Griechische Tragödie um Lug und Betrug
Mit der Wahrheit ist das so eine Sache. Mit der politischen sowieso. Und in der griechischen Schuldenkrise ist sie ein ebenso kostbares und flüchtiges Gut wie im täglichen Leben. Wenn sie dann mal auftaucht, gibt es viele, vielleicht viel zu viele, die sie, so gut es eben geht, unter den Tisch kehren wollen. Daher ist es ziemlich schwer, ihrer habhaft zu werden. Folglich braucht es Leute, die einem dabei helfen.
Dieser Tage könnten der Deutsch-Grieche und FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis und der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, unabhängig voneinander und möglicherweise gar unfreiwillig dazu beitragen haben. Beide sagten in verschiedenen Interviews Dinge, die einem, wenn man sie zusammenfügt und als Ganzes betrachtet, eine griechische Tragödie von Lug und Betrug erzählen.
Milliarden-Kredite für das Land seiner Väter seien Unsinn, sagte Chatzimarkakis in dieser Woche in der „Münchener Runde“. „Griechenland hat in Brüssel 20 Milliarden Euro auf dem Konto. Sie sind nicht in der Lage, zu dumm und auch zu korrupt, diese Mittel ordentlich abzurufen.“ Kredite oder sonstige Finanzhilfen bräuchten sie jedenfalls nicht, hielt er Bundeskanzlerin Angela Merkel und den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs entgegen.
Bei den 20 Milliarden Euro handele es sich um Geld der EU-Regionalförderung. Diese Subventionen seien nach der Wende auch nach Ostdeutschland geflossen. Warum sind die Griechen nicht in der Lage, das Geld abzurufen? „Sie brauchen nämlich eine Co-Finanzierung, und sie brauchen ordentliche Projekte“, sagte Chatzikarkakis. Beides brächte „diese korrupte Regierung und Verwaltung“ nicht zustande. Sein Vorschlag: 200 EU-Beamte sollen die wichtigsten Positionen in der griechischen Regierung und Verwaltung besetzten und das Land auf Wachstumskurs bringen.
Genau das Gegenteil verlangt Norbert Walter. Er rät Angela Merkel und ihren europäischen Mitstreitern ausdrücklich zu weiteren Finanzhilfen. Auf die Frage, wer genau denn zahlen solle, sagte er in einem n-tv-Gespräch: „Wir zahlen alle.“ Und auf den Einwand des Reporters, die gegenseitige Finanzhilfe verstoße gegen geltendes EU-Recht, sie sei somit ein Gesetzesbruch, stellte Walter: „Ich bin mir dessen bewusst.“ Es könne sein, so Walter, „dass
wir weiter solche Dinge tun müssen, aber hoffentlich nur, wenn die Begründung dafür auch vermittelt wird“.
Beide Aussagen zusammengenommen, ergeben nun folgendes Bild: Europas Staats- und Regierungschefs begehen Rechtsbruch (Walter), um ein „dummes und korruptes“ (Chatzimarkakis) System am Leben zu erhalten.
Günther Lachmann am 12. Mai 2011 für Welt Online