Der Fall Drygalla: Braune Schatten und linke Heckenschützen

Hier trainiert Nadja Drygalla: Tor zu den Trainingsanlagen des Olympischen Ruderclubs in Rostock / Foto: Günther Lachmann

Wer den Fall Nadja Drygalla wirklich verstehen will, der muss nach Rostock fahren. Hier ist meine  Reportage über die Geschichte der Ruderin und Michael Fischer, über die eigenartige Anonymität der NPD in Rostock und die konfrontative Situation zwischen linken und rechten Splittergruppen.   So etwas kommt immer zum falschen Zeitpunkt. Vor allem ist so eine Sache wie die Affäre um die Ruderin Nadja Drygalla, ausgesprochen oder unausgesprochen, immerzu gegenwärtig. Das gilt für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Bundespräsidenten Joachim Gauck in der Rostocker Marienkirche ebenso wie für die Eröffnung Hanse Sail, einem Treffen der Groß- und Traditionssegler, das Zehntausende Besucher anzieht.


Als wäre all das für die Hansestadt nicht schon unangenehm genug, fällt die Debatte um die rechtsextremen Kontakte von Drygallas Lebensgefährten Michael Fischer auch noch mitten in die Vorbereitungen zur großen Gedenkveranstaltung an die ausländerfeindlichen Krawalle im Stadtteil Lichtenhagen zwischen dem 22. Und 26. August vor 20 Jahren. Rund 3000 Bürger applaudierten damals den gewalttätigen Angriffen auf die ­Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter. Am 24. August setzte der Mob mit Molotowcocktails einen Plattenbau in Brand, in dem sich noch 100 Vietnamesen und ein Fernsehteam aufhielten.

Bis heute wird die Stadt diese schrecklichen Bilder nicht los. Und ausgerechnet jetzt, wo sie am 24. August mit einer großen Fahrradsternfahrt, einem umfangreichen Kulturprogramm von Politik, zahlreichen Migrantenorganisationen und einer Rede des Ehrenbürgers Gauck diesen Ereignissen gedenken will, trifft die Stadt eine neue Rechtsextremismus-Debatte.

Diesmal jedoch ist es eine Debatte, auf die viele Rostocker nicht nur erstaunt, sondern vor allem fassungslos reagieren. Sie sind können nicht verstehen, wie mit einer Ruderin umgegangen wird, die sich wiederholt gegen Rechtsextremismus ausgesprochen hat, der weder Freunde noch der Verfassungsschutz irgendetwas zu Last legen. Auch ist ihnen vollkommen unverständlich, warum alles an ihr hängen bleibt. Schließlich richten sie die Vorwürfe allein gegen ihren Lebensgefährten Michael Fischer. Gleichwohl steht sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Und diesen Michael Fischer kannten die Rostocker bisher ebenso wenig, wie ihn der Rest der Republik kannte.

Wer die Reaktion der Rostocker auf die öffentliche Erregung verstehen will, muss die Geschichte von Nadja Rygalla und Michael Fischer kennen, der muss um die in eigenartige Anonymität der NPD in Rostock wissen und die konfrontative Situation zwischen winzigen Außenseitergruppen wie den zuweilen ebenso anonym agierenden linken Antifaschisten und den rechten Nationalisten.

Nadja Rygalla und Michael Fischer lernten sich beim Rudern kennen. Sie trainierten beide beim „Olympischen Ruderclub Rostock“, beide empfahlen sich durch Leistungen schon bald für internationale Wettkämpfe. Fischer brachte es immerhin zum Vize-Weltmeister bei den Junioren.

Im Jahr 2006 bekam der Vorstand des Ruderclubs dann ein anonymes Schreiben. Darin hieß es, Fischer sei Mitglied der rechtextremen Szene. Mutmaßlich stammte das Schreiben von einer linken Gruppe. Obwohl der Absender sich nicht zu erkennen gab, bestellte der Vorstand Fischer zur Klärung des Vorwurfs zu einem Gespräch ein.  Fischer stritt damals alles ab, und da es keine hinreichenden Belege gab, war die Sache damit erledigt.

Im Juni 2010 erhielt der Vorstand erneut Hinweise, Fischer habe sich rechtsextremen Kreisen angeschlossen. Wieder wurde er zum Gespräch einbestellt. Über eine Stunde stand er der Vereinsspitze Rede und Antwort. Diesmal gab er unumwunden zu, bei den Nationalen Sozialisten Rostocks zu sein. Er versuchte, seine Haltung zu begründen, sprach angeblich vom nötigen Systemwechsel, zu dem er beitragen wolle. Tags drauf jedenfalls erklärte Fischer seinen Vereinsaustritt und beklagte sich über die Gesprächsführung des Vorstandes.

Tatsächlichen Grund zur Klage hatte er über sein Outing an der Universität. Dort klebten Kommilitonen Plakate und verteilten Flyer, die über Fischers politische Haltung informierten. „Er saß in der Vorlesung, als plötzlich die Flyer verteilt wurden“, berichten Studenten. Dann sei mit dem Finger auf ihn gezeigt worden.

Von an änderte sich auch sein Privatleben. Wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe sogenannter rechter Autonomer und der NPD war der Zwei-Meter-Mann auf Sportler-Partys ein unerwünschter Gast. Wenn die Teamkolleginnen von Nadja Drygalla einluden, kam diese ganz selbstverständlich allein. Aber sie trennte sich nicht von ihm.

All das beobachtete der Vorstand des Ruderclubs sehr genau. Die Beziehung war Thema der Vorstandssitzungen. „Sollte man Nadja ausschließen, weil sie mit einem Rechten zusammenlebte?“, sagt ein Rostocker Politiker mit guten Beziehungen in den Verein. Die Vereinsspitze entschied sich dagegen. Schließlich gab es keinerlei Anschuldigungen gegen sie. „Außerdem wollte man sie man sie durch einen Ausschluss nicht in die Szene treiben“, sagt er.

Antifaschistische Gruppen hatten wohl etwas anderes erhofft. Darauf lassen Hinweise auf  eine E-Mail schließen, die vor einem Jahr beim Landesinnenministerium in Schwerin einggeganen sein soll. Damals absolvierte die Ruderin eine Ausbildung bei der Polizei. Die Mail soll einen Text und Bilder zum Fall Fischer enthalten haben. Diese Mail, die dem Vernehmen nach mutmaßlich von linken Antifaschisten abgeschickt worden war, soll dazu beigetragen haben, dass Drygalla schließlich nach langen Gesprächen mit Vorgesetzten freiwillig aus dem Polizeidienst ausschied.

Angeblich wurde diese Mail mit demselben Text und denselben Bildern in diesen Tagen erneut versendet. Vielleicht ist das aber auch nur ein Gerücht. Für den Gärtner, der die verwaisten Trainingsanlagen des Olympischen Ruderclubs Rostocks pflegt, ist die Sache indes klar. „Das ist eine Diffamierungskampagne“, schimpft der Mann mit Hut und Harke. „Und von den Nationalen Sozialisten Rostock habe ich jedenfalls noch nie etwas gehört“, sagt er.

Ein Wunder ist das nicht. Nach Recherchen der Rechtsextremismus-Experten von „Endstation Rechts“ besteht die Gruppe aus einem harten Kern von elf jungen Männern. „Die treten öffentlich nicht in Erscheinung“, sagt Julian Barlen, SPD-Landtagsabgeordneter und Projektkoordinator von „Endstation Rechts“. Genau wie die linken Antifaschisten führen ihren „Kampf“ im Internet.

Öffentlich traten sie zuletzt im Februar auf. Da versuchten sie eine Veranstaltung zum Gedenken der Opfer des rechtsextremistischen Terrors der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund zu stören. Ein Teilnehmer der Veranstaltung berichtet, Fischer sei als Fotograf unter den Störern gewesen. Zunächst hätten sie versucht, die Antifa-Teilnehmer der Gedenkveranstaltung mit Parolen zu provozieren. Weil ihnen das nicht gelang, hätten sie dann angefangen, Steine zu werfen. Daraufhin habe die Antifa Steine zurückgeworfen. Beiden Gruppen seien aber so weit voneinander entfernt gewesen, dass die Steine zwischen ihnen auf einer Wiese landeten. In dieser Sache ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen schweren Landfriedensbruchs gegen Fischer.

Was sind eigentlich autonome Nationalisten? Sie haben äußerlich nichts mehr mit den rechten Skins der neunziger Jahre gemein, die in Springerstiefeln und mit Baseballschlägern auf die Straße gingen. Autonome Nationalisten sind äußerlich kaum von linken Autonomen zu unterscheiden, Sie tragen Kaputzenpullis, Baseballmützen und Sonnenbrillen und haben nichts gegen Popkultur.

In diesem Bürogebäude im Rostocker Stadtteil Schmar hat die NPD Räume angemietet. / Foto: Günther Lachmann

„Die sind äußerlich nicht erkennbar“, sagt die Rechtsextremismus-Expertin an der Universität Rostock, Gudrun Heinrich. Im Gefüge der rechtsextremistischen Szene Mecklenburg-Vorpommerns spielten diese urbanen Gruppen allerdings keine große Rolle. „Der Rechtsextremismus zieht seine Stärke aus dem ländlichen Raum“, sagt sie. „Indem er die sozialen Probleme der Menschen für seine Zwecke ausnutzt, besetzt er die Räume, aus denen sich der Staat zurückgezogen hat.“

Diese Auffassung teilt auch der migrationspolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Schweriner Landtag, Hikmat AlSabty.  Er ist zur Eröffnung der Hanse Sail mit einem Stand in die Rostocker Innenstadt gekommen und wirbt für linke Politik. „Wir haben die ländlichen Räume vernachlässigt und den Rechten das Feld überlassen“, sagt er. „Unsere Schwäche dort ist ihre Stärke.“

Den Umgang mit Nadja Drygalla findet er ebenso problematisch wie der CDU-Fraktionschef in der Rostocker Bürgerschaft, Dieter Neßelmann. „Erstens kenne ich den Fall Drygalla nur aus den Medien“, sagt der Mathematiker Neßelmann, dem Mutmaßungen und unbewiesene Verdächtigungen ein Gräuel sind. Er wundere sich schon, wie schnell der Stab über die Ruderin gebrochen worden sei. „Wissen Sie“, sagt er, „ich habe 40 Jahre in der DDR gelebt. Wir wurden unter anderem danach beurteilt, mit welchen Kollegen wir zum Mittagessen gingen. So etwas möchte ich nie mehr erleben.“

Freilich sei die NPD ein Problem. „Zwei ihrer Vertreter in der Bürgerschaft sind zwei zu viel“, sagt Neßelmann. Aber die träten öffentlich ebenso wenig in Erscheinung wie die Partei selbst. Tatsächlich wird jemand, der die NPD in Rostock sucht, sie nur schwer finden. Es gibt keinen Telefoneintrag, keine Adresse eines Bürgerbüros oder eine Parteianschrift. Sie existiert in völliger Anonymität in einem heruntergekommenen Beton-Hochhaus im Gewerbegebiet des nördlichen Stadtteils Schmar, unweit von Lichtenhagen. Hier hat der NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit sein Büro. Auf dem Briefkasten steht nur Petereit, die NPD ist sozusagen Untermieter. Und sagen will er natürlich nichts, weder zum Fall Drygalla, noch zur NPD und schon gar nicht zum Gedenken an „20 Jahre Lichtenhagen“.

Unser Newsletter – Ihr Beitrag zur politischen Kultur!

Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

// require user tracking consent before processing data _paq.push(['requireConsent']); // OR require user cookie consent before storing and using any cookies _paq.push(['requireCookieConsent']); _paq.push(['trackPageView']); [...]
×