Der letzte Shogun tritt ab: Japans Weg in die Moderne

BOULEVARD ROYAL

Japans letzter Shogun Tokugawa Yoshinobu / Quelle: Wikipedia, public domain: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yoshinobu_Tokugawa_2.jpg Japans letzter Shogun Tokugawa Yoshinobu / Quelle: Wikipedia, public domain: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yoshinobu_Tokugawa_2.jpg

Eine Kriegerkaste schafft sich ab, damit alles bleibt, wie es ist. Als das Shogunat mit einem internen Putsch Japan unbeabsichtigt in die Neuzeit katapultierte.

Amaterasu entzog am 9. November 1867 Tokugawa Yoshinobu ihre Gunst, wobei ihr göttlicher Glanz über dem Tokugawa-Shogunat bereits seit einiger Zeit verblasste. Die oberste Shinto-Göttin wandte sich einem neuen Günstling zu: Mutsuhito, dem Tenno Japans, dessen Dynastie laut dem Nationalmythos von der Sonnengöttin abstammt. Doch die Götter sind launisch, was der letzte Shogun schmerzlich erfahren musste. Wieso war dieser Tag im November für Japan so einschneidend?

Die erzwungene Öffnung

Mit seiner jahrhundertelangen Politik der Abschottung gegenüber allen ausländischen Einflüssen war es für Japan ab Mitte des 19. Jahrhunderts vorbei. Als 1853 eine US-Flotille unter Kapitän Matthew Perry auf die Bucht von Edo, dem heutigen Tokio, feuerte, erzwangen die Amerikaner die Öffnung Japans für den internationalen Handel. Das letzte Shogunat der Familie Tokugawa betrieb seit ihrem Machtantritt Anfang des 17. Jahrhunderts rigoros eine nach innen gerichtete Politik mit wenigen Kontakten ins Ausland. Gründe dafür waren die als schädlich für die japanische Gesellschaft gesehenen Wirkungen durch Ausländer.

Die Tokugawa-Shogune wollten Japan vor allem auch gegenüber dem mächtigen Nachbarn China abriegeln, der traditionell begehrlich auf das Inselreich blickte. Das Reich der Mitte übte lange große kulturelle Wirkung auf Japan aus, was die Tokugawa mit einem streng nationalen Kulturprogramm änderten. Sozusagen: Japan first! Hinzu kam der Wille, die Macht der Familien, die die Shogune seit dem späten 12. Jahrhundert innehatten, politisch und wirtschaftlich zu erhalten.

Aus dem Kriegeradel der Samurai entstanden, hatten sie sich allmählich auch die politische Macht gesichert. Die Tenno, Japans Kaiser, konzentrierten sich längst auf ihre wichtige oberste Priesterrolle in der Naturreligion des Shinto. Eine schleichende Machtübernahme durch die Shogun folgte, die erst 600 Jahre später endete. Aber endete sie tatsächlich?

Reformer und alte Shogun-Seilschaften

Reformkräfte versuchten ab den 1860er Jahren Japan sanft zu modernisieren. Vorbilder waren damals nicht die USA, sondern Frankreich, England, Preußen und die Schweiz. Berlin war vorbildlich für die Erneuerung des Militärs, während die Schweizer Rechtssetzung japanische Juristen inspirierte. Mit Paris setzten die Reformer auf das bonapartistische System eines vom Volk gewollten Autokraten an der Staatsspitze.

Tokugawa Yoshinobu ließ sich auf einen Handel mit den Reformern aus Samurai und neuem Wirtschaftsbürgertum ein: Er trat als Shogun zurück und holten Kaiser Mutsuhitio, postum Meiji, aus seiner priesterlichen Abgeschiedenheit in Kyoto heraus auf die nationale Bühne in Edo. Aus dem Priester-Monarch machten sie formell zum mächtigsten Mann Japans. Yoshinobu sollte gemäß der Abmachung im Hintergrund mit den Reformern die Fäden ziehen. Doch es kommt oft anders als geplant.

Wechsel auf der Bühne

Die Samurai verschworen sich gegen den abgedankten Shogun, unterstellten ihm Verschwörung gegen den Tenno und schoben ihm gefälschte Dokumente unter. Ein kurzer Krieg zwischen Yoshinobu und ihm loyalen Fürsten und den Truppen der Reform-Allianz endete für den letzten Shogun in einer Niederlage. Um einen langen Bürgerkrieg zu vermeiden, gab er nach und zog sich aus der Politik endgültig zurück.

Jedoch sollten auch die Samurai ihr blaues Wunder erleben. Das neue Machtzentrum am kaiserlichen Hof brach mit ihnen und entzog ihnen Besitz und Privilegien wie ihr Recht auf Selbstjustiz. Mit der folgenden Meiji-Restauration holte Japan schnell nach, was in Westeuropa und Nordamerika bereits in vollem Gange war: Industrialisierung, Technisierung aller Lebensbereiche, aufgeklärte Forschung und Aufrüstung.

Aus dem Land der abgeschotteten Schwertkämpfer und Geishas entwickelte sich in nur wenigen Jahrzehnten eine technologische und militärische Großmacht, die expansiv in Asien vorrückte. Die Annexion Koreas 1910 oder die Kriege gegen den Erzrivalen China von Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg sind dafür die bekanntesten Beispiele.

Japan hatte im Rausch seines Aufstiegs 1945 fast alles verspielt und blieb doch wirtschaftlich und technologisch eine Supermacht. Unternehmen aus den 1910er bis 1950er Jahren wie Hitachi, Sony oder Panasonic sind heute globale Tech-Konzerne, deren Gründer zur neuen Elite nach dem Ende des Shogunats gehören.

Alles bleibt, wie es war

Kritiker dieser Entwicklung sehen die aktuelle Führungsschicht, entstanden aus der Meiji-Restauration, in der Tradition der Shogune. Letztlich hat sich nicht so viel geändert seit Tokugawa Yoshinobu abdankte. Die Namen und die Inszenierungen haben gewechselt. Traditionsverliebt, strukturell konservativ, ökonomisch und technisch erfinderisch leben die Japaner etwas, was gar nicht geben kann: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Das verdanken sie auch dem letzten Shogun und seiner Familie, die Japan geprägt hat wie kaum eine andere. Die Abkömmlinge der Sonnengöttin Amaterasu im Tokioter Palast sind immer noch eine Projektionsfläche für Japans Selbstverständnis als einzigarte Nation. Dieser Plan der Reformer und des letzten Shogun ging auf. Und Ironie der Geschichte ist, dass die Kaiserfamilie die letzten abgeschotteten Japaner sind.

Der Kaiser und seine engsten Verwandten leben unter der strengen Aufsicht des höchst konservativen Hofamts ein streng protokollarisches Dasein. Abweichendes Verhalten oder Krisen werden geflissentlich beschwiegen oder mit Ausschluss aus der einst vergöttlichten Sippe geahndet. Skandale wie in europäischen Dynastien sind bei dem offiziell seit 2500 Jahren in ununterbrochener Reihe amtierenden Herrscherhaus ohne Familiennamen undenkbar.

Und womit beschäftigte sich der Shogun außer Diensten? Tokugawa Yoshinobu hielt es traditionell: Bogenschießen, Kanji-Malerei und Origami. Er hatte auch ein damals modernes Steckenpferd – die Fotografie. Der letzte Shogun ist in der Symbiose von Tradition und Fortschritt ein Japaner wie aus dem Bilderbuch, bis heute. Und Amaterasu scheint deutsche Schwestern zu haben – die Schicksalsgöttinnen der Nornen und die Sonnengöttin schreiben bevorzugt an einem 9. November Geschichte.

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