Charles III. und Steinmeier in Afrika: Zwischen Mau-Mau und Maji-Maji
Alte Wunden, neue Medaillen und eine Entschuldigung. Wie König Charles III. und Bundespräsident Steinmeier in Afrika die Klippen der Kolonialzeit umschiffen.
Ich verneige mich vor den Helden des Maji-Maji-Krieges und trauere um alle Opfer der deutschen Kolonialherrschaft“, schreibt der Bundespräsident ins Gästebuch der Gedenkstätte für den Maji-Maji-Aufstand im Süden Tansanias. Fast zeitgleich tourt der britische Monarch Charles III. durch das einstige afrikanische Juwel des Empires, Kenia. Beim Staatsbankett in Nairobi äußert auch er sich zur Kolonialzeit: „Die Fehler der Vergangenheit geben Anlass zu größter Trauer und tiefstem Bedauern“. (…) „Es gab schreckliche und nicht zu rechtfertigende Gewaltakte gegen Kenianer“. (…) „Das ist unentschuldbar.“
Zwei Staatsoberhäupter in den Fängen der Erinnerungspolitik. Sie ähnelt sich oberflächlich, jedoch senden Charles und Steinmeier unterschiedliche Botschaften. Worum ging es bei Mau-Mau in Kenia und Maji-Maji in Tansania?
Blutige Spuren
Inhaltsverzeichnis
Maji-Maji, was auf Suaheli Wasser heißt, war ursprünglich ein schamanischer und naturreligiöser Kult von Stämmen im östlichen Afrika. Eine Art Wunderwasser, das gegen alles Mögliche schützen und im Krieg zum Sieg verhelfen sollte, spielte eine wichtige Rolle. Daraus leitete sich der Name für den Aufstand ab, der sich von 1905 bis 1907 zu einem Krieg in Deutsch-Ostafrika gegen die deutsche Kolonialherrschaft entwickelte.
Für die Aufständischen endete der ungleiche Kampf mit einer herben Niederlage: Die deutsche Schutztruppe griff zur Politik der verbrannten Erde – im wahrsten Sinne des Wortes. In den Siedlungsräumen der Bauern brannten die Kolonialherren Felder und weite Teile des Buschs nieder und verwüsteten ganze Dörfer. Es kam zu einer Hungersnot, die sich zusammen mit den Kämpfen ins kollektive Gedächtnis der afrikanischen Stämme im späteren Tansania einbrannte.
Die Aufstände der Herero und Nama in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia, sind präsenter in der Erinnerung. Das hängt sicherlich mit der erfolgreichen Lobby-Arbeit der beiden Volksstämme zusammen: 2021 erkannte die Regierung Merkel die Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama als Völkermord an. Im Hintergrund schwelte lange der Streit, ob damit Entschädigungszahlungen verbunden sein sollen.
Die letzte GroKo fand einen Kompromiss und unterstützt Namibia und die Nachfahren der betroffenen Stämme mit 1,1 Milliarden Euro für Wiederaufbau und Entwicklung – sozusagen freiwillig. Dabei sind rechtliche Ansprüche an Deutschland seitens Namibias oder der Herero und Nama ausgeschlossen. Und wie hält es Großbritannien mit seiner Kolonialzeit in Afrika?
Rule Britannia
Charles III. darf sich nicht entschuldigen, selbst wenn er es wollte. Die britische Regierung will durch eine rechtlich heikle Bemerkung, wie in Form einer Entschuldigung, nicht erneut in die Bredouille geraten. Das passierte erzwungenermaßen 2012: Gut 5.200 Sammelkläger als Opfer des antikolonialen Mau-Mau-Aufstands von 1952 bis 1960 erhielten eine Millionen-Entschädigung durch die britische Regierung.
Der damalige Außenminister William Hague erklärte im britischen Parlament, die Regierung erkenne nun an, „dass Kenianer Folter und anderen Formen von Misshandlung durch die Kolonialverwaltung ausgesetzt waren“ und „bedauert ehrlich, dass diese Übergriffe geschehen sind“.
In Downing Street No. 10 geht es ums Geld, jedoch soll es nicht durch weitere Entschädigungszahlungen in ehemalige Kolonien fließen. Das Geld soll in intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Insel und den Ex-Kolonien fließen. Inzwischen ist auch in London die Erkenntnis eines möglichst beiderseitigen Nutzens gereift.
Wie halten es die Briten mit ihrer Erinnerungspolitik? Kurz gesagt: pragmatisch oder: keep it simple. In Kenia stehen Truppen des Königreichs, die durch die russische und chinesische Präsenz ringsum mehr als nur symbolische Bedeutung haben. Die britischen Landenteignungen sind auch nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 von der Regierung nicht angetastet worden. Die Kinder der Mittel- und Oberschicht gegen zum Studium immer noch lieber ins Vereinigte Königreich als in die USA.
Und last but not least: Deutschland hat, anders als das Reich Charles III., keinen Commonwealth of Nations. Diese Organisation ist nach wie vor eine Klammer zwischen London und den früheren Kolonien, die darin eine besondere Identität verbindet. Und wie hält es Steinmeier in Tansania?
Steinmeiers gesenktes Haupt und Charles Blick nach vorn
Ja, er hat sich in seiner Rede für die deutschen Taten gegen die Aufständischen beschämt gezeigt. Er sei nach Tansania gekommen, um zu lernen. Der Bundespräsident lernte dort die zeitgeistigen Themen, vor allem über den Klimawandel. Er hat die wichtigste Erwartung der deutschen Kritiker der eigenen Kolonialgeschichte erfüllt: um Entschuldigung gebeten. Ob das seine Gastgeber überhaupt erwartet haben, ist unklar.
Die tansanische Regierung erwartet hauptsächlich wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit. Die Erinnerungspolitik zur deutschen Kolonialzeit ist bislang ein unterbelichtetes Thema, das mit der Reise Steinmeiers mehr ins Zentrum in Deutschland gerückt werden soll. Die Rückgaben der Benin-Bronzen an Nigeria sind nach dem Namibia-Abkommen ein weiterer Schritt seitens des liberalen Establishments, um Abbitte zu leisten.
Charles III. hat in Kenia sein tiefes Bedauern zu den Gräueln aus der Kolonialzeit geäußert. Aber dann wendet er die Vergangenheit doch noch positiv. Er ehrte britische und kenianische Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg. Der emotionale Höhepunkt war die Begegnung des Monarchen mit dem ältesten noch lebenden Weltkriegsveteran. Dem 117-jährigen Greis überreichte Charles eine neugeprägte Tapferkeits-Medaille.
Zwei Ehrungen
Seine originale Ehrung hatte der Kenianer im Zuge des Mau-Mau-Aufstands wutentbrannt weggeworfen und sich den Aufständischen gegen die Briten angeschlossen. Nun erhielt er aus den Händen des Königs ergriffen eine Nachprägung. Also des Nachfolgers Elizabeth II., die Kenia in die Unabhängigkeit entlassen musste und wo sie 1952 auf einer Reise vom Tod ihres Vaters erfuhr.
Was für eine Ironie der Geschichte: Bundespräsident Steinmeier ehrt tansanische Kämpfer gegen Deutschland – und Charles III. kenianische Soldaten für Großbritannien. Wessen Geschichts- und Erinnerungspolitik ist die erfolgversprechendere?
England hat seine Kolonien „erobert“, = Kriegsverbrechen. Deutschland hat seine Kolonien „gekauft“! Kein Kriegsverbrechen. Deutschland hat in seiner kurzen Kolonialzeit Ostafrika modernisiert, eine wichtige Eisenbahnlinie gebaut, das Technik-Zeitalter ins Land gebracht. Und die Kriege, auch in Namibia? Es waren Aufstände gegen das Deutsche Reich. Heute werden die deutschen Gebäude in Namibia gehegt und gepflegt, als Verherrlichung! Warum hebt der unterwürfige Steinmeier nicht die Deutschen Erfolge hervor? DAS ist der zur Unterwerfung verpflichtende deutsche Schuldkult-Zeitgeist! In jeder Beziehung! Charles zeigt sich als über-den-Dingen-Stehender. Steinmeier als zu verachtender Untertan. Da kann nix draus werden, außer als Melkkuh der Welt! Man muß nur… Read more »
Interessante Geschichten. Wesentlich ist aber, dass man aus der Geschichte lernt. Heute und jetzt ist die BRD Teil einer Kriegsallianz. Dass jetzt deutsche Politiker in Afrika wegen der Rohstoffe schleimen macht die Sache nicht besser.
Die vergleiche der Jahrhunderte alten britischen Kolonialmacht mit der 30jährigen deutschen Kolonialzeit sind unsäglich. Es ist absurd wie sich die bundesrepublikanische Regierung wiederholt in diesem kolonialen Schuldkult wälzt. Unrecht ist Unrecht, das ist selbstverständlich. Aber die deutschen Kolonialbestrebungen und etwaige Verbrechen mit denen Englands, Frankreichs, Russlands, USA zu vergleichen ist absurd. Hatten nicht die Belgier und Franzosen den Deutschen im 1. WK vorgeworfen die Hände unschuldiger Kinder abzuhacken? Waren es nicht die Belgier die genau das in ihren Kolonien praktizierten?