Zum 1. Mai nichts als leere Worte
Der Tag der Arbeit ist traditionell der Tag der Gewerkschaften. Und es ist der Tag der großen Lippenbekenntnisse: Die „großen Arbeiterführer“ bekennen sich zu Europa, zu sicheren Arbeitsplätzen, zu Mindestlöhnen, zu Tarifautonomie und sozialer Sicherung. In diesem Jahr kommt die Kritik an der von der Bundesregierung geplanten Fiskalunion hinzu. Dafür lassen sich die Funktionäre dann feiern.
Was für ein Theater! Wo haben sie sich denn in den vergangenen zwei Jahren um Europa bemüht? Sie haben die Occupy-Bewegung und all die anderen Protestgruppen ebenso allein gelassen wie jene Bürger, die vor das Bundesverfassungsgericht zogen, um die Rechte der Steuerzahler einzuklagen. Sie haben die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ebenso stillschweigend gutgeheißen wie sie nun den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) stillschweigend gutheißen, wohl wissend, dass die Regierungschefs damit die demokratischen Reche der Völker aushebeln.
Ein ums andere Mal goutierten sie die Milliardenzahlungen, die fadenscheinig als „Hilfspakete für notleidende Südländer“ auf den Weg gebracht wurden, tatsächlich aber auf den Konten der großen Banken landeten. Keiner der „großen Arbeiterführer“ kann sich damit herausreden, er habe es nicht gewusst.
Die „Zeit“ hatte den Weg des Geldes für Griechenland im Juli 2011 haarklein nachrecherchiert. Das Ergebnis war in dem Beitrag „Wer bekommt unser Geld?“ für alle nachlesbar. Demnach gingen die Überweisungen zunächst bei der griechischen Zentralbank ein. Diese leitete sie ans Athener Finanzministerium weiter. Dort blieben die „Milliarden bloß Stunden oder Tage“, dann wurden sie an die Besitzer griechischer Schuldscheine weitergereicht: die Banken in Frankreich, Deutschland, Großbritannien oder wo auch immer. Die Griechen jedenfalls bekamen davon so gut wie nichts.
All das wussten auch unsere Gewerkschaftsführer, die auf den Mai-Kundgebungen unter dem Eindruck der Schreckensmeldungen aus den Mittelmeerländern für ein sozial gerechtes Europa werben.
Rund 25 Millionen Menschen sind heute in Europa arbeitslos – so viele wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Ganzen Volkswirtschaften brachen zusammen. Millionen Menschen wurden ihrer Existenzgrundlagen beraubt. Sie wissen nicht, wie sie monatlich über die Runden kommen sollen. Die Internationalen Arbeitnehmer-Organisation (ILO) warnt inzwischen vor sozialen Unruhen.
Und unsere „Arbeiterführer“? Sie schwiegen die ganze Zeit über. Kein Wort der Kritik, geschweige denn des Protestes war von ihnen zu hören. Stattdessen stützten sie brav die Politik der Bundesregierung.
Feine Gewerkschafter sind das, die nicht einmal in Zeiten größter Not zu einem Funken Solidarität und Hilfe in der Lage sind. Sie fabulieren über ein Europa der Arbeitnehmer und gerechte Löhne, scherten sich aber nicht im Geringsten um das, was in Griechenland, Portugal und jetzt in Spanien passierte.
Nun, wo es zu spät ist, geht ihnen ein Licht auf. „Der gegenwärtige europäische Sparkurs hat somit nicht nur gravierende soziale Folgen in den betroffenen Ländern, sondern wird auch auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft zurückschlagen“, prophezeit DGB-Chef Michael Sommer tiefschürfend. „Ich bin der festen Überzeugung: Mit Sparen allein ist die aktuelle Krise nicht zu überwinden.“
Hinter so viele Erkenntnis will die IG Metall natürlich nicht zurückstehen: „Aus der Finanzkrise ist in Europa eine soziale Krise geworden.“ Aha! „Um die Banken zu retten, haben sich Staaten drastisch verschuldet. Jetzt stehen sie unter Druck und geben diesen an die Menschen weiter.“ Diese Schlaumeier.
Und nun, da sich die politische Stimmung in Europa dreht, da Frankreich im ersten Gang der Präsidentschaftswahlen mehrheitlich gegen die deutsche Sparpolitik votiert hat, da die niederländische Regierung darüber zerbrach und sogar der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, aus purer Verzweiflung ein Wachstumspaket fordert, drehen auch die Gewerkschaftsführer ihr Fähnlein nach dem neuen, frischen Wind.
„Europa braucht einen Kurswechsel“ sagen sie. Sie fordern von der Bundesregierung und den Arbeitgebern: „Stoppt den Fiskalpakt und die Schuldenbremse“ und verlangen einen „europäischen Marshall-Plan für Wachstum und Beschäftigung“.
Ihr Scheinheiligen! Hoffentlich werden die Menschen diese Mai-Reden als das entlarven, was sie sind: nämlich bedeutungslos. Nichts als leere Worte.
Günther Lachmann am 1. Mai 2012 für Welt Online