Mit der Staatsbürgerschaft in den Wahlkampf
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verlangt von Berlin die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken. Auch SPD, Grüne und FDP sind dafür. Aber wie glaubwürdigt sind sie?
Manche Themen haben es lange Zeit schwer. Aber dann sind sie plötzlich wieder da. Ein solches Thema ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Nur in Einzelfällen tauchte sie in den vergangenen Jahren immer wieder mal auf, wie zuletzt in Hamburg. Dort wollte ein hochrangiger Wissenschaftler seine Staatsbürgerschaft nicht für die deutsche aufgeben. Wenn er seine alte Staatsbürgerschaft zusätzlich zur deutschen Staatsbürgerschaft behalten dürfe, erleichterte das die wissenschaftliche Kooperation mit seinem Herkunftsland, argumentierte er. In einer Petition an die Bürgerschaft berief er sich auf Paragraph 12 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, der die Fälle regelt, in denen doch zwei Staatsbürgerschaften erlaubt sind. Vorausgesetzt, der Ausländer kann seine bisherige Staatsangehörigkeit „nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben“.
Interessant ist der Ausgang des Falles, weil er so gar nicht zur aktuellen Debatte passt. Obwohl die CDU die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich ablehnt, wollte sie dem Mann gemeinsam mit FDP, GAL und der Linken das Recht auf beide Staatsbürgerschaften zusprechen. Ausgerechnet die SPD, deren Vorsitzender Sigmar Gabriel jetzt durch die Lande zieht und behauptet, die doppelte Staatsbürgerschaft sei längst überfällig, machte dem Mann einen Strich durch die Rechnung und lehnte ab.
Offenbar ist Gabriels Auffassung bei den Genossen in Hamburg noch nicht angekommen. Vielleicht haben sie aber auch das Trauma von 1999 noch nicht verarbeitet.
Mit seinem Ansinnen liegt Gabriel ganz auf der Linie des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der jetzt beim Türkei-Besuch von Kanzlerin Angela Merkel die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken verlangte.
Kinder sollen entscheiden
Einige werden sich vielleicht noch dran erinnern, dass die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder damals die doppelte Staatsbürgerschaft einführen wollte. Doch als der hessische CDU-Politikers Roland Koch daraufhin mit einer breit angelegten Unterschriftenkampagne gegen den sogenannten Doppelpass zu Felde zog und dadurch gar die damalige SPD-Landesregierung stürzte, ließen SPD und Grüne das Thema fallen wie eine heiße Kartoffel. Sie schufen die sogenannte Optionslösung, wonach jedes in Deutschland geborene Kind automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Sollten seine Eltern Ausländer sein, muss sich das Kind bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, ob es die deutsche Staatsbürgerschaft behalten oder die der Eltern annehmen will.
Für Kinder, deren Eltern aus Ländern der Europäischen Union kommen, gilt das allerdings nicht. Sie dürfen zugleich die deutsche und beispielsweise die französische oder italienische Staatsbürgerschaft haben. Betroffen von der Optionslösung sind vor allem Kinder türkischer Eltern, denn die Türkei gehört nicht zur EU.
Bislang war dies politisch ein zu vernachlässigendes Problem, obwohl die Türken mit rund 1,6 Millionen Bürgern die größte Zuwanderergruppe stellen. Aber es gab halt kaum Optionsfälle, weil das Modell erst seit dem 1. Januar 2000 existiert. Zwar schuf die Regierung eine Übergangsregelung für Kinder, die damals noch nicht zehn Jahre alt waren. Doch die wurde nur wenig genutzt. Deshalb stehen in diesem Jahr auch nur 3316 sogenannte Optionsfälle an.
Was sagen die Wahlprogramme?
Trotzdem brechen SPD, Grüne und die FDP nun eine Debatte über die Optionslösung los. Demnach wollen SPD und Grüne die doppelte Staatsbürgerschaft generell einführen, die FDP-Politikerin und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will mehr doppelte Staatsbürgerschaften zulassen. „Integration kann auch durch doppelte Staatsbürgerschaft gefördert werden, wie die vielen Fälle von gut integrierten Bürgern mit Doppelstaatsbürgerschaft zeigen“, sagt sie. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle findet das zumindest nicht unsympathisch.
Am glaubwürdigsten sind dabei allerdings die Grünen. Schon in ihrem Wahlprogramm 2009 schrieben sie:
„Wir wollen Einbürgerung in Deutschland erleichtern – auch durch die generelle Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit und durch Senkung der Gebühren für die Einbürgerung. Junge Deutsche, die auch noch den Pass eines anderen Staates haben, müssen die deutsche Staatsbürgerschaft behalten dürfen, auch wenn sie nach ihrem 23. Geburtstag die andere Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollen. Der von der FDP durchgedrückte Optionszwang muss weg.“
Von so klaren Aussagen ist die SPD, auch wenn ihr Vorsitzender Gabriel derzeit einen anderen Eindruck erweckt, programmatisch weit entfernt. Im aktuellen Grundsatzprogramm heißt es:
„Wir streben die Einbürgerung der zu uns kommenden Menschen an. Sie ist nicht das Ende der Integration, aber sie ermöglicht die volle politische Teilhabe. Dabei schließen wir Mehrstaatlichkeit nicht aus.“
In den Freiheitsthesen der FDP und im Grundsatzprogramm der CDU taucht das Wort Staatsbürgerschaft in diesem Zusammenhang übrigens gar nicht auf.
Emotionales Thema
Was steckt also hinter den Ankündigungen? Ganz einfach, das Thema gewinnt an Bedeutung, weil die Zahl der Betroffenen steigt. In fünf Jahren werden nämlich alle Kinder türkischer Eltern vor der Wahl stehen, ob sie der Nationalität nach Deutsche oder Türken sein wollen. Dann gibt es jährlich nicht mehr nur 3000 Optionsfälle, sondern 40.000. Damit werden sie zu einer politisch relevanten Größe in einem von schwersten Demographie-Nöten gezeichneten Land.
Außerdem eignet sich das Thema prima für den Wahlkampf. Es ist zutiefst emotional, das hat Roland Koch 1999 bewiesen. Und es ist ein Thema für die schrillsten Töne. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat schon mal gezeigt, was möglich ist: „Zur doppelten Staatsbürgerschaft sagen wir klar nein. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Ramschartikel, den man billig verscherbelt“, tönte er auf „Spiegel Online“ in bester Stammtischmanier. „Wer Deutscher werden will, soll sich vorbehaltlos zu unserem Land und unserer Grundordnung bekennen, da gibt es keinen Platz für Hintertürchen.“
Stammtisch-Politik
Vor allem brauchen die Wahlkämpfer bei diesem Thema kein Faktenwissen. Da können sie einfach drauflospoltern. Und die Fronten sind auch so schön klar. Alle plädieren für den Doppelpass, nur die Union hält dagegen. Wie lange hat es das nicht mehr gegeben?
Und ganz ehrlich, wer einmal einen Blick in die Programme der großen Parteien wirft, der findet eh kein leidenschaftliches Projekt, das die Wähler bei der Bundestagswahl im September an die Urnen holen könnte. Nicht einmal zur weiter schwelenden Finanzkrise fällt den Parteistrategen etwas ein. Die meisten haben sie bis heute auch gar nicht begriffen.