Bushido und der Freiherr – oder die Banalisierung des Politischen
Mag Christian Freiherr von Stetten bislang vor allem interessierten Beobachtern des politischen Betriebs in Berlin oder seiner Heimat Baden-Württemberg bekannt gewesen sein, so hat sich dies nach dieser Woche grundlegend geändert. Inzwischen wird er von einer breiten Öffentlichkeit als jener CDU-Abgeordnete identifiziert, der Bushido in den Bundestag holte.
Zwar ist es nicht so, dass es dieser Tage keine anderen Themen gäbe als einen Rapper im Bundestag. Die Europäische Union könnte an der wie ein Krebsgeschwür wuchernden Finanzkrise zugrunde gehen, Gesellschaften drohen zu zerfallen, politische Ordnungen geraten ins Wanken, und möglicherweise stürzt die Weltwirtschaft über die europäische Krankheit in eine schwere Rezession, was nach Ansicht einiger politischer Beobachter mutmaßlich die Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama im Herbst gefährden könnte.
Aber all das rückt sichtlich in den Hintergrund, als der umstrittene Rapper aus Berlin-Tempelhof, der mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi heißt, auf der Besuchertribüne des Bundestags Platz nimmt und der Debatte im Anschluss an die Regierungserklärung der Kanzlerin lauscht. Teenies und Mütter mit hochrotem Kopf bitten um Autogramme, einige lassen Bushido gar auf Geldscheinen unterschreiben. Kaum zu glauben, welchen Sammlerwert die bekommen könnten, wenn der Euro tatsächlich zerbricht!
Fotografen und Kameraleute richten ihre Objektive auf den Mann, der mit ebenso schlüpfrigen wie gewaltverherrlichenden Texten pubertäre Hormonschübe ausgelöst hat und der sich „auf jeden Fall sexuell“ mit der Kanzlerin „einlassen“ würde, wie er gerade erst in einem Interview mit der „FAS“ betonte. „Dann könnte ich sagen, ich habe mit der Bundeskanzlerin geschlafen.“
Solche Sätze elektrisieren den Boulevard. Außerdem will Bushido eine Partei gründen und regieren wie „Der Pate“ in dem gleichnamigen Mafia-Film. Und so einer sitzt jetzt als Gast im Bundestag, weil der Freiherr von Stetten ihn über einen gemeinsamen Freund, der allerdings nicht genannt werden möchte, als Praktikanten in sein Büro geholt hat. Ist das nicht alles wahnsinnig aufregend, wahnsinnig anders, wahnsinnig sexy? Adieu Euro-Krise, es lebe Bushido!
„Ich habe ihm vor wenigen Monaten das Praktikum angeboten, weil Bushido mehrfach angekündigt hatte, dass er in die Kommunalpolitik gehen wolle“, sagt von Stetten. Der Rapper habe dann per SMS zugesagt, absolviere aber das „ganz normale Programm“. Das heißt, er wird im Büro des Abgeordneten über die Instrumente und Mechanismen des Parlamentarismus aufgeklärt. „Er ist sehr interessiert“, sagt von Stetten, was allerdings doch ein bisschen so klingt, als müsse er jemandem mit zwei linken Händen ein anspruchsvolles Handwerk beibringen.
Der Freiherr ist übrigens nicht nur von Adel, sondern der Spross einer baden-württembergischen „Politiker-Dynastie“, die für ihren Konservatismus bekannt ist und für die aufsehenerregende Einlassung des Wolfgang von Stetten zur Frage der sexuellen Gewalt in der Ehe. Er vertrat einen Standpunkt, der so durchaus auch Eingang in den einen oder anderen Bushido-Text finden könnte: „Die Ehe ist eine Geschlechtsgemeinschaft und verpflichtet grundsätzlich zum ehelichen Verkehr„, sagte er 1995. „Die Verweigerung von Anfang an ist unter Umständen Aufhebungsgrund, die spätere Verweigerung Scheidungsgrund. Zum ehelichen Leben gehört auch, die Unlust des Partners zu überwinden. Der Ehemann ist nicht darauf aus, ein Verbrechen zu begehen – manche Männer sind einfach rabiater.“
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Aber zurück zu Bushido. Abends dann, auf dem Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand, kann sich nicht einmal Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU dem rauen Charme des Rappers entziehen, der bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist. Die österreichische Justiz warf ihm im August 2005 vor, gemeinsam mit zwei Freunden einen 20 Jahren alten Mann zusammengeschlagen haben, weil dieser grundlos die Reifen des von Bushido angemieteten BMW zerstochen haben soll. Zwar konnte der genaue Hergang nicht aufgeklärt werden, doch Bushido übernahm die Verantwortung für die Schlägerei.
Wegen Beleidigung wurde er gleich mehrfach verurteilt. Zuletzt hatte er im Dezember 2011 in Berlin-Steglitz einen Mitarbeiter des Ordnungsamts als „Vollidioten“ beschimpft, was ihm 19.500 Euro Geldstrafe einbrachte. Bis heute werden ihm Kontakte ins kriminelle Milieu nachgesagt. All das ficht Innenminister Friedrich offenbar nicht an, denn auf dem Fest der Mittelständler legt er freundschaftlich den Arm um den Rapper und lässt sich in ebendieser Pose mit ihm fotografieren.
Tags drauf muss Friedrich sich Vorhaltungen von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, anhören, und im Büro von Stettens steht das Telefon nicht mehr still. Jeder möchte ein Interview oder doch wenigstens ein Foto mit Bushido. Nicht einmal die ARD mag darauf verzichten und schickt ein Fernsehteam, das mit dem Rapper durchs Paul-Löbe-Haus zieht, vorbei an Abgeordnetenbüros und Sitzungssälen. So viel Aufmerksamkeit wird an diesem Ort vermutlich nicht einmal der Bundeskanzlerin zuteil.
Was hier geschieht, hat durchaus etwas Surreales. Genau genommen ist es die Banalisierung des Politischen zugunsten der genialen PR-Nummer eines Rappers, der den Fernsehteams Fragen wie diese beantwortet: „Wie lautet Artikel 1 des Grundgesetzes?“ und zwischendurch immer wieder mit Besuchergruppen oder dem Servicepersonal posiert. „Ihr wollt ein Foto?“, fragt er. Na, dann mal los. Immer freundlich, immer locker, irgendwie authentisch. Wenn sich hier jemand verbiegt, dann ist es die Politik, die, aus welchen Gründen auch immer, dieses Treiben im Bundestag inmitten einer Krise historischen Ausmaßes überhaupt erst ermöglicht.
Einigen Abgeordneten ist das Unbehagen über den Rummel allerdings deutlich anzusehen. „Tut mir leid, dass ich hier arbeiten muss“, sagt einer schroff und schiebt die Journalisten gar nicht zimperlich beiseite.
„Wir überlegen schon, ob wir Bushido in ein anderes Büro setzen, damit er in Ruhe arbeiten kann“, sagt von Stetten. Er glaubt, sich erklären zu müssen. „So hatten wir uns das natürlich nicht gedacht“, versichert er. Und: „Damit konnte doch keiner rechnen.“ Wirklich?
Bushido selbst sieht es anders. „War doch klar, dass ich nicht unerkannt in den Bundestag gehen kann“, sagt er. Die Frage, ob ihn der ganze Trubel nerve, findet er geradezu komisch. „Das ist doch mein Job, das mit den Medien. Davon lebe ich“, sagt er und macht sich Punkt 16 Uhr auf den Weg in den Feierabend, um endlich seinen Führerschein abzuholen. Den hatte ihm die Polizei vor zehn Monaten wegen zu schnellen Fahrens abgenommen.
„Hey Bushido“, ruft ihm ein Mädchen aus einer draußen vor dem Paul-Löbe-Haus wartenden Besuchergruppe zu. Er winkt ihr kurz zurück, und dann ist er bereits um die Ecke. Für heute ist die Show zu Ende.
Günther Lachmann am 29. Juni 2012 für Die Welt