Sahra Wagenknecht hat nicht unbegrenzt Zeit

Sarah Wagenknecht / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: pxel_photographer;https://pixabay.com/de/photos/sahra-wagenknecht-deutscher-politiker-6718228/ Sarah Wagenknecht / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: pxel_photographer;https://pixabay.com/de/photos/sahra-wagenknecht-deutscher-politiker-6718228/

Gründet Sarah Wagenknecht eine eigene Partei oder nicht? Die Spekulationen reißen nicht ab. Aber das Zeitfenster für eine Gründung ist nicht ewig offen.

Es wird Frühling, und das Geraune darüber, dass Sarah Wagenknecht eine neue Partei gründet, nimmt zu. Der „Spiegel“ hat sie in seiner Ausgabe vom 15. April sogar zur Titelgeschichte gemacht. „Die Eiskönigin“ überschrieb das Magazin den Beitrag über jene Frau, die in ausgesuchter Bel-Étage-Garderobe gezielt politische Botschaften an die Enttäuschten und vom gesellschaftlichen Abstieg, sprich vom Verlust des sicher geglaubten Wohlstands bedrohten Arbeitern und Angestellten sendet. Acht Seiten widmete das Magazin der Linken-Politikerin, die für diesen Beitrag sogar ihr Familienalbum mit Fotos aus Kindertagen öffnete.

Offensichtlich gingen beide Seiten von einer Win-Win-Situation aus. Sie bekam den Titel, der „Spiegel“ hoffte auf gute Verkaufszahlen. Sahra sell`s. Im Internet klicken Beiträge über sie seit vielen Jahren überdurchschnittlich gut. Sie ist ein gern gesehener Talk-Show-Gast. Aber dass der „Spiegel“ sich zu einer acht Seiten langen Hymne auf das seit Jahrzehnten umschwärmte Covergirl der deutschen Politik verstieg, ist schon eine Zäsur. Ich wurde sie von den Magazin-Machern aus Hamburg bisher eher kurz im hinteren Teil des Heftes abgehandelt.

Rummel um Wagenknecht und ihre Pläne

Aber jetzt, mit 53 Jahren, wird ja Großes von ihr erwartet. Sie soll eine neue Partei auf die Beine stellen. „Die Partei soll Wähler einsammeln, die sich nicht mehr gehört fühlen: nicht von den Linken oder den Grünen, nicht von der Union oder der SPD, Leute, die gegen die Fokussierung auf das Gendern sind und für die Enteignung von Wohnungskonzernen, gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine und eine offene Flüchtlingspolitik, für flächendeckende Tarifverträge und eine liberale Coronapolitik“, mutmaßt der „Spiegel“.

National und sozial zugleich werde die neue Partei sein, links und konservativ in einem. „Wäre Wagenknechts neue Partei eine linke AfD“, fragt sich der „Spiegel“ und greift damit die Erzählung der Wagenknecht-Gegner in der Linken auf, die den Rummel um sie mit Plänen für eine „nationalsoziale“ Partei oder Bewegung skandalisieren.

Haben diese Leute eigentlich komplett vergessen, dass die Idee soziale Marktwirtschaft, zu der die Marxistin Wagenknecht konvertierte, auf einem nationalen Fundament errichtet und in Kombination mit der Deutschland-AG zu erheblichen Wohlstandsgewinnen für breite Schichten geführt hat? „Made in Germany“ war das Gütesiegel dieser wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte, die ohne die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft, angefangen mit dem Kampf um die Montanmitbestimmung 1951 über die Sozialpartnerschaft von Kapital und Arbeit bis hin zur umfassenden sozialen Absicherung existenzieller Lebensrisiken, sicher anders verlaufen wäre.

Medien verkürzen Debatte

Heute stehen alle westlichen Industriegesellschaften ganz neu vor der Frage, wie sie künftig arbeiten, wie sie Wohlstand erwirtschaften und ihn an die Bürger verteilen wollen. Sahra Wagenknecht spricht diese Problematik immer wieder an. Doch die großen Medienhäuser finden es viel spannender, die Debatte so weit zu verkürzen, bis nur noch die „Eisprinzessin“ und ihre mögliche neue und – ach so gefährliche – Partei übrig bleibt.

Sarah Wagenknecht kann es recht sein. Solange die Medien dieses Spiel betreiben, ist sie Sehnsuchts- und Hassfigur der deutschen Politik zugleich. Mit diesem medialen Rückenwind kann sie mögliche Parteipläne vorantreiben. Wichtig ist nur: Sie muss fertig werden, bevor den Medien das Warten auf die neue Partei zu langweilig wird. Auch für eine Sarah Wagenknecht bleibt es nicht ewig Frühling.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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fufu
fufu
11 Monate her

Fuer Sarah wuerde ich mich nochmal zum Wahllokal schleppen. Chancen hat sie mit der Parteigruendung nicht. Wo sollte sie denn im Reich der grauen Maennlein, Weiblein oder 3/4lein Persoenlichkeiten fuer die Partei finden, oder gar im Zweifelsfall Koalitionspartner?

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
11 Monate her

Frau Wagenkecht ist heute gewiss in mehrfacher Hinsicht ein Lichtblick in einem Meer von Mittelmäßigkeit (bestenfalls!), beschränkt-ideologischem Fanatismus und dem Verhaftetsein an den Interessen Dritter (…) Trotzdem, so meine ich, neigt man dazu, ihren Einfluss zu überschätzen. Würde sie eine neue Partei gründen, so wäre das nicht die Renaissance einer machtvollen Traditionslinken, sondern lediglich der (begrüßenswerte) Sargnagel für die ins Lifestylehafte und Identitätsidiotische verirrte PDS, äh Linkspartei und außerdem eben die Begründung einer neuen – vom System heftig bekämpften – Kleinpartei. Auf welche perfide Weise die Angriffe gegen sie geführt würden, das hat man ja nach ihrer Friedensdemo vom Winter… Read more »

fufu
fufu
Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Es geht nicht darum, was Wagenknecht ihrer Anhaengerschaft zumuten kann. Die Systemkritik Wagenknechts geht aufgrund ihres marxistischen Hintergrunds tiefer als die einer Weidel, wobei letztere letztendlich fuer eine kontrollierte Opposition steht.

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  fufu
11 Monate her

@ fufu Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass die AfD sozusagen eine „kontrollierte“ bzw. ausgebremste Opposition ist und eine Wagenknechtpartei etwas weniger leicht ausgebremst werden könnte. Letztlich würde es dem System aber m.E. ebenfalls gelingen, diese neue Partei zu marginalisieren. Was spräche denn dagegen? – – – Ich stimme ebenfalls zu, dass aktuell eine wirksame Systemkritik vom Aufgreifen marxistischer Ansätze profitieren könnte. Hannes Hofbauer und Ullrich Mies zeigen ja, dass das sehr gut funktioniert. Andererseits muss unbedingt unterschieden werden zwischen marxistisch angehauchter Analyse und marxistisch orientierter Lösung! Marxistische Lösungen sind gefährlicher Unsinn! (Die spannende Frage ist nun, inwieweit sich Wagenknecht… Read more »

fufu
fufu
Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Solange die AfD auf das Schueren von Resentiments gegen Auslaender setzt ist sie fuer mich nicht waehlbar und auch kein Partner einer moeglichen Querfront. Zum Problem der Imigration muesste man differenzieren zwischen Fluechtlingen als Folge der imperialistischen/neolonialistischen Politik allgemein des Westens und Armuts- oder Wohlstandsmigranten, wobei die Armutsmigration zumindest partiell ebenfalls Folge dieser Politik ist. Zumindest hat Wagenknecht eben aufgrund ihres Hintergrunds kein Problem diese Zustaende anzuprangern, die AfD schon eher da sie sich als koalitionsfaehig andienen moechte. Ich glaube auch, dass Wagenknecht nicht so naiv ist zu glauben man koenne alle aufnehmen, maximal die erste Kategorie. Etwas schwach auf… Read more »

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  fufu
11 Monate her

@ fufu Ihr letzter Satz ist gefällt mir. Ich stimme zu: Eine intelligente und nicht ins Extremistische abgleitende Linke gehört zur demokratischen Kultur dazu. Es ist den globalistischen Eliten aber erfolgreich gelungen, die große Mehrheit der Linken derart zu korrumpieren, dass die meisten dort nicht mal mehr merken(!), dass sie bloß noch die „nützlichen Idioten“ im Spiel des Großkapitals sind. Welch ein intellektueller Niedergang! Diese Korrumpierung gelang durch das raffinierte Zugeständnis, dass man der Linken Narrenfreiheit im lokalen und regionalen Bereich einräumte (z.B. Genderspielchen) und dazu natürlich eine Masse an lukrativen Posten, Pfründen, „Projekten“ usw. usf. bot – und das… Read more »

fufu
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Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Der Identitaetsquatsch gefaellt mir auch. Seine Identitaet hat man oder man hat sie nicht. Jedenfalls muss man sie nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen wie derzeit die Schwulen und Lesben ihre Homosexualitaet.

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  fufu
11 Monate her

@ fufu Zunächst einen Guten Morgen! Sie schreiben: „Solange die AfD auf das Schueren von Resentiments gegen Auslaender setzt ist sie fuer mich nicht waehlbar und auch kein Partner einer moeglichen Querfront.“ — Erstens. Ich wundere mich, denn Sie messen mit zweierlei Maß: Sie bewerten die Ressentiments (d.h. die Abneigung, Ablehnung) der Nationalkonservativen gegenüber den Interessen von zuwandernden Ausländern implizit für schlechter als die Ressentiments der Linken gegenüber den Interessen der inländischen und deutschstämmigen Bevölkerung. … Das lässt zwei Schlüsse zu: Entweder erkennen Sie gar nicht, in welch massivem Maße die Linke eine ressentimentgelade Politik betreibt (Phänomen des „Blinden Flecks“)… Read more »

fufu
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Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Ich versuche es Ihnen zu erlaeutern. Ich wohne in einem Land in dem man politisch der BRD um Jahre voraus ist. Vor 10 Jahren kam hier eine buntgemischte, populistische Bewegung um einen Komiker!!! an die Macht, oekologisch, links, anti-EU, anti-Banken, Euroaustritt und monetaere Souveraenitaet,staatliches Grundeinkommen usw. Im Hintergrund zogen das Aspeninstitut und die Agenda 2030 die Strippen. Um es kurz zu machen, zuletzt waren sie mit Draghi verbuendet. Nachdem man so alle „Prinzipien“ ueber Bord geworfen hatte,wurden sie abgewaehlt und es kam eine rechtskonservative Regierung an die Macht…gegen Einwanderung …Seeblockade… Souveraenitaet… usw. Was hat man in der Realitaet?… es kommen… Read more »

fufu
fufu
Reply to  fufu
11 Monate her

„um Jahre“ … Jahrtausende

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  fufu
11 Monate her

@ fufu Vielen Dank für Ihre Antwort und den Hinweis auf Ihren geographischen Bezug, der manches erklären mag. Sie sind offenbar der Auffassung, dass alternative Politikkonzepte und Widerstandsformen ohnehin längst bedeutungslos geworden seien, da die Mächtigen des Großen Geldes sowieso überall mitmischen. Also Resignation und/oder „Waldgang“. Ja, ich kann diese Haltung nachvollziehen. Zur Bestätigung verweisen Sie auf die Verhältnisse Italiens, wo weder jener Beppe Grillo noch Giorgia Meloni das halten, was sich so mancher Wähler von ihnen erhoffte. Von Silvio Berlusconi ganz zu schweigen. Ob Italien damit den anderen west- und mitteleuropäischen Staaten wirklich um zehn Jahre voraus ist, ist… Read more »

fufu
fufu
Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Ich dachte es waere aus dem Kontext klar, ausserdem vertrete ich keine Interessen sondern beschreibe nur Zusammenhaenge, dass meine Solidaritaet eher den Opfern als den Taetern, diversen Profitoeren und Mitlaeufern egal welcher Nationalitaet gilt sollte ebenfalls klar sein.

Und was nochmal soll da abgeschafft werden…?

Nathan
Nathan
Reply to  Wolfgang Wirth
11 Monate her

Zitat: „Das politische Attribut „rechts“ bezieht sich traditionell immer auf die Vertreter des ancient regime und der jeweiligen Machtseite – also (früher) die Monarchisten sowie ihr Apparat, (später) die Vertreter einer herrschenden Einheitspartei und (heute) die Großunternehmen, die Großbanken, den militärisch-politischen Komplex der USA usw. „Rechts“ sind heute in Wirklichkeit also nicht die sog. „Rechtspopulisten“ aus der AfD, sondern z.B. das Weltwirtschaftsforum und seine diverse Myzele“ Schön, daß Sie das klarstellen. Dazu gehört auch, daß bei dem früheren Links – Rechts – Gefüge ALLE nationalistisch waren. Und DAS hat sich geändert: sowohl „links“ = sozialistisch als auch „rechts“ = kapitalistisch… Read more »

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  Nathan
11 Monate her

Volle Zustimmung!

Ich bin immer wieder verblüfft, dass insbesondere Menschen, die sich selber als „links“ und kritisch einschätzen, diesen Zusammenhang einfach nicht zu erkennen vermögen und auf die Narrative des herrschenden Systems hereinfallen.

Nathan
Nathan
11 Monate her

Frau Wagenknecht durchschaut die verlogene Politik der Etablierten und wird dadurch gehaßt oder geliebt. In ihren Talk-Aufritten wirkt sie stets überzeugend, weil sie die ideologisch voreingenommene Engstirnigkeit ihrer Gegenüber aufbricht. Eine eigene Partei wäre schon wichtig, weil sie dann nicht nur reagieren muß sondern frei gestalten kann. Die eingefahrene Verbohrtheit der CDU-, SPD- und Grünenwähler aufzubrechen sollte ihre Hauptaufgabe sein, denn sie braucht von dort Wählerstimmen. Die Medien dagegen sind ihr nur hold in der Hoffnung, die AfD und die Linke zu schwächen, was aber dann ein Nullsummen-Spiel wäre. Es traut sich ja keiner, offen gegen die USA und gegen… Read more »

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