Das Establishment bringt den Kollaps

Was verbindet den Zusammenbruch des Römischen Reiches und des imperialen China? Beide Male kam es zuvor zu einem überdimensionierten Wachstums des Establishments.

 

Peter Turchin schrieb jetzt bei Bloomberg eine fabelhafte Analyse dessen, was unsere Gesellschaften in Europa und Amerika derzeit auflöst und zersetzt. Turchin ist Vizepräsident des Evolution-Institute in Wesley Chapel, Florida. Außerdem lehrt er Biologie und Anthropologie an der University of Connecticut.

Seine These: Wir gehen durch eine Ära wie diejenigen, die das Römische Reich, das imperiale China und die früh-modernen Gesellschaften in Frankreich und England zerrissen, mit den bekannten Folgen. Laut Turchin kommt es im Vorfeld dieses oft Jahrzehnte währenden Prozesses zu einer Überproduktion an Mitgliedern der Eliten.

Zerreißprobe

Auf heute übertragen sieht man das etwa an der krass zunehmenden Zahl an Millionären und Milliardären, aber auch an einem gewaltigen Überschuss an Anwälten und MBAs, die nicht alle in ihren Berufen unterkommen – was zu nachlassender Solidarität, zu einer ideologischen Polarisierung, zu Verteilungskämpfen und am Ende zu einer internen Zerreißprobe der Eliten führt, weil es immer mehr Verlierer gibt, die nicht in den ersehnten Berufen unterkommen.

Die Folgen sind ein starker Rückgang der Kompromissfähigkeit und zunehmende Gewaltbereitschaft in der Auseinandersetzung (siehe Budget-Desaster in Washington). Der US-Kongress muss mehrmals am Rande interner Schießereien gestanden haben. Die USA erlebten eine solche Phase ab den 1850er Jahren, Turching beschreibt genau, was da vor sich ging, und wie es wegen dieser Tendenzen schließlich zum Bürgerkrieg (1860-65) kam.

30 Indikatoren

Turchin hat 30 Indikatoren erarbeitet, die er andauernd beobachtet und mit historischen Ereignissen vergleicht. Sein Argument ist, dass seit den 1970er Jahren, als die Produktivität in den USA weiter wuchs, die Löhne aber stagnierten, die jetzige Phase extremer Ungleichheit begann.

Ich hatte bisher immer angenommen, dass das erst richtig in den 80er mit der Liberalisierung der Finanzmärkte, den privaten Altersvorsorge und der „Volksaktie“ aufkam, aber es macht Sinn, was er schreibt. Seit 30 Jahren laufen alle 30 Indikatoren in die „falsche Richtung“, sagt Turchin. Dazu Turchin in seinem Stück bei Bloomberg:

„Heute sehen wir nicht nur einen bitteren Kampf zwischen Demokraten und Republikanern, die Republikanische Partei selbst zerlegt sich. Wie in den 1850er Jahren verachten viele der politischen Eliten heute Kompromisse und sind geneigt, stattdessen  bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Zum Glück haben sich unsere Senatoren nicht mit Revolvern und Bowie-Messern bewaffnet“.

Endspiel im kommenden Jahrzehnt

Turchin erwartet für viele Jahre politische Turbulenzen, die erst im kommenden Jahrzehnt ihren Kulminationspunkt erreichen werden. Das Endgame könnte in einem katastrophalen Versagen des Systems bestehen, in einem politischen oder wirtschaftlichen Crash, bei dem der Zusammenbruch des Anleihemarktes noch eine der weniger hässlichen Varianten wäre.

Ein gewaltsames Ende sei aber nicht automatisch zu erwarten. Turchin nennt Beispiele, wie Gesellschaften solche extremen Phasen ohne Blutvergießen und Bürgerkriege überwanden, zum Beispiel konnte Russland die Leibeigenschaft ohne Umwälzungen überwinden, erlebte aber 50 Jahre später seine Revolution. Die USA überwanden die große Ungleichheitskrise des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit umfassenden Reformen des New Deal.

Was sich im westen abspielt

Das Stück ist wirklich lesenswert, auch wenn man die Meinungen von Turchin nicht teilt. Da stecken viele gute Punkte und Anregungen drin, dazu viele historische Vergleiche die uns verdeutlichen, was sich derzeit im Westen abspielt.

Bei Turchins Punkt über die wachsenden Spannungen in den Eliten musste ich nicht nur an die drohende Spaltung der Republikaner denken, sondern auch daran, wie sich die SPD nach links wendet und sich enorm schwertut mit einem Kompromiss in den Koalitionsverhandlungen. Dasselbe gilt für die CDU, wo man wieder mehr Mantra und weniger Merkel fordert.

Über Markus Gaertner

Markus Gaertner war über viele Jahre freier Wirtschafts-Korrespondent mit Sitz in Vancouver. Heute arbeitet er für den Kopp-Verlag. Weitere Artikel