Die CDU verzweifelt an sich selbst

Kommentar

CDU-Plakat zur 1. Bundestagswahl am 14. August 1949 / Quelle: Wikipedia / Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung: : CDU, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAS-Christentum-Bild-8-3.jpg CDU-Plakat zur 1. Bundestagswahl am 14. August 1949 / Quelle: Wikipedia / Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung: : CDU, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAS-Christentum-Bild-8-3.jpg

Die Reaktionen auf die Aussagen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zur politischen Realität in Ostdeutschland offenbaren den fragilen Zustand der Partei.

Jetzt muss die CDU es sogar ertragen, von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verspottet zu werden. Ausgerechnet der Mann, der mit seinem Heizungsgesetz und der Trauzeugenaffäre in seinem Ministerium mehr als jeder andere für die guten Umfragewerte der AfD getan hat, hält nun der CDU vor, sie leiste „den Populisten“ Vorschub.

Anlass für Habecks Schadenfreude war die Aufregung unter Unionspolitikern und Journalisten um Aussagen von CDU-Chef Friedrich Merz über den Umgang mit der AfD. Merz hatte im ZDF-Sommerinterview festgestellt, wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen. „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Was Merz sagte, ist keineswegs falsch oder gar verwerflich. Auch hatte er keine parteipolitische Grenze überschritten, er sagte kein Wort über eine Zusammenarbeit mit der AfD. Aber genau das legen ihm seither andere erfolgreich in den Mund – obwohl sie das Original jederzeit im Internet nachhören können.

Habeck liest der CDU die Leviten

Und weil das so ist, reibt sich Habeck hämisch die Hände. Er mache sich große Sorgen um die „stabilisierende Rolle der Union in unserer gemeinsamen Republik“, ließ er über dpa verlautbaren. Deutschland brauche eine verlässlich konservative Partei. „Verlässlich heißt standfest und lösungsorientiert in Regierung und Opposition. Leider sei die CDU derzeit „orientierungslos“ und „irrlichternd“ und leiste so „den Populisten“ Vorschub. „Ich hoffe daher sehr, dass nach diesen Äußerungen in der Union eine Reflexion stattfindet“, sagte der Wirtschaftsminister.

Nun ist die Debatte in der Union über die Aussage ihres Vorsitzenden alles andere als reflektiert, sie ist hitzig, ungerecht und nicht selten von verletzten Eitelkeiten und gar Rachlust getrieben. Den Anfang machte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, der sein Amt– daran muss an dieser Stelle erinnert werden – allein Friedrich Merz und der AfD zu verdanken hat. Merz hatte ihm nach den Silvesterkrawallen in Neukölln mit taktischem Geschick den Wahlkampf gerettet, und die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus gab ihm bei der Bürgermeister-Wahl schließlich jene Stimmen, die ihm die eigenen, heillos zerstrittenen Leute versagten.

Obwohl Berlins AfD-Landes- und Fraktionschefin Kristin Brinker ihm wiederholt eine „konstruktive Zusammenarbeit“ anbot, zog Wegener nun auf Twitter kräftig gegen sie, Merz und die AfD vom Leder: „Die AfD kennt nur Dagegen und Spaltung. Wo soll es da ZUSAMMENarbeit geben? Die CDU kann, will und wird nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Geschäftsmodell Hass, Spaltung und Ausgrenzung ist.“

Söder und Röttgen gegen Merz

Auch Norbert Röttgen nutzte die Gelegenheit, dem Mann, dem er im Kampf um den Parteivorsitz unterlegen war, kräftig einzuschenken. Er verwies auf das von der CDU beschlossene „einschränkungslose Kooperationsverbot mit der AfD“ und warnte Merz: „Jeder der das ändern will, muss dafür auf einem Bundesparteitag der CDU eine Mehrheit finden. Bis dahin haben sich alle an die Beschlusslage zu halten.“

Ähnliche Stimmen kamen aus vielen westdeutschen Landesverbänden – und aus der CSU. Deren Vorsitzender, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, sandte seinem potenziellen Konkurrenten im Kampf um die Kanzlerkandidatur via Twitter die Botschaft: „Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab – egal auf welcher politischen Ebene.“ Denn die AfD sei demokratiefeindlich, rechtsextrem und spalte die Gesellschaft. „Das ist mit unseren Werten nicht vereinbar“, so Söder.

Noch hat die CDU Potenzial

Als ob Merz irgend etwas anderes behauptet hätte! Aber das spielt in dieser öffentlich zur Schau gestellten Selbstdemontage der Union keine Rolle. Diese Lust an der Selbstzerstörung sagt indes viel über ihren inneren Zustand aus: Sie ist zerrissen zwischen national gesinnten Konservativen auf der einen und grün gesinnten auf der anderen Seite, sie ist gelähmt durch persönliche Rivalitäten und – gemessen am Alter ihrer Mitglieder und Wähler – eine sterbende Partei.

In dem Maße, in dem sie sich selbst aufreibt, ist die Union zerbrechlich geworden, und sie ist infiziert von einer Angst, die mit den steigenden Umfragen der AfD immer mächtiger wird. Diese Angst nimmt ihr den klaren Blick dafür, wie stark sie derzeit tatsächlich noch ist. Sie ist es, die bundesweit die Umfragen anführt und die in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin drei wichtige Landtagswahlen gewonnen hat. Keine andere Partei bindet immer noch so viel Potenzial in der gesellschaftlichen Mitte.

Aber auch für die Union gilt: Wer an sich selbst irre wird, darf sich über die Reaktion der Wähler nicht wundern. Die SPD und die Linke sollten ihr ein Beispiel sein.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
8 Monate her

Irgendwie wundere ich mich, Herr Lachmann, dass Sie sich so viele Gedanken über die CDU machen? Lohnt das bei dieser hoffnungslos opportunistischen und innerlich ausgehöhlten Partei denn überhaupt noch? Ja, ich weiß, manch ein Patriot hofft auf ein schwarz-blaues Bündnis, Herr Stein (JF) beispielsweise, aber ähnelt das nicht ein bisschen dem „Warten auf Godot“? Sie schreiben: „Diese Lust an der Selbstzerstörung sagt indes viel über ihren inneren Zustand aus: Sie ist zerrissen zwischen national gesinnten Konservativen auf der einen und grün gesinnten auf der anderen Seite,“ Ist sie wirklich zerrissen?? Im Hinblick auf einige CDU-Wähler mag es ja noch hier… Read more »

fufu
fufu
8 Monate her

„in unserer gemeinsamen Republik“

Er meint wohl die Weidegruende der Einheitspartei aus CDUSPDFDPGruenen.

fufu
fufu
8 Monate her

Solange es nicht ans Eingemachte geht, das heisst die Infragestellung der einseitig atlantischen Bindung der BRD, ist jede Diskussion ueber Parteienkoalitionen leeres Gerede.Die CDU kann man in dieser Hinsicht vergessen, Buendnisse zwischen CDU und AfD auf lokaler Ebene… uninteressant.

Skyjumper
Skyjumper
8 Monate her

Natürlich ist es eigentlich nicht verwerflich was Merz da über die nötige Akzeptanz von Wahlergebnissen und die Notwendigkeit tatsächlicher Gestaltung gesagt hat. Da wir aber im Wolkenkuckucksheim leben, in dem die Prämisse frei nach Christian Morgenstern zur Staatsdoktrin erhoben wurde, „weil es kann nicht sein, was nicht sein darf“, ist es eben doch verwerflich. Und natürlich hat @Lachmann zwar recht mit seinen Hinweis auf die „Stärke“ der CDU. Nur ist es denn noch CDU-Stärke im alten Sinne? NRW, SH und Berlin. Wer hat denn dort gewonnen? Eine konservative CDU etwa? Nein. Wegener, Wüst und Günther. 3 Figuren die vor 30-40… Read more »

Anton Voel
Anton Voel
8 Monate her

Inzwischen ist die CDU wohl tief gespalten in Fundis im Westen und Realos im Osten ! So wie dereinst die GRÜNEN. Wärend Merz zurückrudert, Hans und Pistoruis der AfD den Rücken zukehren, können sich Kretzschmer und Voigt in Sachsen ein Zusammenarbeit vorstellen.
Letztlich wird sich die CDU der Realität stellen müssen oder zerbrechen….

Nathan
Nathan
8 Monate her

Was hat denn die CDU heute noch zu bieten? Außer religiöser Frömmelei doch genau wie Grüne und SPD nur imaginäre nichtssagende Monstranzen wie den „Wertewesten“, ein einseitiges „Gutmenschentum“ um in den Himmel zu kommen, aber in Wahrheit und Wirklichkeit nur Unterordnung unter den amerikanischen Willen und dessen imperialistischen Krampf der Weltbeherrschung bedeutet? Was von den USA vorgeschrieben wird, das wird von CDU und der Regierung in unerbittlich „deutscher“ Weise ausgeführt: Wie in etwa ein in US-Obrigkeitsbewußtsein stehender strammer Aufseher eines Lagers, in dem Deutschland als Gefangener bewacht wird. So ist der Wertewesten mutiert, was besonders die Handschrift der pro-atlantischen CDU… Read more »

Quotenholländer
Quotenholländer
8 Monate her

Im Grunde hätte man sich den ganzen Artikel sparen können. Hat hier ernsthaft jemand Angst um eine Rest-CDU die nur noch aus linksgrünen, transatlantischen Speichelleckern und Selbstdarstellern besteht? Kritik ausgerechnet von einem Habeck, ist wie der berühmte Sack Reis in China. „Er mache sich große Sorgen um die „stabilisierende Rolle der Union in unserer gemeinsamen Republik“. Falls er diese Sorgen wirklich hat, dann bestenfalls weil er glaubt die CDU könne in Zukunft als Koalitionspartner ausfallen und nicht weil er sich über Konservative in diesem Land Gedanken macht. Selbstverständlich nutzen die linksfrisierten aller Couleur jede Gelegenheit um von ihrem eigenen Versagen… Read more »

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  Quotenholländer
8 Monate her

@ Quotenholländer

Sie schreiben:

„Bei Merz bin ich mir nicht sicher ob er einer der letzten konservativen Realos ist, oder nur der „Bad Cop“ in einem Schmierentheater, der im Zweifelsfall als Türöffner fungieren soll.“

Welche Anhaltspunkte vsprechen denn für Annahme eins (konservativer Realo)?

Angermann
Angermann
8 Monate her

Ja, in der Tat hat die CDU eine „stabilisierende Rolle“ in diesem Parteienregime. Denn wenn die CDU endlich mal Rückgrat zeigen und wieder zur Vertretung von Rechtsstaatlichkeit, freiheitlich-demokratischen und bürgerlichen Werten zurückkehren würde, dann wäre es sofort vorbei mit dem linksgrünen Regime. Aber hier ist es wie in den USA. Die angeblich konkurrierenden politischen Strömungen kungeln hinter dem Vorhang und wirken kollusiv zusammen. Da traut sich keiner, den Vorhang zu zerreissen. Wenn man bedenkt, wie schnell das Impeachment gegen Trump zustande kam und wie lange es dauert, bis die Republikaner endlich ihren Hintern hochkriegen, dasselbe bei Biden zu tun, obwohl… Read more »

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