Die CDU im AfD-Dilemma – oder warum Deutschland politisch auseinanderbricht

CDU-Plakat zur 1. Bundestagswahl am 14. August 1949 / Quelle: Wikipedia / Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung: : CDU, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAS-Christentum-Bild-8-3.jpg CDU-Plakat zur 1. Bundestagswahl am 14. August 1949 / Quelle: Wikipedia / Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung: : CDU, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAS-Christentum-Bild-8-3.jpg

Unter dem Druck hoher AfD-Umfrageergebnisse sucht die ostdeutsche CDU einen eigenen Weg. Sie steckt in einem Dilemma, das parteipolitisch nicht zu lösen ist.

Die AfD kennt dieses Dilemma schon lange, in dem jetzt auch die CDU steckt. Beide Parteien haben Repräsentanten und Wähler, deren politische Positionen sich diametral von denen der Mehrheit aller Wahlberechtigten unterscheiden. Und das führt letztlich dazu, dass sich neben der AfD und nunmehr auch die CDU zunehmend von irgendetwas und irgendjemandem aus den eigenen Reihen distanzieren muss.

Auffällig ist dabei die starke geografische Konzentration dieser von den Auffassungen der politischen Mitte abweichenden Repräsentanten und Wähler in beiden Parteien. Denn geografisch betrachtet ist ihr Anteil in Ostdeutschland wesentlich höher als in Westdeutschland.

Inhaltlich geht es keineswegs um Kleinigkeiten. Vielmehr verlaufen die Differenzen zur Mehrheit der Wahlberechtigten entlang aktuell beutender Themen. Dazu zählen etwa der Ukrainekrieg, Flüchtlings- und Asylfragen, die Energie- und Klimapolitik sowie das Verhältnis zu den USA, zu Russland, der EU und zur NATO.

CDU-Zentrale entsetzt

Zuletzt erschütterte unmittelbar vor den Feiertagen ausgerechnet eine Weihnachtsbotschaft den innerparteilichen Frieden bei der CDU. In dieser auf Video verbreiteten Ansprache versicherte der Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas in Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen, er werde den Sport nicht weiter „für diese Asylpolitik bluten“ lassen. Außerdem gefährdeten dezentral untergebrachte Asylbewerber den sozialen Frieden.

Mag sein, dass die Botschaft bei den Bürgern im Landkreis Bautzen durchaus gut ankam, in der Berliner Parteizentrale sorgte sie für blankes Entsetzen. Schließlich unterschied sich Witschas` Botschaft sowohl inhaltlich wie rhetorisch kaum von ähnlichen Aussagen ostdeutscher AfD-Politiker. Und hatte Parteichef Friedrich Merz nicht sogar jedem CDU-Mitglied mit Parteiausschluss gedroht, das – wie auch immer – gemeinsame Sache mit der AfD mache bzw. dieser den Boden bereite?

Kaum war Witschas Botschaft in der Welt, löste Generalsekretär Mario Czaja Alarm aus: „Wir distanzieren uns mit Nachdruck von der Wortwahl des Bautzener Landrats“, ließ er die Medien wissen und beteuerte, er sage dies auch ausdrücklich im Namen des Parteivorsitzenden Merz.

Beistand von der Ost-CDU

Ganz anders hingegen reagierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der sich mit seinen Aussagen zum Ukrainekrieg und zu Russland, die inhaltlich kaum von der AfD zu unterscheiden sind, in der Bundes-CDU längst unmöglich gemacht hat. Kretschmer ging die innerparteilichen Kritiker wie Czaja mit den Worten an, Witschas Aussage seien aus dem Zusammenhang gerissen. So sei ein falscher Kontext entstanden.

Sogar sein sonst eher zurückhaltender Amtskollege aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, gab Witschas zumindest indirekt recht. In den Kommunen sei die Lage an einem „Kipppunkt, wo es bald um die Unterbringung in Provisorien wie Zelten geht“. Und weiter: „Die Aufnahme- und Betreuungskapazitäten, die wir zur Verfügung haben, sind genauso endlich, wie sie es 2015 waren.“

Bislang waren solche von innerparteilicher Zerrissenheit gezeichneten Debatten vor allem eine Angelegenheit der AfD. Dabei ging es etwa um eine Zusammenarbeit mit dem islamfeindlichen Protestbündnis „Pegida“ oder Rechtsauslegern wie „Freies Sachsen“ und „Freies Thüringen“. Was die Ost-AfD duldete oder gar offen befürwortete, wurde von der Zentrale in Berlin oftmals untersagt und verurteilt.

Merz will eine jüngere und weiblichere CDU

Nicht anders läuft es jetzt bei der CDU. Merz will seine Partei mit einer neuen Programmatik reformieren. Sie soll jünger, weiblicher, grüner und sozialer werden und auf diese Weise wieder zur bestimmenden Kraft in der politischen Mitte aufsteigen. In der Ukrainekrise trieb er gar die Ampel vor sich her, indem er früh die bedingungslose Unterstützung des von Russland überfallenen Landes sowie knallharte Sanktionen gegen Moskau forderte.

Doch all das kommt bei den Wählern im Osten nicht gut an. Ihr Verhältnis zu Russland auf der einen und zu den USA auf der anderen Seite unterscheidet sich deutlich von dem westdeutscher Christdemokraten. Große Unterschiede zeigen sich auch in der Migrationspolitik. Dabei spielen zum einen historischen Faktoren und Prägungen nach wie vor eine große Rolle, zum anderen wirken die Wendeerfahrungen noch heute durch ein erhebliches soziales West-Ost-Gefälle nach.

Weil sie die Bedürfnisse ostdeutscher Wähler derzeit wesentlich stärker bedient als die Merz-CDU, ist die AfD aktuell in Thüringen mit Werten um die 30 Prozent sogar stärkste politische Kraft. Zugleich aber schadet ihr der politische Kurs, den sie im Osten fährt, in den westdeutschen Bundesländern.

Die Ost-CDU liebäugelt mit der AfD

Bei der CDU ist es derzeit genau umgekehrt: Sie verliert im Osten und stabilisiert sich mit den Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) im Westen. Zwar musste sie im Saarland und bei der Niedersachsenwahl im Herbst deutliche Verluste hinnehmen, doch das lag zum großen Teil an den Kandidaten. In bundesweiten Umfragen liegt die CDU vor allem durch die Stimmen der Westdeutschen unangefochten an der Spitze der Umfragen.

Dazu tragen sowohl Günther als auch Wüst mit ihrem Kurs bei. Beide koalieren mit den Grünen. In der Ost-CDU ist diese Kooperation bis heute hingegen nicht wirklich akzeptiert. Da möchten nicht wenige lieber mit der AfD zusammenarbeiten, was wiederum der Glaubwürdigkeit im Westen erheblich schaden würde.

Mit Blick auf das gesamtdeutsche Wählerpotenzial ist es für die CDU sicherlich richtig, die Interessen der westdeutschen Wähler zu priorisieren. Denn den Osten hat sie mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt schon verloren, in Sachsen ist das Siechtum der Partei unübersehbar. Außerdem werden Bundestagswahlen im Westen gewonnen.

Unerfülltes Versprechen gleichwertige Lebensverhältnisse

Dauerhaft jedoch dürfen weder CDU noch AfD noch alle anderen Parteien die tiefe Kluft zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland hinnehmen. Diese ist jedoch keine parteipolitische Frage oder Aufgabe, sondern eine wirtschafts- und sozialpolitische. Und damit auch eine Aufgabe kommender Bundesregierungen.

Denn die tiefere Ursache für die Dilemmata in CDU und AfD ist das gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichgewicht zwischen West und Ost. Statt zusammenzuwachsen, scheint das Land auseinanderzubrechen. Im Westen und Osten haben die Menschen ganz und gar unterschiedliche Lebensperspektiven. Sie entstehen durch die Verhältnisse, in die sie hineingeboren werden und aufwachsen.

Seit der Wiedervereinigung ist das Versprechen gleichwertige Lebensverhältnisse nicht erfüllt worden. Bis heute erhalten Mitarbeiter großer Firmen für die gleiche Tätigkeit in Westdeutschland mehr Geld als in Ostdeutschland. Wer im Osten lebt und arbeitet, kann sich weniger leisten als ein Westdeuscher. Er trägt zwar einen genauso großen Anteil zum gesamtwirtschaftlichen Erfolg bei, soll sich aber dennoch mit weniger Wohlstand zufriedengeben. Genau darum geht es. Erst dann, wenn die Menschen im Osten und Westen wirtschaftlich und sozial die gleichen Chancen haben, kann die Gesellschaft – und damit auch ihre Parteien – wieder zusammenfinden.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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fufu
fufu
1 Jahr her

Einen Riss kann man nur sehen wenn man das Betrachtete als Einheit betrachtet, oder wie es aus jeweiliger Sicht sein sollte. So einen Riss kann man zukleistern, die Ursachen schwerlich, die eigene Ideologie noch weniger.

Georg Hallmann
Georg Hallmann
Reply to  fufu
1 Jahr her

Ein Riss kann durch Keile erweitert werden bis hin zur Spaltung. Politisch sind vergleichbar die Bemühungen Herrschender, die Opposition zu isolieren, sie zu bedrohen, sie zu spalten, auszugrenzen und schließlich zu verbieten. In dieser Phase sind wir. Diejenigen, die Deutschlands Einheit bekämpften, zum Teil auch in Solidarität mit der DDR, die sind doch nicht alle weg. Die DDR- Führung schuf dann den Begriff der Boykotthetze gegen die Opposition, als Deckel. Der Kessel platzte. Was im Westen anfangs als Stammtischgerede abgetan wurde, ist inzwischen als Hass und Hetze gesetzlich geächtet. In Mitteldeutschland wird aus Erfahrung eine solche Entwicklung nicht als Ausdruck… Read more »

fufu
fufu
Reply to  fufu
1 Jahr her

Ich schaetze mal, dass die Einheitspartei Risse bekommt, dass es an gewissen Stellen rumort, nicht nur bei der CDU. Sicher gibt es auch noch echt oekologisch orientierte Gruene, ehemalige Mitglieder der Friedensbewegung, CDU-Mitglieder die noch der Marktwirtschaft anhaengen, echte Liberale und echte Linke.

Allzugrosse Hoffnungen sollte man sich aber nicht machen wie gerade Italien zeigt. Die mit grosser Mehrheit gewaehlte nationalfaschistische Partei hat schon nach 1 Monat Grossteil ihrer Versprechen ueber Bord geworfen, Fortsetzung der Agenda Draghi, strammer transatlantischer Kurs,Sozialdumping, als Bonbon ein bischen Stress mit den Schiffen der ONGs… die realen Machtverhaeltnisse lassen keine Veraenderung zu.

fufu
fufu
Reply to  fufu
1 Jahr her

Wie sagte doch der Vorsitzende der italienischen Industriellenverbaende „Es ist nicht die Zeit fuer Wahlversprechen, es geht um die Zukunft der italienischen Industrie“.

Und wie war nochmal die Definition Mussolinis fuer Faschismus?

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  fufu
1 Jahr her

@ fufu Ich verstehe Sie so, dass Sie mit „Einheitspartei“ die Gesamtheit jener Parteien meinen, die ich Kartellparteien nennen würde; wozu natürlich auch die CDU und die Linkspartei gehören, da sie hier und da mit am Regieren sind. Es wäre ja schön, wenn es so wäre, wie Sie es zu sehen meinen, aber ich fürchte, dass die Rissbildung innerhalb des regierenden Komplexes nicht sonderlich groß sein wird. Wenn überhaupt. Innerhalb der CDU ist ja erkennbar, dass etwa Maaßen, Otte jener sächsische Landrat oder die Mitglieder der Werteunion bisher erfolgreich ausgegrenzt werden konnten. Inwieweit die aktuelle Aufregung über die Ausländer-kriminalität zu… Read more »

fufu
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Reply to  Wolfgang Wirth
1 Jahr her

Mag sein. Nur ist eben das Haeuflein der sichtbaren Aufrechten zu klein um jemanden auszugrenzen nur weil er links oder in der falschen Partei ist. Derartige kleinkarierte Streiterei lenkt nur vom zentralen Problem Deutschlands und Europas ab…dem fatalen Einfluss der USA und der NATO in allen Entscheidungsebenen. In dieser Frage muesste sich ein transversaler Druck von unten aufbauen, vom Parteienestablishment ist da nichts zu erwarten. Immerhin hat die Pandemie gezeigt… die Regierungspropaganda ist nicht allmaechtig, die Ostdeutschen waren auch hier einen Schritt voraus.

Georg Hallmann
Georg Hallmann
1 Jahr her

Es ist ein Riss, weil Keile getrieben werden, die ständig verheerender wirken. Wenn man den kritischen Dialog schon verbietet, anders Denkende bedroht, nur um die eigene Macht zu konservieren, dann kann aus dem Riss eine Spaltung entstehen. Diejenigen, die bis zuletzt die deutsche Einheit ablehnten, die mit den Kommunisten freundschaftliche Beziehungen pflegten, die sind ja noch nicht alle weg. Ihnen gilt besonders der erfolgreiche Widerstand in Mitteldeutschland. In der DDR wurde der Begriff der Boykotthetze zum Deckel. Der Kessel platzte dann. Anfangs hier als Stammtischgerede abgetane Kritik wurde inzwischen Gesetz gegen angeblichen Hass und Hetze umgeschmiedet. Das ist nicht wehrhafte… Read more »

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
1 Jahr her

Angesichts der nun einmal etwas andersartigen Entwicklung und Geschichte in Ostdeutschland mit den daraus folgenden abweichenden Werten und Einstellungen der Wähler kommt es einem ziemlich hochmütigen Unterfangen gleich, wenn westdeutsche Parteiführungen sich anmaßen wollen, die ostdeutschen Parteigliederungen zu erziehen und zu maßregeln. Um nichts anderes geht es! Das macht eher schlechte Stimmung und kann – wenn es von westlicher Seite weiterhin so unsensibel und plump gehandhabt wird – bis zu parteipolitischen Abspaltungen führen. Dass auch regionale Parteien erfolgreich sein können, beweist indessen die CSU. Die ostdeutschen AfD-Landesverbände haben hier vermutlich weniger Bedenken als die ostdeutsche CDU. In Thüringen dürfte die… Read more »

Ketzerlehrling
Ketzerlehrling
1 Jahr her

Das Problem ist, dass man hierzulande keinerlei Toleranz kennt und demzufolge aus der Verschiedenheit der Menschen, ihrer Ansichten nichts herausziehen kann, die Stärke darin nicht sieht, sondern dies als Schwäche, als Schande, als Nachteil erlebt. Diese Denke ist so deutsch wie das Sauerkraut. Deswegen kommt die AfD auch nicht weiter und die CDU wird es auch nicht packen. Aber gegen Dummheit und gegen die deutsche Mentalität sind einfach kein Kraut gewachsen.

Jogi
Jogi
1 Jahr her

Schon in der ersten Hälfte dieses Artikels beschlich mich das Gefühl, dass der Autor aus dem Westen kommen müsse. Eine kurze Google-Suche bestätigte diesen Verdacht. Nun ja, zumindest verkneift er sich eine direkte Beleidigung der Ostdeutschen. Wobei die Aussagen im letzten Kapitel schon fast eine versteckte Beleidigung sind. Es ist also eine wirtschafts- und sozialpolitische Aufgabe? Und die [Zitat] „Ursache für die Dilemmata in CDU und AfD ist das gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichgewicht zwischen West und Ost.“? Klingt wie Politikergeschwätz. Mit anderen Worten: Die Ossis sind die Abgehängten, die mit Geld und ein wenig „Demokratieunterricht“ auf die richtige Bahn… Read more »

Geolitico
Webmaster
Reply to  Jogi
1 Jahr her

Wir verstehen uns nicht als alternatives Medium, sondern als ein Medium von vielen.

Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
Reply to  Jogi
1 Jahr her

@ yogi Ich habe das von Ihnen erwähnte letzte Kapitel eben noch einmal gelesen. Von einer „indirekten Beleidigung“ würde ich nicht sprechen, eher von einer Fehleinschätzung. Doch stimme ich Ihnen zu, dass Herr Lachman die Ursache der ostdeutschen „Andersartigkeit“ nicht erkennt. Seine Ansicht … „Denn die tiefere Ursache für die Dilemmata in CDU und AfD ist das gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichgewicht zwischen West und Ost.“ … ist m.E. wirklich falsch. Es liegt nicht am Geld! Sein Denkent verrät eine zutiefst westdeutsche Vorstellungswelt, dass nämlich letztlich alles auf materielle Weise, z.B. in Form der Berücksichtigung von Löhnen, Gehältern, Preisen usw.… Read more »

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