Furcht vor Kollaps der Energiewende
Die Debatte um den Ausbau der Stromtrassen droht außer Kontrolle zu geraten. Ministerpräsident Weil (SPD) warnt vor einem Scheitern. Kanzlerin Merkel schaltet sich ein.
DIm den Streit um den Bau riesiger Stromtrassen wird erstmals die Gefahr eines möglichen Scheiterns der von Superminister Sigmar Gabriel (SPD) geplanten Energiewende angedeutet. Anlass ist der von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vorgeschlagene Planungsstopp für den Ausbau riesiger neuer Stromtrassen vom Norden Deutschlands in den Süden. Damit torpediert er die Absicht, ab dem Jahr 2022 mit Windstrom aus dem Norden und Osten die Abschaltung der Atomkraftwerke im Süden zu kompensieren.
„Die Energiewende steht und fällt mit der Erweiterung unserer Stromnetze“, warnte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der sich damit erstmals in die Debatte einschaltete. Er verwies darauf, dass die große Mehrzahl der Atomkraftwerke nun einmal im Süden stehe. „Wenn sie abgeschaltet werden, braucht der Süden den Strom aus dem Norden“, stellte Weil fest. Der Ministerpräsident empfahl an Stelle gegenseitiger politischer Beschimpfungen einen Dialog mit den Betroffenen vor Ort. „Wo die dafür notwendigen Trassen verlaufen, muss intensiv mit den betroffenen Bürgern diskutiert werden“, sagte Weil.
„Energiewende mit der Brechstange“
Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) attestierte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer eine „verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit“. Einerseits blockiere Seehofer den Trassenausbau, andererseits täusche er die Bayern darüber hinweg, wie sehr Bayern künftig von Stromlieferungen aus dem Norden abhängig sei, wenn immer mehr Atomkraftwerke vom Netz gingen, sagte Duin. „Gleichzeitig schweigt er beharrlich darüber, dass nicht die bayerische Landesregierung, sondern die Mieter in NRW die Photovoltaik-Förderung der bayerischen Hausbesitzer bezahlen“, so der Landes-Wirtschaftsminister. Duin betonte aber auch, dass es keine Energiewende ohne Kohle- und Gaskraftwerke geben könne. „Wind braucht Kohle und Gas“, sagte er.
Am Wochenende war die Debatte um den geplanten Trassenbau durch die Äußerungen Seehofers und des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer eskaliert. Scheuer hatte dem Koalitionspartner SPD vorgeworfen, Wirtschaftsminister Gabriel befinde sich auf einem energiepolitischen Irrweg. „Eine Energiewende mit der Brechstange“, gefährde die Akzeptanz und sei deshalb nicht verantwortbar, so Scheuer. Gabriel müsse schleunigst seine „unter Strom stehenden Genossinnen einfangen und ihnen Koalitionsdisziplin beibringen“. Damit meinte er zum einen die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die Seehofer „ein bisher unerreichtes Niveau an politischer Raserei“ vorwarf, zum anderen die Kritik von Umweltministerin Barbara Hendricks an Seehofer.
Merkel spricht mit Seehofer
Hendricks hatte mit Blick auf Seehofers Äußerungen gesagt:„Ich glaube nicht, dass man als verantwortlicher Politiker sich so verhalten darf.“ Es sei nicht möglich, gleichzeitig die Atomenergie abzuschalten, Windräder zu verhindern und neue Stromtrassen nicht zuzulassen.
Angesichts der Unruhe in der Koalition schaltete sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Debatte ein. Sie werde an den Ausbauplänen festhalten, ließ sie Seehofer wissen. „Es wird Gleichspannungsleitungen geben, darüber sind wir uns auch alle einig“, sagte die Kanzlerin zum Abschluss einer CDU-Klausur in Erfurt. Mit Blick auf die vom Bundeskabinett beschlossene Drosselung beim Bau von Windparks in Nord- und Ostsee sowie bei Windrädern an Land würden die Planungen zwar überprüft. Aber wahrscheinlich würden sie bei den Haupttrassen so bleiben. „Ich bin darüber mit Horst Seehofer in einem guten Gespräch“, sagte sie mit Blick auf jüngste Einwände des bayerischen Ministerpräsidenten.
„Planungen können sich ändern“
„Insofern ist ein einfaches Moratorium sicherlich keine Antwort, aber es muss auch eine zeitnahe Überprüfung geben“, sagte Merkel zu dem von Seehofer geforderten Planungsstopp. Nun sei die Frage, ob die Regierung einige Monate warte und mögliche Änderungen durch die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) einfließen lasse. „Wir müssen damit rechnen, dass sich von Jahr zu Jahr die Planungen immer wieder ein Stück ändern werden“, sagte Merkel. Aber die Politik könne nicht erst 2018 anfangen, sich damit zu beschäftigen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) begrüßte Merkels Bekenntnis zum Netzausbau. „Merkel stellt klar, dass die Linie der Bundesregierung nicht die Seehofers ist“, sagte Habeck. Auf Basis dieser Klarstellung könne man nun weiter über eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verhandeln.
„Wir brauchen keine Belehrungen“
Seehofer hatte zuvor mit einem Rundumschlag auf die breite Kritik an ihm reagiert. „Wir Bayern brauchen keine Belehrung von irgendjemand“, sagte der bayerische Ministerpräsident „Bild.de“. Er dringe darauf, dass die großen Stromtrassen nach Bayern auf ihre Notwendigkeit und auf ihre Machbarkeit hin überprüft würden. „Das Geschwätz, das dazu eingesetzt hat von EU-Kommissar (Günther) Oettinger und anderen Ortsunkundigen, wird an dieser bayerischen Forderung nichts ändern.“ Er erwarte, dass die Eckpunkte der Energiewende überprüft würden. „Da kann man nicht einfach sagen: Einmal beschlossen, immer beschlossen.“
Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) regte an, die Trassen teilweise in die Erde zu legen. Erdkabel sollten „dort ermöglicht werden, wo Bevölkerung und Landschaftsbild besonders beeinträchtigt werden“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.