Ein selbstkritischer Sozialdemokrat
Von einem Jahr veröffentlichte Bülow das Buch „Wir Abnicker“, in dem er den Einflussverlust der Abgeordneten beschrieb. Er hoffte damit etwas bewegen, etwas verändern zu können. Nun zieht Bilanz, und die sieht ganz und gar nicht erfolgreich aus.
„Das Abnicken ohne ausgiebige oder gar strittige Diskussionen wird immer mehr zur Routine“, schreibt Bülow nun in einer Stellungnahme unter der Überschrift „Wir Abnicker 2.0 – Wachsende Lobbymacht und die Selbstentmachtung der Abgeordneten“. Er spricht von einer „Ökonomisierung“ der Politik, in der Regierung und Parteispitzen wie Unternehmensvorstände Entscheidungen vorgäben und die Mitspracherechte von gewählten Volksvertretern und Parteimitgliedern weitgehend beschnitten.
„Nicht nur in den Fraktionen, sondern auch in den Parteien regieren weiterhin kleine intransparente Eliten, welche die Spitzenfunktionen und Ämter unter sich ausmachen“, schreibt Bülow. Er belegt diese Aussage mit einem Beispiel aus der eigenen Partei. „So wurde Sigmar Gabriel SPD-Parteivorsitzender.“ Tatsächlich schoben Gabriel, Andrea Nahles und Frank-Walter Steinmeier sich nach der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl und dem Sturz des damaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering in vertraulicher Absprache gegenseitig ihre heutigen Posten zu.
Auch die neue Spitze der FDP sei auf diese Art und Weise aufgestellt worden, konstatiert Bülow. Schließlich sei Philipp Rösler bereits vor seiner Wahl durch den Parteitag in den Medien als zukünftiger Vorsitzender seiner Partei aufgetreten, so der SPD-Politiker. Der Parteitag in Rostock habe den Klüngel am Ende „nur noch der Form halber“ abgesegnet.
Bülow resümiert, in allen Parteien regiere die „Hinterzimmerdiplomatie“ und verhindere offene Kandidaturen und Diskussionen. „In der SPD gab es zaghafte Bestrebungen, dies nach der harten Wahlniederlage zu ändern. Doch viele Neuerungen blieben in der Versuchsphase stecken“, schreibt er.
Allerdings seien auch die Medien an diesem Zustand nicht ganz schuldlos. Sie wollten mitspielen in diesem „Machtkarussell.“ Und wieder wählt Bülow ein Beispiel aus der SPD: „Da werden Politiker wie Steinbrück zu Kanzlerkandidaten hochgejubelt, bevor die betroffene Partei darüber ernsthaft diskutiert.“
Er spricht von „Lobhudeleien“, mit denen ein Name für eine wichtige Funktion nur häufig genug ins Spiel gebracht werden müsse, damit „aus dem medial erkorenen Favoriten automatisch mindestens ein aussichtsreicher Kandidatenaspirant“ werde.
Die Mitglieder aber blieben außen vor. Sie hätten keinerlei Einfluss auf diese Debatten und würden vor vollende Tatsachen gestellt. Das gelte sowohl für den „Aufbau“ eines Kandidaten als auch für die öffentliche Kritik an potenziellen Favoriten. Letztere würden häufig „runtergeschrieben“. Auf diese Weise gerieten die Betroffenen unter Druck und verlören zuweilen gar ihre Favoritenrolle.
„Die Meinungsforschungsinstitute tun ihr Übriges“, schreibt Bülow. Sie allein träfen die Auswahl, wer aufgrund seiner Popularität ein Konkurrent von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde. „Die eigentlichen Entscheider, die Parteimitglieder, werden so von ihren Spitzen und der medial erzeugten Stimmung gleich doppelt entmündigt“, stellt der SPD-Politiker fest, der vor seiner Wahl in den Bundestag übrigens selbst als Journalist gearbeitet hat.
Günther Lachmann für Welt Online am 30. Mai 2011