Klage gegen EZB-Präsident Trichet vor dem Gericht der Europäischen Union
In einem persönlichen Brief hat Kerber Bundespräsident Christian Wulff aufgefordert, die Klage zu unterstützen. Anlass für diesen Brief ist eine Rede Wulffs zur Eröffnung einer Tagung von Wirtschaftsnobelpreisträgern im August dieses Jahres. Daran hatte sich Wulff auffallend kritisch mit der Handlungsweise der EZB in der Krise auseinandergesetzt. „Ich halte den massiven Ankauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich“, sagte der Bundespräsident. Und weiter: „Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt umgehen.“ Oder anders ausgedrückt: Genau das habe die EZB infolge von Finanz- und Griechenlandkrise getan.
In seinem Brief an Wulff schreibt Kerber: „Das Echo auf Ihre Äußerungen zeigt, dass Sie einen wunden Punkt angesprochen haben (…) Angesichts Ihrer auf der Lindauer-Tagung geäußerten Rechtsauffassung wäre es juristisch folgerichtig, sich unserer Klage anzuschließen.“
Mit seiner Klage betritt Kerber ein noch unberührtes juristisches Terrain, denn noch nie musste sich die EZB, geschweige denn ihr Präsident für ein derartiges Handeln vor Gericht verantworten. Gleichzeitig wirft sie Fragen danach auf, welches Verständnis von Europa Trichet und die französische Politik mitbringen. Wie französisch ist, wie französisch darf dieses Europa sein? „Trichet ließ sich maßgeblich auf Zuruf des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zum Rechtsbruch verleiten“, sagt Kerber.
Inhaltlich wirft er der EZB vor, ihre Pflicht zur Gewährleistung der Preisstabilität und ihre Pflicht zur politischen Unabhängigkeit zu missachten. Die EZB habe den Wettbewerb verzerrt und dabei im Widerspruch zur offenen Markwirtschaft gemäß Artikel 127, Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gehandelt.
In seiner Argumentation greift Kerber zurück auf den Ausbruch der Bankenkrise im Herbst 2008. Damals habe die EZB kurzerhand die Rolle des „Tagesgeldbankiers für alle Geschäftsbanken“ übernommen. Das heißt, sie änderte das Verfahren für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems mit dem Ziel, die Liquidität der Kreditinstitute sicherzustellen.
So habe die EZB die Anforderungen an die Sicherheiten zur Refinanzierung der einzelnen Banken drastisch gesenkt und so den Banken „unbegrenzte Liquidität bereitgestellt“, sagt Kerber. Diese Einladung hätten die Banken südeuropäischer Länder gerne angenommen und umgehend alle mehr oder weniger wertlosen Staatsanleihen unter Inkaufnahme kleinerer Abschläge „mit Zustimmung der EZB“ an das Eurosystem veräußert oder zur Refinanzierung eingereicht.
All dies sei noch vor Ausbruch der Griechenlandkrise geschehen. Doch schon damals gab es kritische Stimmen. „Die Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der EU-Kommission beobachtete das mit Sorge, äußerte sich aber nicht öffentlich“, sagt Kerber.
Mit Ausbruch der Griechenlandkrise im Frühjahr 2010 sei die EZB dann noch einen Schritt weiter gegangen. Damals diagnostizierte die EZB-Spitze eine schwere Störung der Funktionalität des Staatsschuldenmarktes und leitete aus dieser Feststellung weitere Maßnahmen ab. „Sie gewährte aus eigener Machtvollkommenheit nahezu sämtlichen griechischen Banken für alle eingereichten Sicherheiten entsprechende Liquidität“, so Kerber. Darüber hinaus habe sie nun auch neue „Schuldtitel Privater“, etwa von Unternehmen, zu kaufen. Grundlage hierfür seien die Beschlüsse des EZB-Rates vom 14. Mai 2010 gewesen. Damit sei das unbefristete Aussetzen der Bonitätswerte, sprich des Ratings für griechische Staatsanleihen einhergegangen.
„Das Vorgehen erstaunt, wenn man bedenkt, dass selbst Mitglieder des EZB-Direktoriums und der EZB-Präsident selbst zu den eigentlichen Ursachen und Folgen dieser Krise lediglich Mutmaßungen angestellt haben“, sagt Kerber. Gleichwohl hätten die Staats- und Regierungschefs sich „die höchstpersönliche Interpretation von Herrn Trichet“ in der Nacht vom 9. Mai auf den 10. Mai 2010 „kritiklos zu Eigen gemacht, um unabhängig von der Existenz einer etwaigen Rechtslage den Schutzschirm zur Rettung des Euros zu schaffen“.
Seit dieser Zeit habe die EZB „ihre massiven Anleihenaufkäufe“ unvermindert fortgesetzt. Zwar werde dieses Vorgehen immerzu geldpolitisch begründet, tatsächlich aber kaufe die EZB die Anleihen zur Stabilisierung der Staatshaushalte. „So geschah es bei der Hilfestellung im Rahmen der Emissionen des spanischen Staates im Sommer 2010 und bei der Unterstützung einer 1,2-Milliarden-Euro-Emission der Portugiesischen Republik im Februar 2011“, sagt der Berliner Wirtschaftsjurist. Daneben habe die EZB monatelang den „überdimensionierten und maroden irischen Bankensektor refinanziert“ und sich dabei dem Vorwurf der Konkursverschleppung ausgesetzt.
Wie viele Milliarden Euro die EZB inzwischen für den Ankauf von Anleihen und sonstigen Schuldtiteln ausgegeben hat, ist nicht bekannt. „Die EZB verschweigt diese Zahlen“, sagt Kerber. Die Summe müsse jedoch erheblich sein.
Bereits im Mai dieses Jahres hatte Kerber dem EZB-Präsidenten Trichet eine rechtliche Beurteilung der von ihm eingeleiteten und zu verantwortenden Maßnahmen zukommen lassen. Jetzt schrieb er Trichet erneut. „Von der Überzeugung getragen, dass die (…) Kapitalmarktoperationen der EZB mit Art. 123 bis 125 AEUV unvereinbar sind, habe ich kraft Art. 263 AEUV Nichtigkeitsklage erhoben, in deren Folge auch Ihre persönliche Haftung gem. Art. 340 AEUV ausgelöst werden könnte“, heißt es in dem Brief. Und dann folgen diese zwei Sätze, die den tiefen Wunsch Kerbers nach einer Verurteilung Trichets zum Ausdruck bringen: „Mit diesem Akt bilde ich einen Brückenkopf zivilen Widerstands. Er wird von nun an dazu dienen, die Beurteilung Ihrer unheilvollen Politik in der breiten Öffentlichkeit zu organisieren und zwar noch, bevor die Geschichte Sie gebührend gerichtet haben wird.“
Sollte das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg die Klage annehmen, wird er auch um eine weitere von Bundespräsident Wulff in Lindau aufgeworfene Frage nicht herumkommen. Wulff sagte, erst hätten Banken andere Banken gerettet, dann hätten Staaten Banken gerettet. Nun sei eine Staatengemeinschaft dabei, einzelne Staaten zu retten. „Wer rettet aber am Ende die Retter?“, fragte Wulff. „Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?“ Bis heute steht die Antwort aus.
Günther Lachmann am 26. September für Die Welt