Der Einzug ins EU-Parlament lohnt
Wer an Parlaments-Sitzungen teilnimmt, wird dafür mit 304 Euro Tagegeld belohnt – zusätzlich zu den Diäten. Außerdem gibt es großzügige Renten- und Reiseregelungen.
Wenn das Europaparlament zusammenkommt, steht den Abgeordneten für ihre Teilnahme an den Beratungen pro Tag ein Tagegeld von 304 Euro zu. So etwas gibt es weder im Bundestag noch in den Landtagen. Und der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold findet, dass auch das Europarlament durchaus darauf verzichten könnte. „Ein Tagegeld von 304 Euro ist absurd“, sagt er. Zwar nehme auch er das Geld in Anspruch, spende aber er einen Teil der an ihn ausgezahlten Pauschale. Den Rest verwende er für seine politische Arbeit.
Das Tagegeld zahlt die EU ihren Abgeordneten für jeden Tag, „an dem das Mitglied an offiziellen Arbeitstagen des Parlaments anwesend ist“, heißt es in den Statuten. Das heißt, der Parlamentarier muss sich in die Anwesenheitsliste eintragen, dann wird das Tagegeld automatisch überweisen. Für Sitzungen außerhalb der EU erhalten die Abgeordneten pro Tag 152 Euro zuzüglich ihrer Ausgaben für die Übernachtung. Auch hier gilt: Der Abgeordnete muss die offizielle Anwesenheitsliste für die Sitzung unterschrieben haben.
Ausweichende Antworten
Giegolds Kritik fügt sich nahtlos ein in die Debatte um Privilegien von Europa-Abgeordneten, die sich an den Reisekosten der EU-Parlamenterier enzündete. Ist das Tagegeld tatsächlich ein überflüssiges Privileg, wie Giegold meint?
Seine Parteifreundin und europäische Spitzenkandidatin der Grünen, Ska Keller, sagte zu dem Thema auf Anfrage nur soviel: Sie habe „Sitzungsgelder beansprucht“, sofern sie anwesend gewesen sei. CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber, der seit 1994 im EU-Parlament sitzt, reagierte auf die Anfrage mit einer längeren Stellungnahme: „Alle Mitglieder des Europäischen Parlaments bekommen an den Tagen, an denen Sie parlamentarisch tätig sind, ein Tagegeld. Dieses erhält man automatisch, es muss nicht beantragt werden“, schrieb er per Mail zwischen seinen Wahlkampfauftritten.
Und weiter: „Das Tagegeld dient zur Deckung des Aufwands für Übernachtung und Verpflegung. Je nach Kosten für Hotel, Wohnung und Verpflegung in Brüssel und Straßburg, die deutlich über denen etwa in Berlin liegen, kann im Einzelfall eine Differenz entstehen, die ich dann für meine parlamentarische Arbeit verwende.“
„Ich verwende die Pauschale bestimmungsgemäß“
Auch der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Udo Bullmann, mag auf die Frage, ob er die 304 Euro in Anspruch nehme, nicht mit einem schlichten „Ja“ oder „Nein“ antworten, sondern erklärt zunächst einmal: „Im Europäischen Parlament gibt es keine Sitzungsgelder. Sitzungen gehören zur selbstverständlichen Alltagstätigkeit jedes Abgeordneten, wofür es natürlich keine Sondervergütungen gibt.“
Da Europaabgeordnete im ständigen Sitzungsrhythmus zwischen ihrem Wahlkreis sowie den Tagungen in Brüssel und Straßburg pendelten, fielen „allerdings erhebliche Kosten für mehrfache Haushaltsführung“ an. „Anders als andere Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können Abgeordnete keine Werbungskosten gegenüber dem Finanzamt geltend machen“, sagt Bullmann. Deshalb gebe es zur Abgeltung der anfallenden Kosten für mehrfache Haushaltsführung Tagegelder. Diese unterlägen „den Bestimmungen der Artikel 11 und 12 der Kostenerstattungs- und Vergütungsregelungen des Europäischen Parlaments in der Fassung vom 1.2.2009“.
Danach zahle das Parlament eine Pauschalvergütung in Höhe von 304 Euro je Tag, an dem ein Abgeordneter an offiziellen Arbeitstagen anwesend sei. „Ähnlich wie im Deutschen Bundestag (§13 Abs. 2 GO DBT) erfolgt der Nachweis der Anwesenheit über Eintrag ins Zentralregister oder den ausliegenden Listen in den Sitzungsräumen. Soweit ich davon Gebrauch mache, verwende ich die Pauschale bestimmungsgemäß“, so der SPD-Politiker.
Bis zu 21 Mitarbeiter
Das Tageld macht nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Zuwendungen aus, die den EU-Parlamentariern zustehen. Zum Einkommen der Abgeordneten zählt seit 2009 zunächst einmal ein einheitliches steuerpflichtiges Gehalt von derzeit 8.021 Euro im Monat. Nach Abzug der EU-Steuer bleiben davon 6.250,37 Euro.
Damit sie sich ein Büro anmieten und Telefonrechnungen bezahlen können, werden ihnen monatlich 4.299 Euro überwiesen. „Für persönliche Mitarbeiter erhält jeder Abgeordnete auf Nachweis bis zu 21.209 Euro monatlich“, schrieb vor Kurzem der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. „Damit beschäftigt zum Beispiel der rumänische EU-Abgeordnete George Sabin Cutas neben seinen beiden in Brüssel akkreditierten Assistenten 19 weitere Mitarbeiter in seinem Heimatland. Deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments können sich in der Regel zuhause lediglich drei Assistenten leisten, und das reicht ja auch.“(1)
Wenn sie krank sind, haben die Abgeordneten Anspruch auf Erstattung von zwei Dritteln ihrer Ausgaben für medizinische Versorgung, und sollten sie nicht wiedergewählt werden, steht ihnen für maximal zwei Jahre eine „Übergangsvergütung in Höhe eines Monatsgehalts pro Jahr ihrer Amtszeit zu“. Mit nur einer Amtszeit erwerben sie einen Altersversorgungsanspruch von monatlich 1.405 Euro. Diesen Betrag erreicht der deutsche Durchschnittsrentner nicht einmal nach 45 Jahren Arbeit– er kommt auf 1175 Euro.
„Reisen wie das normale Volk auch“
Außerdem dürfen EU-Parlamentarier noch erster Klasse reisen mit der Begründung, dass sie erstens sehr viel in der EU unterwegs sind und zweitens häufig während der Bahnfahrten und Flüge arbeiten. Den Steuerzahler kosten diese Reisen jährlich 14 Millionen Euro, errechnete die „Bild“-Zeitung (2). Allein für die Flüge zwischen dem Heimatwahlkreis und Brüssel fallen demnach 6,34 Millionen Euro Reisekosten an. Weitere fünf Millionen Euro pro Jahr kosten ihre Auslandsreisen.
„Das ist eine völlig überflüssige Verschwendung von Steuergeldern“, findet AfD-Chef Bernd Lucke. Darum solle die EU den Abgeordneten nur „die notwendigen Reisekosten ersetzen – also die der 2. Klasse“. Wer komfortabler reisen wolle, könne den Aufpreis für die 1. Klasse „aus seinem ja nicht so knappen Einkommen als Europaparlamentarier bestreiten“. Lucke: „Aber jeder sollte auch bedenken, dass es einem Volksvertreter nicht schlecht zu Gesicht steht, so zu reisen, wie es das normale Volk auch tut – in der 2. Klasse.“
Die AfD-Europakandidaten rechnen sich offenbar zum „normalen Volk“, weshalb sie sich bereits vor dem Einzug ins Parlament dazu verpflichten, während ihrer Amtszeit keine Reisekostenerstattungen für die 1. Klasse in Anspruch zu nehmen. „Wir appellieren an alle Kollegen im EU-Parlament, im Bundestag und in den Länderparlamenten, unserem Vorbild zu folgen“, sagt Lucke und ruft zugleich dazu auf, auch hohen Beamte grundsätzlich nur Reisen 2. Klasse zu genehmigen. „Auch hohe Beamte sind ggf. imstande, einen Aufpreis für die 1. Klasse aus eigener Tasche zu bezahlen“, sagt der AfD-Chef.
Worauf die potenziellen AfD-Abgeordneten aber nicht verzichten wollen, ist die Pauschale von 304 Euro pro Parlamentssitzung. Wenn man das Einkommen der EU-Abgeordneten beschneiden wolle, solle man eher bei den leistungsunabhängigen Einkommenskomponenten – den Diäten und Kostenpauschalen – ansetzen.
Anmerkungen
(1) Legal Tribune, „So demokratisch wie die EU selbst“, Hans Herbert von Arnim: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eu-abgeordnete-gehalt-parteienfinanzierung/
(2) Bild, „Warum dürfen unsere Politiker erster Klasse reisen?“: http://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/steuern/warum-duerfen-unsere-politiker-erste-klasse-reisen-35974724,view=conversionToLogin.bild.html