal meine Bereitschaft zu einer Kandidatur erklärt.

Kann es sein, dass Sie gar nicht antreten?

Lucke: Das kann sein.

Unter welchen Umständen wäre das so?

Lucke: Das werde ich auf dem Satzungsparteitag Ende des Monats in Bremen erläutern. Dort werde ich eine persönliche Erklärung abgeben.

Wann wird dann der neue Vorstand gewählt?

Lucke: Vermutlich im April.

Warum wollen Sie die Parteiführung auf einen Vorsitzenden plus Generalsekretär verengen?

Lucke: Das will keineswegs nur ich. Das ist seit einem Jahr mehrfach von unterschiedlichen Gremien immer wieder so vorgeschlagen worden. Ein wesentlicher Grund ist, dass wir eine professionellere Führungsstruktur brauchen. Bislang haben wir ehrenamtlich, mit hohen Reibungsverlusten und teilweise wirklich stümperhaft gearbeitet.

Das heißt, die Dreierspitze hat sich Ihrer Ansicht nach nicht bewährt?

Lucke: So ist es. Sie hat sich nicht bewährt.

Warum nicht? Was ist schiefgelaufen?

Lucke: Selbst drei Sprecher, die eigentlich gut mit einander harmoniert haben, sind nicht immer einer Meinung. Die Gleichberechtigung der Sprecher wirkt dann hemmend. Außerdem ist der Arbeitsanfall in einer Partei unserer Größe unglaublich hoch und kann von einem rein ehrenamtlich arbeitenden Vorstand mit zehn oder zwölf Mitgliedern gar nicht mehr bewältigt werden.

Könnten Sie sich auch andere Lösungen als eine Einerspitze oder eine Dreierspitze vorstellen?

Lucke: Ich halte es für richtig, dass es nur einen Parteivorsitzenden gibt. Es ist für die Außenwirkung wichtig, dass die Vorsitzenden nicht thematisch gegeneinander ausgespielt werden können. Es ist im Innenverhältnis wichtig, wo ein hauptberuflicher Generalsekretär keine Loyalitätskonflikte haben darf, wenn mehrere gleichberechtigte Vorsitzende ihm unterschiedliche Weisungen geben.

Hans-Olaf Henkel spricht von „Unvernünftigen, Intoleranten und Unanständigen“, die die Partei loswerden müsse. Gibt es solche Leute in der Partei?

Lucke: In welcher Organisation mit mehr als 20.000 Mitgliedern gäbe es solche Leute nicht? Und natürlich will man solche Leute nicht haben. Vernunft ist unser Grundprinzip, Toleranz und Anstand gehören zu unseren Grundwerten.

Offenbar zählt Henkel auch Ihren Ko-Sprecher Adam dazu. Jedenfalls wünscht er sich dessen Abgang, sprich das Ende dessen politischer Karriere. Was ist das für ein Umgang miteinander?

Lucke: Noch einmal: Parteiinterne Auseinandersetzungen kommentiere ich nur parteiintern.

In einem Brief führender Mitglieder an Sie heißt es, Sie hätten alle jene aus der Partei verweisen wollen, die etwas gegen das Zinssystem haben und US-Banken kritisch gegenüberstehen. Stimmt das?

Lucke: Das stimmt nicht und das wäre auch rechtlich gar nicht möglich. Richtig ist, dass ich mit meinen Sprecher-Kollegen und den stellvertretenden Sprechern in einer Botschaft an die Mitglieder klarstellen wollte, dass die AfD für die Inhalte steht, die wir in unseren Programmen beschlossen haben und nicht für irgendwelche obskuren Verschwörungstheorien.

Warum behaupten dann Ihre Parteifreunde, dass Sie Leute aus der Partei drängen wollten?

Lucke: Tut mir leid, ich werde hier nicht darüber spekulieren, welche Motive diesem Brief zugrunde liegen. Die Verfasser sind gute und verdiente AfD-Vertreter, die sicherlich das Beste für die Partei wollen.

Zum Führungsstreit in der AfD gehört auch die unterschiedliche Beurteilung von gesellschaftlichen Bewegungen wie Pegida oder der Mahnwachenbewegung…

Lucke: Nein, das ist nicht Teil des Führungsstreits. Die ganze AfD-Führung sieht Pegida als heterogenes und schwer einzuschätzendes Phänomen. Wir sind uns einig, dass man die Anliegen der Menschen prüfen und aufnehmen sollte, soweit sie berechtigt sind. Wir sind uns auch einig darüber, dass Toleranz und Religionsfreiheit zu den Werten des

Abendlandes gehören.

Das klingt aber bei Alexander Gauland anders, der sagt: „Die Pegida-Demonstranten sind unsere natürlichen Verbündeten.“ Würden auch Sie sagen, Pegida-Demonstranten sind AfD-Wähler oder potenzielle AfD-Wähler?

Lucke: Ich betrachte eigentlich alle grundgesetztreuen Bürger als potenzielle AfD-Wähler. Pegida-Demonstranten, die unsere Anschauungen und Werte teilen, sind uns als Wähler willkommen. Pegida-Demonstranten, die das nicht tun, sollen andere Parteien wählen.

Pegida warnt vor einer Islamisierung Europas. Anlässlich des von Islamisten in Paris angerichteten Blutbades hat die AfD vorgeschlagen, dass alle Parteien, alle Religionsgemeinschaften, alle Bürgerbewegungen gemeinsam am folgenden Montag in Dresden zu einem Trauermarsch aufrufen sollten. Ist das nicht das bisher deutlichste Bekenntnis der AfD zu Pegida?

Lucke: Das ist kein Bekenntnis zu Pegida. Das ist ein Aufruf zur gemeinsamen Trauer für die Opfer von Paris. Es ist ein Aufruf dazu, dass wir angesichts der schrecklichen Mordtat die Spaltungen, die sich in unserer Gesellschaft auftun, überwinden sollten und uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen sollen. Wäre es nicht eine eindrucksvolle Geste, wenn Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen, darunter Vertreter von Muslimen und Vertreter von Pegida, gemeinsam um die Toten trauern würden? Und vielleicht nachher auch alle einmal unvoreingenommen miteinander sprechen würden?

Warum laden Sie nicht nach Berlin ein…

Lucke: …Weil wir ja gerade nicht ausgrenzen wollen. Wir wollen Gräben zuschütten, nicht Wälle aufwerfen. Und warum, bitte, sollen Pegida-Demonstranten von der Trauer um die Toten von Paris ausgeschlossen werden?

Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen ist es immer wieder zu gewaltsamen Protesten und Mordanschlägen gekommen. Passen Islam und Meinungsfreiheit nicht zusammen?

Lucke: Ich wehre mich entschieden gegen eine pauschale Verurteilung einer großen Religionsgemeinschaft. Ich bin für religiöse Toleranz und kenne viele Muslime, die die Meinungsfreiheit uneingeschränkt bejahen. Mein Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament ist ein gläubiger Muslim, der bewusst die Mohammed-Karikaturen jenes dänischen Karikaturisten in seinem Büro aufgehängt hat, nachdem dieser von religiösen Fanatikern angegriffen worden war. Für die westliche Welt muss unverrückbar feststehen, dass Gewalttätigkeit und Intoleranz hier nichts zu suchen haben – und deshalb kann auch die Reaktion des Westens auf das Blutbad in Paris nicht darin bestehen, dass der Westen zur Intoleranz zurückkehrt.

Vor den Kriegen in der islamischen Welt fliehen viele Menschen nach Europa. Wie gut ist Deutschland darauf vorbereitet?

Lucke: Es ist offenkundig, dass die Kommunen große Schwierigkeiten haben, die Flüchtlinge angemessen unterzubringen. Ich glaube, dass wir mit unserer Hilfe nur einen sehr kleinen Teil der tatsächlich hilfebedürftigen Menschen erreichen. Denn weit über zehn Millionen Menschen brauchen Hilfe. Und in dieser Größenordnung können Flüchtlinge nicht in Europa integriert werden. Dazu müssen Lösungen und Integrationskonzepte in den Nachbarländern der Konfliktregionen geschaffen werden.

Wie soll das geschehen?

Lucke: Was arabische Flüchtlinge betrifft, sind alle arabischen Länder gefordert, bei kurdischen Flüchtlingen Länder mit kurdischen Bevölkerungsgruppen. Wichtig ist, dass die Flüchtlinge wirklich integriert werden und nicht einfach nur jahrelang in Lager zusammengepfercht werden. Sie müssen möglichst bald wieder wirtschaftlich Fuß fassen können. Integrationspolitik muss mit Wirtschaftsförderung verbunden werden und an den Lasten, die den aufnehmenden Ländern entstehen, sollten sich alle Staaten beteiligen, die sich der Menschlichkeit verpflichtet fühlen. Integration kann schnell erfolgreich sein, wenn die Flüchtlinge die Landessprache schon sprechen. Denken Sie an die erfolgreiche Eingliederung, die Deutschland nach 1945 mit Millionen Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten gelungen ist.

Nach wie vor ist die Russlandfrage in der AfD ungelöst. Alexander Gauland wirbt um Verständnis für die russischen Bedürfnisse, Sie haben der Vorbereitung von Sanktionen im EU-Parlament zugestimmt. Kann sich eine Partei einen so tiefgreifenden Dissenz leisten?

Lucke: Wir sind uns einiger als Sie denken. Gauland und ich sind uns einig, dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig war. Dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu respektieren ist. Dass nationale Minderheiten das Recht haben, in einer freien und fairen Volksabstimmung eine Sezession zu verlangen. Und wir sind uns einig, dass Deutschland Teil der Nato sein soll. Das sind, glaube ich, eine ganze Menge Gemeinsamkeiten.

Die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Auch zum Freihandelsabkommen mit den USA scheint die AfD völlig zerstritten.

Lucke: Stimmt nicht. Es gibt einfach viele Aufgeregtheiten, die unberechtigt sind, weil das Vertragswerk ja noch gar nicht vorliegt. Ich selbst habe mir noch keine abschließende Meinung über das Abkommen gebildet. Die AfD ist grundsätzlich für freien Handel, weil er Wirtschaftswachstum und Wohlstand begünstigt. Gleichzeitig sind wir gegen eine Einschränkung nationaler Hoheitsrechte durch die geplanten supranationalen Schiedsgerichte.

Das klingt eher, als seien auch Sie dagegen…

Lucke: Wogegen? Die Verhandlungen über Schiedsgerichte wurden von der EU aufs Eis gelegt. Viele regulatorische Vereinbarungen sind noch nicht bekannt oder noch nicht verhandelt. Ich bin für freien Handel, aber ich muss die Bestimmungen kennen, bevor ich weiß, wie ich zu TTIP stehe.

Die Wahlkämpfe in Ostdeutschland haben andere Themen auf der AfD-Agenda nach oben geschoben wie die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Hat das die Partei beeinflusst oder gar verändert?

Lucke: Nein. Wir waren nie eine Ein-Themen-Partei. Aber manche Medien wollten uns gerne so sehen. Aber dann mussten sie über uns in den Landtagswahlkämpfen berichten und da fiel ihnen plötzlich auf, dass wir auch zu Innerer Sicherheit, zur Familienpolitik und zur Bildungspolitik was zu sagen haben.

Also, Alexander Gauland sagt immer wieder, die AfD sei eine national-liberale Partei geworden. Hat er Recht?

Lucke: Es gibt eine national-liberale Strömung. Aber sie kennzeichnet nicht die ganze Partei. Es gibt auch konservative, liberale, libertäre, soziale und christliche Strömungen. Gemeinsam ist uns allen, dass wir eine stärkere Wertorientierung in der Politik durchsetzten möchten.

Ist die AfD patriotisch?

Lucke: Mir persönlich ist das Wort zu pathetisch. Die AfD setzt sich für eine Politik zum Wohle des deutschen Wählers ein. Wenn Sie das patriotisch nennen wollen, dann wären wir patriotisch.

Wo sehen Sie die künftigen Wähler der AfD?

Lucke: Das sind vor allem Menschen, die sich von den Altparteien abwenden, weil sie sie als inhaltsleer und opportunistisch empfinden. Es sind Menschen aus der Mitte des Bürgertums, die eine wertorientierte Politik vermissen und bei uns finden.

 

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel