Die Piraten wollten nur spielen

Viele verbanden mit den Piraten große Hoffnungen, jetzt geht einer nach dem anderen von Bord. Ihr Scheitern war in der Partei selbst angelegt, sagt Ex-Pirat Christopher Lauer.

Nicht nur in Hauptstadt  zählte der frühere Berliner Piraten-Vorsitzende Christopher Lauer zu den Stars seiner Partei. Nun ist er ausgetreten und spricht über das Innenleben seiner Partei, die seiner Ansicht nach von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.

Herr Lauer, warum haben Sie den Piraten den Rücken gekehrt?

Christopher Lauer: Ich habe mir das gut überlegt, und ich habe mir das auch nicht einfach gemacht. Wenn man sich in einer langjährigen Beziehung trennt, gibt’s ja nicht den Punkt, an dem man das Scheitern so genau festmacht. Irgendwann habe ich für mich die Entscheidung getroffen.

Sagen Sie doch mal in drei, vier Sätzen, warum Sie enttäuscht wurden?

Lauer: Ich musste erkennen, dass eine Partei, die ein positives Bild von der Zukunft zeichnet und die eher unkonventionelle Ideen davon hat, wie in Zukunft die Gesellschaft organisiert sein soll, nicht mit ihren Ideen ankommt. Die Erkenntnis, die mich letztlich zum Austritt gebracht hat, ist, dass dieses Scheitern, was wir jetzt erleben, im Grunde genommen in der Grundstruktur der Partei angelegt war.

Wie meinen Sie das?

Lauer: Ich meine die Basisdemokratie, die nicht konkret mit Inhalt gefüllt worden ist. Ich meine die Transparenz, die nie wirklich definiert worden ist. Und ich meine die Strukturlosigkeit. Wir wollten flache Hierarchien. Am Ende hat das aber dazu geführt, dass sich in hohem Maße informelle Netze ausgebildet haben, die genau im Widerspruch zu der propagierten Transparenz stehen, und das hat am Ende alles nicht mehr so richtig zusammengepasst.

Die Inhalte spielten keine Rolle?

Lauer: Wenn ich als Pirat den fahrscheinlosen ÖPNV forderte, dann wurde immer gefragt: Was soll das denn kosten? Und wenn ich gesagt habe: Wir wollen ein bedingungsloses Grundeinkommen oder ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, dann kamen wir damit nicht durch. Dann hieß es nur, wir sind die, wo das Chaos herrscht. Bei der AfD reicht es momentan anscheinend zu sagen: Wir sind Eurokritiker. Da fragt niemand nach den Kosten oder Folgen.

Sie sehen sich gegenüber der AfD benachteiligt?

Lauer: Nein. Die Medien fanden die Piraten am Anfang einerseits faszinierend,

auf der anderen Seite wurden wir nie so richtig ernst genommen.

War diese Faszination für Sie nicht auch eine Chance?

Lauer: Das ist halt genau der Punkt. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Chance als solche auch begriffen haben. Auf der einen Seite war der Piratenpartei die an sie gestellte Erwartung nicht klar, auf der andere Seite besaß man auch überhaupt nicht die Strukturen, um eine solche Erwartungshaltung zu bedienen. Das heißt, wenn man sich die Frage gestellt hätte, wie wir z.B. der Eurokrise begegnen, dann hätte man Antworten geben müssen.

Haben sich die Piraten sich diese Frage überhaupt jemals gestellt?

Lauer: Nein. Das Thema ging vielen Mitgliedern ab. Sie wollten sich nur um Netzpolitik kümmern, eine Netzpartei sein. Um den Rest sollten sich andere sorgen. Diese Vorstellung, sich auf einmal auch zu Tagespolitik äußern zu müssen, die war doch relativ fremd. Also waberte alles so vor sich hin. Und gleichzeitig hat man sich aber geweigert,

verbindliche Strukturen auf Bundesebene einzuführen, die zumindest über so was wie eine ständige Mitgliederversammlung den Mitgliedern ermöglicht hätte, sich eben zum politischen Tagesgeschäft zu positionieren.

Ist das nicht auch Ausdruck einer gewissen Politikunfähigkeit?

Lauer: Viele Mitglieder der Piratenpartei hatten ein Bild von Politik, das vor allen Dingen davon geprägt worden ist, dass man Nachrichten über Politik konsumiert. Nur sehr wenige hatten einen Einblick in die Politik dadurch, dass sie auch tatsächlich mal in einer Partei waren. Dennoch glaube ich, dass viele Anhänger das, was die Piraten gemacht haben, für Politik gehalten haben. Die Beobachter von außen aber halt nicht.

Wie war das möglich?

Lauer: Es gibt ein schönes Beispiel, den sogenannten Cargo-Kult. Im Pazifik-Krieg haben die Amerikaner Basen aufgebaut, und es gab Naturvölker, die haben gesehen, dass da Flugzeuge landen. Und dann haben diese Naturvölker Flughafen nachgespielt und haben da Fackeln als Landebahn aufgebaut und einen Tower aus Holz. Sie haben die Bewegungen der Fluglotsen und Funker nachgespielt. Ich glaube, dass viel von dem, wie die Piratenpartei in den letzten Jahren versucht hat Politik zu machen so ein Cargo-Kult-Ansatz war.

Haben Sie dafür Beispiele?

Lauer: Da wurde eben ein Parteitag gemacht, ohne zu wissen, warum andere Parteien überhaupt einen Parteitag machen. Keiner hat sich Gedanken darüber gemacht, warum Sigmar Gabriel oder Angela Merkel zwei Stunden auf so einem Parteitag reden und was eigentlich vorher in Parteigremien der anderen entschieden wird. Solche Fragen haben wir uns nie gestellt, damit haben wir uns nie auseinandergesetzt.

Aber so etwas kann man doch lernen, oder?

Lauer: Stimmt, wenn bei den Mitgliedern, die das erleben, ein Problembewusstsein dafür entstanden wäre, dass das problematisch ist. Sie können ja nur dann zum Arzt gehen, wenn sie auch tatsächlich davon überzeugt sind, dass sie krank sind und einer Behandlung bedürfen. Wenn sie aber der Meinung sind, dass das alles total toll ist mit dem Husten und so, dann wird es schwierig.

Was genau machen Sie jetzt im Abgeordnetenhaus?

Lauer: Ich bleibe Mitglied in der Piratenfraktion. Nach wie vor macht mir Innenpolitik in Berlin wahnsinnig viel Spaß. Ich war erst jetzt in der Sommerpause zehn Tage bei der Berliner Polizei, habe da hospitiert und ganz andere Einblicke bekommen. So etwas möchte ich auch weiterhin tun.

Wo wollen Sie das tun, wenn es die Piraten nicht mehr gibt?

Lauer: Gute Frage. Es ist ja nicht so, dass die anderen Parteien händeringend nach neuen Leuten suchen. Auch wenn der CDU-Generalsekretär Peter Tauber mal sagte, Talente seien willkommen, hat er doch nur Interesse an einer einmaligen Schlagzeile. Denn was sie mit den Leuten anfangen sollen, wissen sie selbst nicht.

Sie wissen also nicht, wie es weiter geht?

Lauer: Ich bin ein politischer Mensch, aber ich weiß noch nicht, wie das über 2016 hinausgeht. Vielleicht schreib ich was zu den Piraten. In der aktuellen Situation muss ich auch erst mal Abstand gewinnen.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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