Das Mysterium AfD und das Geheimnis ihres Erfolges
Die Alternative für Deutschland ist keine Graswurzelbewegung, sondern das Projekt von Eliten. Sie ist eng verbunden mit der Wirtschaft - und gilt doch als Anwalt der Bürger. Wie macht sie das nur?
Wie ein Tsunami dringt die Alternative für Deutschland in das Bewusstsein der deutschen Wahlöffentlichkeit. Obwohl gerade mal vier Monate alt, zählt sie bereits über 17.000 Mitglieder. Der Nazi-Verdacht gegen sie verfängt bei den Bürgern bislang ebenso wenig wie der Vorwurf der Ein-Themen-Partei. Tätliche Angriffe aus dem linksautonomen Lager auf AfD-Wahlkämpfer machen die Partei nur noch interessanter.
In den Umfragen zur Bundestagswahl kommt sie zwar nur kurzzeitig über drei Prozent hinaus, dennoch mag kaum eine politische Talkshow heute auf sie verzichten. Und wenn die Demoskopen ihre Vorhersagen für den Wahlausgang veröffentlichen, schauen inzwischen alle zuerst auf die für die AfD ermittelten Zahlen, weil ihr Einzug in den Bundestag die deutsche Politik gehörig durcheinanderwirbeln und am Ende möglicherweise gar Angela Merkel die Macht kosten könnte. Kein Zweifel: Wenn überhaupt eine Partei diesen Wahlkampf spannend macht und den wahlmüden deutschen Wähler wachrüttelt, dann ist es die AfD.
Keine Graswurzelbewegung
Landauf, landab kehren Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke ihren Parteien den Rücken und schließen sich der AfD an. Sie formen eine Organisation, die offenbar in der Lage ist, sowohl linke wie auch konservative Erwartungen gleichermaßen zu erfüllen. Langjährige Wahlkreiskandidaten staunen jedenfalls nicht schlecht, als die neue Konkurrenz in Windeseile oft ein Vielfaches der für die Teilnahme an der Bundestagswahl notwendigen 2000 Stimmen erhält.
Seither bezeichnet die AfD sich selbst gern als Graswurzelbewegung, sie benutzt das Bild einer aus der Basis der Bevölkerung heraus entstehenden politischen Initiative. Damit will sie ihre enge Bindung an die Sorgen und Nöte der Menschen herausstellen. Dieses Bild jedoch stimmt so nicht.
Nähe zu den Familienunternehmern
Geboren wird die AfD nämlich aus dem Protest von Ökonomen gegen die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung und der Angst von Unternehmern vor dem Zusammenbruch des Währungssystems. Dabei verstehen sich die regierungskritischen Volkswirte und Staatsrechtler von Beginn an ganz selbstverständlich als Anwälte deutscher Vermögensinteressen. Wie eng beide Seiten einander verbunden sind, zeigt etwa die Nähe der Familienunternehmer zur Partei.
Folglich entsteht die Afd nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern ist vielmehr eine Idee von Eliten. Zu den Geburtswehen dieser Idee gehörten Klagen gegen die Euro-Rettungspolitik vor dem Bundesverfassungsgericht, eine von 189 Professoren unterzeichnete Stellungnahme gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), ein „Bündnis Bürgerwille“ und der Versuch, die finanzpolitischen Einwände gegen die Euro-Rettungspolitik über den Bundesverband der Freien Wähler in die Parlamente zu tragen.
Konservativ verortet
Alle diese Versuche scheiterten. Weil er sich damit nicht abfinden wollte, hatte der heutige AfD-Chef Bernd Lucke bereits vor seinem enttäuschenden Abschneiden auf der Liste der Freien Wähler bei der Landtagswahl in Niedersachsen die „Wahlalternative 2013“ ins Leben gerufen und dort mit dem Publizisten Konrad Adam und dem früheren CDU-Staatssekretär Alexander Gauland erstmals auch prominente Nichtökonomen als Mistreiter gefunden. Mit den beiden wurde die Idee der politischen Alternative weltanschaulich klar konservativ verortet. Bis heute bilden die Drei den Nukleus der dann im Mai 2013 offiziell gegründeten neuen Partei.
Die Geschichte lehrt, dass es in der Regel gesellschaftliche Spannungen sind, die zur Gründung von Parteien führen. Im 19. Jahrhundert etwa war es das Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Kapital, aus dem über die Arbeiterbewegung letztlich die Sozialdemokratie und die kommunistische Partei hervorgingen. Aus dem religiösen Konflikt zwischen Staat und Kirche bildete sich die Zentrumspartei als Arm des politischen Katholizismus heraus. Und in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchs aus einer Vielzahl zumeist von jungen Menschen gebildeten Gruppen gegen Atomkraft und Nachrüstung die Partei Die Grünen. In allen drei Fällen ist die politische Anbindung der Parteien an gesellschaftliche Milieus und Schichten augenfällig.
Partei der Unzufriedenen
Bei der AfD ist dies auf den ersten Blick nicht der Fall, sieht man mal von der engen Bindung an die Unternehmer ab, die zur Idee einer neuen Partei beigetragen haben. Anders auch als in den Gründungstagen von Sozialdemokraten und Grünen gibt es keine breite gesellschaftliche Strömung, der die AfD ganz offensichtlich zugeordnet werden könnte. Zwischen den Parteigründern und den Bürgern schien es anfangs so gut wie keine Berührungspunkte zu geben. Und als Konrad Adam im Frühjahr 2013 den Saal in Oberursel für eine erste Versammlung mietete, fürchtete er ernsthaft, dass kaum jemand seiner Einladung folgen würde.
Am Ende kamen rund 1000 Leute und weit mehr, als der Saal fassen konnte. Woran lag das? Über die Jahre hatte sich das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik merklich verschlechtert. Eine Reihe von Umfragen drückte die Unzufriedenheit der Wähler mit der Politik und die Furcht der Bevölkerung vor den Folgen der Euro-Rettungspolitik aus. Eine wachsende Zahl der Deutschen glaubte demnach nicht mehr daran, dass die etablierten Parteien und ihre Repräsentanten im Bundestag die Euro-Krise in den Griff bekommen könnten. Im Ergebnis zeigten all diese Umfragen eine diffuse Zukunftsangst, eine Furcht vor dem Verlust von Wohlstand und sozialer Sicherheit in der Bevölkerung.
Symbiotische Verbindung
Auf diese Stimmung traf nun der Protest einer neuen Partei, die von sich selbst behauptete, eine wirkliche Alternative zur Euro- und Europapolitik der im Bundestag vertretenen Parteien anzubieten und sich so als einzige wirkliche Opposition zur inoffiziellen Mehrparteien-Koalition der Regierungspolitik darstellte. Innerhalb weniger Wochen gingen das Unbehagen in der Bevölkerung und der akademisch vorgetragene Protest der AfD-Spitze eine symbiotische Verbindung ein. Aus der ursprünglich elitären Idee entstand eine politische Bewegung, die schneller wuchs als alle vorhergehenden.
Politiker von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken müssen staunend und nicht ohne Neid zuschauen, wie da eine politische Kraft heranwächst, auf die sie bis heute weder in der medialen Debatte noch im Wahlkampf eine Antwort gefunden haben und die nun gute Chancen hat, nur vier Monate nach ihrer offiziellen Gründung in den Bundestag einzuziehen. Das ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Insofern ist die AfD bereits jetzt ein Phänomen in der deutschen Parteiengeschichte.