Russen suchen Kontakt zu Gauland
Kaum einer wirbt mehr um Verständnis für die russische Politik als der AfD-Vize Alexander Gauland. Nun bat ihn die russische Botschaft zum vertraulichen Gespräch.
Plötzlich war da diese Einladung. AfD-Vize Alexander Gauland soll mitten im brandenburgischen Landtagswahlkampf zu einem Gespräch in die russische Botschaft kommen. Der Gesandte möchte ihn sehen. Außerdem darf er einen weiteren Gast mitnehmen. Es ist ein vertrauliches Zusammentreffen. Und für Gauland ist es das erste Gespräch überhaupt in dieser Form in der russischen Botschaft. Zuletzt war er vor vielen Jahren einmal mit dem Berliner Presseclub zu einem Abendessen dort. Aber das war etwas ganz anders.
Trotzdem spielt er die Sache herunter. „Ich habe mich nicht um den Termin bemüht, sondern wurde angerufen, ob ich nicht mal gerne mit ihm reden wollte“, sagt er. Und da habe er halt zugesagt.
Freilich weiß er, dass die Russen ihn nicht ohne Grund eingeladen haben. Mal abgesehen von Alt-Kanzler Gerhard Schröder und Linke-Fraktionschef Gregor Gysi, gibt es weit und breit keinen deutschen Politiker, der mit größerer Leidenschaft um Verständnis für die russische Position wirbt als der Spitzenkandidat der Brandenburger AfD. Und so sehen die Russen in Gauland nicht ohne Grund jemanden, mit dem zu sprechen sich für sie als sinnvoll erweisen könnte. So etwas nennt man dann wohl „Interessenpolitik“.
„Das würde ich eher nicht so gerne hören“, sagt Gauland mit knarzender Stimme. „Ich bin kein Vertreter irgendwelcher russischer Interessen. Ich sehe mich eher als jemand, der für eine ganz an deutschen Interessen ausgerichteten Politik eintritt. Dazu gehört, dass wir so viel wie möglich für ein gutes Verhältnis zu Russland tun.“ Das sei aber deutsche Interessenpolitik, nicht russische. Also fährt er mit dem niedersächsischen AfD-Politiker Paul Hampel in die Botschaft und kommt mit dem Eindruck zurück: „Die Russen haben das Gefühl, dass wir sie in Europa nicht wollen. Sie fühlen sich von der Nato bedrängt.“
„Klar, dass die Russen sich wehren“
Gauland hat Russland zum zentralen Thema der AfD gemacht. Derzeit ist es in der Partei sogar wichtiger als der Euro, ohne den die Alternative vermutlich nie in der bundesdeutschen Parteienlandschaft aufgetaucht wäre. Wo immer Gauland auftaucht, wird er nach Russland gefragt. Ob im Bundestagswahlkampf, im Europawahlkampf oder jetzt in seinem Brandenburger Landtagswahlkampf, wo er selbst als Spitzenkandidat antritt.
„Es gibt zwei Themen, zu denen ich immer wieder gefragt werde: Das eine ist die gesamte Flüchtlings- und Asylproblematik, das andere Russland“, sagt er in der warmen Septembersonne auf dem Balkon seiner weiträumigen Potsdamer Altbauwohnung. Und weil der Hausmeister so nett war, den Herbstbeschnitt der Hecke im Hof für eine Weile zu unterbrechen, kann Gauland hier ausgiebig seinen Spagat zwischen der großen Außenpolitik und den Niederungen der Brandenburger Landespolitik erläutern.
Mit viel Geld hätten die Amerikaner in den vergangenen zwanzig Jahren versucht, das geostrategische Gleichgewicht zu Ungunsten der Russen zu verschieben, sagt er. „Ist doch klar, dass die Russen sich dagegen wehren.“
Er hält auch die Pläne der Nato, schnelle Eingreiftruppen vor der russischen Haustür zu stationieren, für falsch. „Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Art von Politik weiterkommen“, sagt Gauland und schlägt stattdessen Zugeständnisse der Europäer an die Russen vor: „Es müsste mal nachgeholt werden, was 1990/91 versäumt wurde, sprich es müsste mal mit den Russen über eine andere europäische Ordnung geredet werden. Denn das, was wir jetzt als Friedensordnung bezeichnen, haben die Russen so nie akzeptiert.“ Das hätten sie über all die Jahre auch immer wieder deutlich gemacht. Doch erst jetzt seien sie wieder stark genug, die vom Westen geschaffene Ordnung anzufechten.
Verständnis für Putin
„Darum müssen wir die Ursachen verstehen“, sagt Gauland. „Es ist nämlich schon etwas anderes, ob man in der Nähe einer Großmacht Politik macht oder ob man von der geografischen Lage her in einem großen Konglomerat keine Rolle spielt.“ Er vergleicht den Ukraine-Konflikt mit der Kuba-Krise im Jahr 1961. Damals habe der Westen das Selbstbestimmungsrecht der Kubaner „auch nicht ernst genommen“. „Und zu Recht!“, sagt er. „Wir waren froh, dass sich Chruschtschow und Kennedy über den Kopf von Castro hinweg geeinigt haben. Wir haben längst vergessen, wie der Castro damals getobt und von Verrat gesprochen hat, weil er das Selbstbestimmungsrecht des kubanischen Volkes verletzt sah. Aber natürlich hatten die Amerikaner völlig Recht!“
Was er damit sagen will, ist: Heute hätten die Russen Recht. Die Nato sei entgegen allen Zusagen dicht an Russland herangerückt. Selbst der enge Vertraute des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, Horst Teltschik, bestätige die mündliche Zusage, dass die Nato nicht über die Oder hinausreichen sollte. „Dennoch haben wir alles anders gemacht und wundern uns jetzt, dass die Russen sagen: So haben wir nicht gewettet“, sagt Gauland.
Er hat Verständnis dafür, wenn Putin nach der Existenzberechtigung der Nato fragt. „Man hat die Nato damals aufrechterhalten für ,neue Aufgaben außerhalb des Natogebietes’, wie es so schön heiß. Für uns Deutsche war das schon aufgrund unseres Grundgesetzes außerordentlich problematisch“, sagt er und fügt hinzu: „Natürlich fürchtet Putin, dass die Nato einen Raketenschirm oder Angriffswaffen in der Ukraine aufstellt.“
„Ohne die Nationalkonservativen reicht’s nicht für 5 Prozent“
In der AfD sind längst nicht alle von seinen außenpolitischen Vorstellungen begeistert. Parteichef Bernd Lucke etwa hört es gar nicht gern, wenn Gauland wieder einmal auf die Bismarcks Rückversicherungspolitik gegenüber Russland verweist. Oder wenn er sagt: „Für mich ist das Erstaunliche, dass die Russen diesen furchtbaren Zweiten Weltkrieg den Deutschen nicht nachtragen. Das haben die nicht nur weggesteckt: Sie wollen mit uns gut Freund sein. Und sie leiden darunter, dass das nicht so funktioniert.“
Auch Hans-Olaf Henkel kann mit der Russland- und Ukraine-Position Gaulands wenig anfangen. Doch er und Lucke fügen sich, weil ein Großteil der Partei diese Linie unterstützt: Immerhin wurde sie auf dem Erfurter Parteitag mit großer Mehrheit abgesegnet. Also schlachten Gauland und Lucke ihre Meinungsverschiedenheit lieber populär fürs eigene Publikum in einem Streitgespräch mit der rechtskonservativen Zeitung „Junge Freiheit“ aus.
Überhaupt hat sich die AfD im vergangenen Jahr verändert. Aus der Anti-Euro-Partei wurde eine konservative Kraft mit stark nationaler Prägung, die zunehmend offen mit den Amerikanern fremdelt. Maßgeblichen Anteil daran hatten Frauke Petry, die gerade erst einen fulminanten Wahlerfolg in Sachsen einfuhr und Gauland. Und als Lucke und Henkel im Europaparlament einem Antrag zustimmten, der Sanktionen gegen Russland unterstützte, wehte ihnen einen scharfer Wind aus der Partei entgegen. Gauland hingegen wurde gefeiert, vor allem von der Jugend.
„Das war deutsches Elitendenken“
Er hätte das auskosten können. Doch er ist zu klug und zu erfahren, um solche innerparteilichen Siege öffentlich zu zelebrieren, denn er weiß: „Ohne die Nationalkonservativen reicht’s nicht für fünf Prozent.“ Lieber nutzt er seinen Einfluss für die politische Botschaft, die ihn umtreibt. Mit dem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine sei das alles schön und gut, aber in der Außenpolitik gebe es halt noch „ein paar andere Dinge“. Das klingt nach einer Lektion. „Man soll die Kerninteressen einer Großmacht nicht ohne Not verletzen, bzw. man soll ausloten, wie man die Ordnung unter Berücksichtigung dieser Kerninteressen aufrechterhalten kann“, sagt er. „Und das haben wir nicht gemacht. Nie. Im Gegenteil. Es war ja der Wunsch aller Beteiligten, die Russen so weit wie möglich wegzuschieben. Das war ja auch deutsches Elitendenken. Darüber habe ich mich fast mit meinem Freund Arnulf Baring zerstritten.“
Im Übrigen sei das mit der Verletzung des Völkerrechts auch so eine Sache. Er erinnere sich noch gut an den Satz der IWF-Chefin Lagarde, die gesagt habe: „Wir mussten alle EU-Verträge brechen, um den Euro zu retten.“ Gauland lächelt verschmitzt. „Wo ist der moralische Unterschied zwischen der Vorgehensweise von Putin auf der Krim und der Vorgehensweise der EU-Spitzen?“, fragt er und antwortet gleich selbst: „Es gibt keinen. Beide haben das Völkerrecht – die EU das Vertragsvölkerrecht – gebrochen. Motto: Hauptsache, der Euro bleibt.“
Bei solchen Sätzen applaudieren die AfD-Anhänger, egal ob in Frankfurt/Oder oder in Pforzheim. Das gilt auch für die Flüchtlings- und Asylpolitik. Süffisant beschreibt er, wie er die Pläne der Landesregierung für ein Heim mit 1000 Asylbewerbern in der 9000-Einwohner-Gemeinde Doberlug-Kirchhain im Elbe-Elster-Kreis aufgedeckt habe. „Die wollten erst nach der Wahl damit rausrücken. Darum habe ich das thematisiert“, sagt er. Das heißt, er hat sich dagegen ausgesprochen, weil man so nicht mit der Bevölkerung umgehen könne. Auch die CDU habe Bescheid gewusst und geschwiegen. Und nun sei sie auch dagegen. Das sei „nun wirklich purer Populismus“. „Das ist so ein Thema, wo ich mich frage: Was macht die CDU eigentlich als Oppositionspartei? Hat sie das aufgegriffen, was die Bürger sich wünschen?“
„Die CDU hat kein Herzblut mehr“
Die Familienpolitik sei auch so ein Beispiel. „Da hat doch der Landesvorsitzende Michael Schierack ein Gespräch mit uns abgelehnt, nicht etwa, weil wir so furchtbar rechtsradikal wären, sondern er hat als Grund Frau Petrys Eintreten für die Drei-Kind-Familie angegeben.“ Da könne er sich nur an den Kopf fassen. „Wenn jemand sagt, eine Drei-Kind-Familie in Deutschland ist eigentlich etwas Gutes, frage ich mich allen Ernstes, wie der Landesvorsitzende der christlichen Volkspartei CDU sagen kann: Mit denen können wir nicht reden.“
Neben Russland ist die CDU sein großes Thema. Er selbst war jahrzehntelang ein Teil dieser Partei. Der zum rechten Flügel der CDU zählende Walter Wallmann machte ihn zum Staatssekretär in der hessischen Staatskanzlei. Eine Begebenheit in Gaulands politischer Karriere wurde später gar von Martin Walser literarisch aufgearbeitet. In dem Buch „Finks Krieg“ geht es um Gaulands Bemühungen, einen leitenden Ministerialrat zugunsten eines ihm politisch nahestehenden Beamten zu versetzen. Aber das ist lange her.
Inzwischen haben er und seine Positionen in der AfD eine neue Heimat gefunden: Kriminalität und Sicherheit, Flüchtlingszustrom und Asylpolitik, Familienpolitik. „Ich bin ja schon lange unzufrieden mit der CDU“, sagt er. „Was mich am meisten gestört hat, ist die Art und Weise, wie frühere politische Inhalte, die von der CDU einst als Herzblut der Partei verteidigt wurden, sozusagen in 14 Tagen nicht mehr wahr waren.“ Als Beispiele nennt er die Wehrpflicht und die Energiewende.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hätten er und andere in der CDU darüber nachgedacht, dass die Wehrpflicht möglicherweise für die neue Zeit nicht mehr das richtige Instrumentarium sei. „Damals wurde man in der CDU dafür geradezu mit Verachtung gestraft“, sagt er. „Damals wurde immer gesagt, die Wehrpflicht gehöre zum Markenkern der CDU.“ Und dann habe Guttenberg innerhalb von einem Monat alles abgeräumt. Mit der Atomenergie habe Merkel von einem Tag auf den anderen Schluss gemacht. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Gauland. „Das heißt, der CDU fehlen offensichtlich alle inneren Überzeugungen, sonst könnte sie sich nicht so leidenschaftslos von Position trennen und das Gegenteil vertreten.“
„Wir wollten alle in den Bundestag“
Ihn störe die Art und Weise der Veränderungen, dass nämlich von oben angeordnet werde: Das war bis heute Herzblut, Schluss aus. Jetzt ist alles anders. „Und wenn Frau Merkel mal weg ist, weiß ich überhaupt nicht, was die CDU noch vertreten will.“
Als Landespolitiker in Brandenburg müsste er sich über die CDU eigentlich gar keine Gedanken machen. Denn Koalitionsoptionen geben die Umfragen nicht her. Da kann die AfD froh sein, wenn sie am Sonntag sicher in den Landtag einzieht. Er muss die Partei aufbauen, die bisher gerade mal 500 Mitglieder zählt und nicht einmal eine Geschäftsstelle besitzt. Rund 130.000 Euro haben sie dank großzügiger Zuweisungen des Bundesvorstandes für den Wahlkampf. Das meiste Geld geht für die Plakate drauf. „Zu den Terminen fahre ich mit dem eigenen Auto“, sagt Gauland. Die werden oft kurzfristig in Telefonkonferenzen abgesprochen. Seine Lebensgefährtin organisiert seine Mails für die Partei. Als er mit anderen die AfD gründete, hat er nicht an den Brandenburger Landtag gedacht, sich aber dann pflichtschuldig in den Dienst der Partei gestellt. „Na klar, wollten wir alle in den Bundestag“, sagt er. „Das ist doch kein Geheimnis.“
Das Ziel haben sie vor einem Jahr nur knapp verfehlt. Und auch diesmal scheint Gaulands Zuversicht in letzter Minute zu schwinden. Jedenfalls wendet er sich in Briefen an die Anhänger der anderen Parteien. Der an die Anhängerschaft der Linken ist allerdings bemerkenswert. „Trotz aller Meinungsverschiedenheiten verbindet uns manches“, schreibt er da. Sarah Wagenknecht und AfD-Chef Lucke seien sich in der Beschreibung der Gefahren des Euro ganz nahe. „Und die Sanktionspolitik gegenüber Russland halte ich für genauso falsch wie Sie.“ Die AfD möge „keine amerikanische Dominanz und schon gar kein Freihandelsabkommen, das unsere ökologischen und Sozialstandards unterläuft“. Deutschland sei souverän und müsse entsprechend handeln.
Gauland wörtlich: „Lassen Sie sich nicht von der ewigen Litanei des Rechtspopulismus anstecken. Auch Sie galten einst als Linksextremisten, als Sie in die Politik des vereinigten Deutschlands eintraten. Man muss solche Urteile nicht fürchten, wenn man es selbst für sich und seine Freunde besser weiß.“ Der letzte Satz könnte tatsächlich für ihn stehen. Denn verbogen hat er sich nie, lieber einer Partei den Rücken gekehrt.