Dies ist das Europa der Bevormundeten und Bettler

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Griechische Demonstranten verbrennen eine deutsche Flagge

Hört auf mit Euren Elogen auf Europa! Sie werden immer nur dann gehalten, wenn die Politik nicht weiter weiß und sie den Bürgern etwas vorgaukeln muss. „Europa ist unsere Zukunft. Es gibt zu Europa keine Alternative. Wir haben allen Grund zu Optimismus, dass wir, dass unser Europa auch aus der gegenwärtigen Krise gestärkt hervorgeht – wenn wir es nur wollen. Lassen wir uns nicht beirren“, schreibt Altkanzler Helmut Kohl in der Bild-Zeitung.

Und sein damaliger Finanzminister Theo Waigel sekundiert pflichtschuldigst: „Die Europäische Union ist das Ende eines fast 1000-jährigen Krieges, den fast alle gegen fast alle geführt haben. Sie ist ein unverdientes Paradies für die Menschen eines ganzen Kontinents. EU ist das Kürzel für das goldene Zeitalter der europäischen Historie.“

Da wird einem ja ganz schwindelig. „Ein unverdientes Paradies für die Menschen eines ganzen Kontinents…“. Wenn es um Europa ging, waren die Staatsmänner und all jene, die sich dafür hielten, um Worte nie verlegen. Leider hatten sie mit der Wirklichkeit nie viel zu tun.

Portugiesen flüchten nach Angola

Mal ganz ehrlich, was ist denn aus der europäischen Idee geworden? Dieses Europa ist nicht einmal mehr in der Lage, seine Bürger zu ernähren. Tausende gut ausgebildete portugiesische  Ingenieure und Facharbeiter fliehen vor der Finanz- und Wirtschaftskrise in die ehemalige afrikanische Kolonie Angola. Kein Witz – Angola! Dort finden sie Arbeit, nicht mehr in Europa.

„Für arbeitslose Portugiesen wird Angola zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, berichtet der ARD-Weltspiegel. Portugals Premierminister Pedro Passos Coelho höchstpersönlich hat sie zur Auswanderung aufgerufen. Ihr Geld sollten sie nach Hause schicken, damit das Land wieder aufgebaut werden könne.

Das muss man sich mal vorstellen! Das rückständige Afrika hat der portugiesischen Bevölkerung offenbar mehr zu bieten als das von der Politik hochgelobte Europa. Das ist die bittere Wahrheit!

In Portugal, Griechenland, Spanien und Italien ist die Hälfte der jungen Leute unter 25 Jahren arbeitslos. Wer tatsächlich noch einen schlecht bezahlten Teilzeitjob findet, ist meist nicht einmal mehr krankenversichert. Auf eine Rente, die sie im Alter ernährt, können sie schon gar nicht hoffen. Ganz offen wird über eine verlorene Generation gesprochen. So etwas hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Ist das jenes Europa, das wir wollten?

Diktatur der Experten

Ein Europa, das nicht einmal mehr die demokratischen Rechte seiner Bürger achtet? Italien wird von einer „Experten-Regierung“ geführt. An ihrer Spitze steht Mario Monti, der, wie Griechenlands Ministerpräsident Lucas Papademos und der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ein ehemals führender Goldman-Sachs-Banker und somit Vertreter jener Finanzindustrie ist, die kräftig an den Milliardenhilfen der europäischen Steuerzahler verdient.

Die Italiener haben Montis Regierung nicht gewählt, sie besitzt keinerlei demokratische Legitimation. Aber die Diktatur der Experten hat Zukunft, wenn es nach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geht, der eine solche „Experten-Regierung“ prompt auch für Griechenland empfiehlt.

Den Griechen wurde das Verfügungsrecht über die Goldreserven des Staates entzogen. Die Gläubiger, also auch Banken und Hedgefonds, hätten nun direkten Zugriff auf das Gold, sagte der frühere Arbeitsminister Louka Katseli der New York Times. Sie mussten einem von der EU geforderten Sperrkonto zustimmen, auf das nun alle Staatseinnahmen zur Schuldentilgung fließen. Beamte aus Deutschland sollen die griechische Finanzverwaltung übernehmen. Ein Europa souveräner Staaten ist das schon lange nicht mehr.

Dieses Europa gibt sich eine Wirtschaftsregierung, die von allen Parlamenten unabhängig ist. Es verordnet seinen Bürgern radikale Sparprogramme, damit die Banken ihre Zinsen bekommen. Es schert sich wenig um die Folgen dieser Spardiktate, die zur Verarmung breiter Schichten führen und für lange Zeit irreparable Schäden in den Gesellschaften hinterlassen. Stattdessen streicht es auch noch die Ausgaben für Bildung zusammen.

Deutsche Politiker in Nazi-Uniformen

Dabei sollte dieses Europa einst demokratisch und friedlich sein. „Nie wieder Krieg!“, hieß es am Anfang. Jetzt verbrennen die entmündigten Griechen die deutsche Flagge, griechische Zeitschriften zeigen deutsche Politiker in Nazi-Uniformen. Dort keimt ein Hass, den es seit dem Krieg nicht mehr gegeben hat.

Europa sollte auch sozial sein. Nun sagt EZB-Chef Draghi: „Das vielgepriesene europäische Sozialstaatsmodell hat ausgedient.“  Einen Ersatz gebe es nicht. Aus und vorbei. Einfach so.

Eine Lösung für das finanzielle und wirtschaftliche Desaster? Fehlanzeige. Griechenland ist bereits bankrott, Portugal inoffiziell auch. Spanien und Italien sind auf dem besten Weg. Es gebe keine schnellen Lösungen für die Probleme des Kontinents, sagt Draghi. Im Übrigen sei es unrealistisch, darauf zu hoffen, dass China mit seinen Geldüberschüssen der Eurozone zur Hilfe eilen würde.

Noch vor wenigen Jahren wäre jeder laut ausgelacht worden, der behauptet hätte, Europa könne einmal auf die Hilfe der Kommunistischen Partei Chinas angewiesen sein. Heute lamentiert der Präsident der EZB öffentlich über den Mangel an Hilfsbereitschaft der Pekinger Staatskapitalisten. Was für ein Europa!

Kein Wunder, dass es Häme und Spott der Pekinger Genossen über sich ergehen lassen muss. „Kommt nur nicht zu uns betteln“, schreibt sinngemäß ein Leitender Redakteur der China Daily in einem sehr persönlichen Brief an „Die verschuldeten Staaten von Europa“. „Ehrlich gesagt, verstehen wir nicht ganz, warum die Reichen ihre Hände zu uns Armen ausstrecken und um Geld bitten.“ Ein Arbeiter in Europa verdiene schließlich zwölf Mal mehr als ein Arbeiter in China. Und ein Chinese müsse zwölf Stunden und mehr täglich arbeiten, während die die Franzosen zwei Monate Urlaub bezahlt bekämen.

Hohn und Häme der Chinesen

Außerdem hätten sie schon mit der Hilfe für die USA „riesige Verluste“ erlitten. „Wir sitzen in der Dollar-Falle“, schreibt Huang Xiangyang. „Ihr wollt China doch nicht auch noch in eine Euro-Falle tappen lassen, oder?“ Europa solle endlich aufhören zu Jammern. „Es ist Zeit, die Ärmel aufzukrempeln“, empfiehlt er.

Nein, die Welt hat kein Mitleid. Warum sollte sie auch? Sie erinnert sich nur zu gut an die stolzen Auftritte europäischer Staats- und Regierungschefs auf internationalen Gipfeltreffen, an die zur Schau gestellten Großmachtsfantasien. Europa wollte wieder mitreden, herrschen. Es war so sehr benebelt von der eigenen Bedeutung und den berauschenden Wachstumsraten des Finanzkapitalismus in London und Frankfurt, das es den kalten Tod, der bereits die Beine heraufkroch, gar nicht spürte.

Niemand scherte sich um die gefälschten griechischen Bilanzen, um die gar nicht existierenden Landwirtschafts-Projekte, für die Brüssel wohlwollend Steuergelder bewilligte. Keine kümmerte es, dass die Portugiesen Schnellstraßen durchs Land pflügten, ohne irgendwo Industrie und Gewerbe anzusiedeln. Und keiner fragte sich, wovon die Spanier einmal leben sollten, wenn der Bauboom ein Ende haben würde.

Als hätten sie mit all dem nichts zu tun, blasen sich Politiker auch heute noch auf und schwadronieren über ihre besondere Verantwortung für Europa. Dabei hat nicht einer von ihnen eine Lösung für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Kontinents. Nicht einer weiß, wie er die finanziellen Probleme in den Griff bekommt, Arbeitsplätze schafft und so der Jugend eine Perspektive bietet. Armes Europa.

Günther Lachmann am 29. Februar 2012 für Welt Online

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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