Die AfD bringt sich auf Linie
Ein Jahr nach ihrer Gründung sucht die AfD ihr Selbstverständnis. Auf dem Parteitag in Erfurt sollen die Mitglieder vom Vorstand erarbeitete Leitlinien absegnen.
Geht es nach ihrem Vorsitzenden Bernd Lucke, dann soll die Alternative für Deutschland (AfD) im gängigen Rechts-Links-Schema der Politik keinen festen Platz einnehmen. Seine Ko-Vorsitzende Frauke Petry wehrt sich gegen „Schubladendenken“. Sie empfand es als Lob, als ihr jemand sagte, die AfD habe sich aus den Programmen der anderen Parteien das Beste abgeschrieben. Und der Neu-AfDler Hans-Olaf Henkel lobt gern den in der Alternative versammelten „Sachverstand“, womit er nicht nur, aber vor allem doch den ökonomischen meint.
Aber kann eine Partei überhaupt ohne verbindende Grundwerte, ohne weltanschauliches Grundgerüst, ohne geistigen und sittlichen Unterbau auskommen, in dem die politische Initiative wurzelt? Braucht es nichts Verbindendes, keinen Ort, von dem aus sie losmarschiert und auf den sie sich im Zweifel wieder zurückziehen kann? Gibt es Politik im luftleeren Raum irgendwo zwischen der Rettung Europas aus dem Eurokrisen-Schlamassel und der Frage, ob gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die Adoption erlaubt werden soll?
„Wir sind keine konservative Partei!“
Diese und andere Fragen wird sich die Partei am kommenden Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt stellen. Denn dort sollen die Mitglieder nicht nur eine neue Bundessatzung beschließen und das Programm für die Europawahl verabschieden, sondern auch sechs Leitlinien für den Kurs der Partei verabschieden. Erfurt soll für die AfD gewissenermaßen der Ort sein, an dem sie sich zu sich selbst bekennt, an dem sie sich fast ein Jahr nach ihrer Gründung in Berlin und turbulenten Monaten innerparteilicher Auseinandersetzung ihrer selbst vergewissert.
Bisher ist sie da in jeder Hinsicht entschieden unentschieden. „Wir sind keine konservative Partei!“, stellt Lucke gerne mal fest. Es kommt aber auch vor, dass er, etwa auf einem Landesparteitag in Bayern, genau das Gegenteil behauptet. Er selbst definiert sich immer noch als Christdemokraten, der die Partei nach über 30 Jahren verließ, weil er mit ihrer Euro- und Europapolitik haderte.
Elementare Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit
Was wäre so schlimm daran, eine konservative Partei zu sein? Weil sich Konservatismus und Fortschritt ausschließen? Denn fortschrittlich will die AfD sein, das hat sie mit den Sozialdemokraten gemein. In Großbritannien käme allerdings niemand auf die Idee, Konservatismus im Widerspruch zum Fortschritt zu definieren. Schließlich hat Margaret Thatcher bewiesen, mit welcher marktliberalen Macht eine konservative Partei eine Gesellschaft in nur wenigen Jahren gründlich durchpflügen kann.
Lucke sagt aber auch: „Wir sind keine liberale Partei!“ Und rechtspopulistisch seien sie schon mal gar nicht. „Wir sind grundwerteorientiert“, sagt er. Darunter versteht er allerdings nicht Begriffe wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, die zum Selbstverständnis sowohl der Sozialdemokraten als auch der Christdemokraten zählen. Lucke versteht darunter eher elementare Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Sechs davon, die den Parteispitzen des Bundes und der Länder am wichtigsten sind, haben sie nun als Leitlinien formuliert, die in Erfurt vorgestellt werden.
Beschädigte Demokratie
„Die Alternative für Deutschland will Rechtsstaat, Demokratie, Gewaltenteilung, Subsidiarität und soziale Marktwirtschaft bewahren und, wo nötig, wiederherstellen. Außerdem will sie anderen elementaren Prinzipien, die in der Eurokrise von der Regierung verletzt worden sind, insbesondere dem Prinzip der Verantwortung, dem Prinzip der Transparenz und dem Prinzip der Nachhaltigkeit wieder Geltung verschaffen“, heißt es dazu im Antrag des Bundesvorstandes. In der Eurokrise habe der Rechtsstaat Schaden genommen, weil die Regierungen der Eurozone den Maastrichter Vertrag gebrochen hätten und die Europäische Zentralbank mit ihrem Programm zum Ankauf von Staatsanleihen gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoße, schreibt die AfD.
Auch die Demokratie sei durch die Eurokrise beschädigt worden. Denn mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) eine gewaltige europäische Institution geschaffen worden, die sich der demokratischen Kontrolle entziehe. Unvereinbar mit den Prinzipien der Demokratie sei auch, dass die „ungewählte sog. Troika die Regierungen der europäischen Krisenstaaten zu Maßnahmen genötigt hat, die von den Parlamenten dieser Länder ohne Druck nie beschlossen worden wären“.
„Zurück zur Sozialen Marktwirtschaft“
Weil der Bundestag nicht die Kraft besessen habe, gegen die Einschränkung seiner Rechte durch vermeintlichen Zeitdruck aufzubegehren, habe die Krise auch die Gewaltenteilung beschädigt. „Hinzu kam, dass das Bundesverfassungsgericht offenkundige Rechtsverstöße der Bundesregierung nicht als solche gebrandmarkt hat, sondern notwendige Urteile mit dem Verweis auf seine mangelnde ökonomische Kompetenz vermieden oder Verfahren zum Vorteil der Beklagten unverständlich lange verzögert hat“, heißt es im Antrag an den Bundesparteitag.
In den Punkten fünf und sechs beklagt die AfD den der Sozialen Marktwirtschaft und dem Prinzip der Subsidiarität zugefügten Schäden. Letztere sei durch die Verlagerung finanzieller und wirtschaftlicher Entscheidungen auf die höchste europäische Ebene „faktisch und institutionell“ beseitigt. Es sei unsozial und widerspreche den Zielen der Sozialen Marktwirtschaft, „Sparer und Steuerzahler für die Risiken verantwortungsloser Staaten und Banken in Haftung zu nehmen; weil der für die Marktwirtschaft konstitutive Zusammenhang zwischen Verantwortung und Haftung zerstört wurde und weil durch die Interventionen der Europäischen Zentralbank die Zinsen als Instrument marktwirtschaftlicher Steuerung und Risikobewertung in ihrer Wirkung schwer beeinträchtigt wurden.“
Besondere Bedeutung Russlands
Im Kern besinnt sich die Partei also wieder auf die Themen, mit denen sie im vergangenen Frühjahr erfolgreich gestartet war. Damit ziehen die Spitzen aus Bund und Ländern die Konsequenz aus der zumeist über die sozialen Netzwerke verbreiteten Kakophonie aus Islamhass, Homophobie und Stammtischpatriotismus. Zur Europawahl soll die Linie stimmen. Entsprechend dazu enthält das Wahlprogramm die, so Henkel, „Vision eines schlankeren und demokratischeren Europas“ sowie außenpolitische Grundsätze, in denen explizit auch das Verhältnis zu Russland thematisiert wird.
Auch dem Verhältnis zu Russland komme eine „besondere Bedeutung zu“, heißt es dort. „Die Einbindung in den Westen darf Deutschland nicht daran hindern, dem Nachbarn im Osten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und daran mitzuwirken, Probleme zwischen Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Einvernehmen mit diesen zu lösen.“ Das gelte auch für eventuelle Beitritts- oder Assoziierungsgespräche.
Enorme Vorstands-Macht
Mit einer neuen Satzung wird sich die im kommenden Jahr die innerparteiliche Struktur ändern. Das dreiköpfige Sprechergremium soll durch einen Vorstand mit einem Vorsitzenden und Stellvertretern ersetzt werden. Danach soll der Vorstand einem seiner Mitglieder Aufgaben mit einfacher Mehrheit entziehen können. Außerdem hätte der Vorsitzende die Möglichkeit, dem Parteitag eine beliebige Zahl neuer Stellvertreter vorzuschlagen. Diese Regelung sei problematisch, meint der Osnabrücker Parteienrechtler Jörn Ibsen. „Durch die Kombination dieser Regeln wächst dem Vorsitzenden der AfD und seinen Getreuen eine enorme Macht zu. Zugleich stehen Abweichler im Vorstand ständig in der Gefahr, ausgeschaltet zu werden“, sagte er dem „Spiegel“. Das verletzte die verfassungsrechtlich vorgeschriebene innerparteiliche Demokratie.
Nach der neuen Satzung soll der Kassenwart selbst nicht mehr Mitglied des Vorstandes sein, sondern Angestellter der Partei. Seine Arbeit würde durch einen „Finanzvorstand“ kontrolliert. Ipsen sieht auch in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Parteiengesetz.
Gute Umfragen
Trotz der heftigen inhaltlichen und oft auch sehr persönlichen Auseinandersetzungen in den Landesverbänden, durch die wiederholt ganze Vorstände ausgetauscht werden mussten, liegt die AfD in den Umfragen zur Europawahl seit Januar stabil zwischen 6 und 8 Prozent. Sollte sie ein solches Ergebnis erreichen, würde sie mit etwa ebensoviel Mandaten in das Europaparlament einziehen. Dann säße neben ihren Spitzenkandidaten Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel auch die wegen ihrer religiös-konservativen gesellschaftspolitischen Haltung umstrittene Berliner Kandidatin Beatrix von Storch künftig im Straßburger Parlament.