Wagenknecht rückt vom Euro ab
„Der Euro funktioniert nicht“, sagt die künftige Linken-Fraktionschefin Wagenknecht. Die Linke streitet über den Euro als „ Projekt der herrschenden und besitzenden Klassen“.
Noch vor einem halben Jahr waren solche Gedanken in der europäischen Linken undenkbar. Niemand hätte es gewagt, den Euro infrage zu stellen. Er galt als Garant für den tieferen europäischen Einigungsprozess, der im linken Ideal in einem sozialistischen Europa münden sollte.
Diese Haltung gibt es freilich nach wie vor, aber erstmals gibt es auch eine andere. Will heißen, der linke Rückhalt für den Euro bröckelt; ja, das System der Gemeinschaftswährung wird inzwischen nicht nur öffentlich angezweifelt, sondern gilt als Projekt der zu bekämpfenden „herrschenden Klasse“. Diejenigen, die das so sehen, verbinden ihre Kritik mit der Frage, wie souverän ein europäischer Staat sein darf, oder besser gesagt sein muss, damit linke Politik überhaupt erst möglich wird.
„Welche Politik erlaubt der Euro?“
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Nun fallen Sätze, die bislang allenfalls von der euro-skeptischen AfD und den wenigen Kritikern in den Reihen der CDU/CSU zu hören waren. Sie machen deutlich, wie sehr der Euro auch bei Teilen der Linken seine Magie verliert. Sie fürchten, die Ereignisse in Griechenland könnten langfristig zu einer tiefen Enttäuschung über die Linke und ihre Politikfähigkeit insgesamt führen. In Griechenland ist dieser Prozess längst im Gange. Über die Zugeständnisse, die Ministerpräsident Alexis Tsipras den Gläubigern gemacht hat, zerbricht inzwischen seine eigene Partei.
Es ist keineswegs übertrieben, diesen Wandel als revolutionär zu bezeichnen. Schließlich kommt die Kritik in Griechenland, Frankreich und Deutschland mit ungeahnter Radikalität daher.
„Es zeigt sich einfach, dass der Euro nicht funktioniert, sondern immer größere wirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugt, und am dramatischsten zeigt sich das eben in Griechenland“, sagt die künftige Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. „Darum beginnt in der Linken zu Recht eine Debatte darüber, welchen Spielraum eine Politik jenseits des neoliberalen Mainstreams im Rahmen des Euro überhaupt hat oder ob wir dieses Währungssystem nicht generell infrage stellen müssen.“
Sie verweist dabei auf das von den Chefs von fünf EU-Institutionen, EU-Kommission, Europäischer Rat, EU-Parlament, EZB und der Euro-Gruppe vorgelegte Papier zur „Rettung der Euro-Zone“. An dem Papier sei deutlich zu erkennen, „wohin die Reise mit dem Euro gehen soll“. Wagenknecht: „Alles deutet darauf hin, dass es immer mehr Integrationsschritte gibt, die jede nationale Souveränität erledigen. Wenn in Zukunft die Haushalts- und sogar die Lohnpolitik in den Mitgliedstaaten von EU-Technokraten gesteuert werden soll, dann gibt es letztlich keinen Raum mehr für demokratische Entscheidungen und die Ergebnisse von Wahlen werden so irrelevant wie wir das gerade in Griechenland erleben.“
Auch der französische Präsident Francoise Hollande sei ja bereits in seinem ersten Amtsjahr mit allen sozialen Wahlversprechen gescheitert und kopiere jetzt die deutsche Agenda 2010, um die fortschreitende Deindustrialisierung seines Landes zu stoppen. „Das gleiche Trauerspiel in Italien. Die Währungsunion verengt die Spielräume der einzelnen Regierungen bis zur Handlungsunfähigkeit, das ist eine europaweite Abschaffung der Demokratie durch die Hintertür. Deshalb muss die Linke die Debatte führen, ob sie sich dieser Logik weiterhin ausliefern will oder sich lieber für ein anderes Finanz- und Währungssystem stark macht“, sagt Wagenknecht.
Athener Fanal
Nicht weniger deutlich äußern sich führende Linke in Frankreich. Bis vor kurzem noch weigerte sich der Vorsitzende der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, eine Rückkehr zu nationalen Währungen auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen. Doch die „Kapitulation der griechischen Regierung“ vor den Forderungen aus Brüssel und Berlin hat seine Sichtweise grundlegend verändert. Es sei an der Zeit, Möglichkeiten eines Ausscheidens aus dem Euro-Währungsgebiet auszuloten, sagte er. Und auch die bei der französischen Linken populäre Clémentine Autain zeigte sich „erschüttert“ über die „die autoritäre Haltung der Euro-Gruppe“ und zog daraus den Schluss, das linke Lager sei nun „in der Pflicht, den Ausstieg aus dem Euro zu diskutieren“.
Zweifellos wirken die aktuellen Ereignisse der Euro-Krise in Teilen der europäischen Linken wie ein Fanal. Ihrer Ansicht nach exekutiert Tsipras ein schärferes Spar- und Reformprogramm als sein konservativer Amtsvorgänger Andonis Samaras. Und darüber sieht sich die Linke im Euro-System um die Chance beraubt, mit Instrumenten der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik die Folgen der Krise sozial abfedern und eine ihrem ideologischen Ideal entsprechenden Gesellschaft formen zu können.
In einer Beitragsserie in ihrem „Zentralorgan“, dem Online-Portal der Zeitung „Neues Deutschland“, debattieren Linken-Politiker und Wissenschaftler derzeit den künftigen Umgang mit dem Euro. Dabei sticht die kritische oder besser ablehnende Haltung gegenüber dem Euro hervor. Ohne jede Nachsicht klagen etwa Janine Wissler, stellvertretende Linken-Vorsitzende, und die Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke die europäische Linke der Blauäugigkeit und der Tatenlosigkeit an.
In Athen habe die Linke insgesamt eine schwere Niederlage erlitten. Wahrscheinlich sei in der deutschen Linken die Illusionen über die Spielräume innerhalb der EU trotzdem noch weit verbreitet, die etwa im jüngsten Europawahlkampf „immer wieder genährt“ worden seien. „Es wurde teilweise behauptet, es könne eigentlich gar keine grundsätzliche EU-Kritik von links geben. Darüber sollten wir uns ein gründliches Grübeln und die Fähigkeit zur Selbstkritik zumuten“, schrieben Wissler und Gohlke und zogen das Fazit: „Nach unserer gemeinsamen Niederlage steht zu befürchten, dass linke Politik in Europa künftig nur noch gegen die EU-Institutionen und – als sozialistische Regierungspolitik in der Peripherie Europas – wohl nur noch außerhalb des Korsetts der Eurogruppe möglich ist.“
Grexit als kleineres Übel
Wie tief der Schock sitzt, lassen auch andere Sätze erahnen. „Die Unterwerfung der ersten genuinen Linksregierung innerhalb der Europäischen Union seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise unter die Knute der deutschen Regierung und der ihr folgenden anderen europäischen Regierungen ist letztlich auch unsere Niederlage und eine Niederlage der gesamten europäischen Linken.“
Die beiden sehen in einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone das kleinere Übel. „Seine Attraktivität bezieht der linke Grexit aber vor allem aus der Alternative zu ihm“, schreiben sie. „Ein Verbleib in der Eurozone bedeutet für Griechenland die Garantie auf weitere Kürzungen und Verelendung, die faktische Aufgabe demokratischer und parlamentarischer Kompetenzen und stellt Syriza vor eine Zerreißprobe. Er zwingt die Syriza-Regierung nun – zumindest vorläufig – dazu, statt zur Beenderin der Austeritätspolitik zum ausführenden Organ der Diktatur der Troika zu werden.“
Mit großer Mehrheit hätten bei dem von Syriza initiierten Referendum die „finanziell Schwachen und Abgehängten“ gegen die Austeritätspolitik gestimmt. „Daher lässt gerade die Volksabstimmung in Griechenland darauf schließen, dass der unbedingte Verbleib im Euro keineswegs ein Ziel der Mehrheit der Bevölkerung ist, sondern vor allem ein Projekt der herrschenden und besitzenden Klassen“, schreiben sie. Spätestens mit dieser Aussage ist der Euro bei der radikalen Linken geächtet.
Wer die ganze Tragik der Situation für die Linke erfassen will, muss die Ereignisse in Athen im europäischen Zusammenhang sehen. In keinem europäischen Land außer Griechenland verfügt die Linke über nennenswerten Einfluss. All ihre Hoffnungen lagen folglich auf Syriza. Als das Links-Bündnis an die Regierung kam, bestand die einmalige Chance, durch klar erkennbare linke Akzente in der griechischen Politik und gegen die Gläubiger den zweiten Hoffnungsträger, die spanische Podemos-Bewegung, in eine erfolgversprechende Ausgangslage bei den anstehenden Parlamentswahlen in Spanien zu bringen.
All diese Erwartungen hat Tsipras enttäuscht. Von nicht wenigen wird er gar als Verräter an der eigenen Sache gesehen. Sie hätten sich gewünscht, Tsipras wäre dem Rat des früheren Finanzministers Janis Varoufakis gefolgt und hätte Schuldscheine zur Schaffung einer eigene Währung ausgegeben und die Banken verstaatlicht.
Die Logik des Euro
Linken Euro-Kritiern liefert Martin Höpner, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, zusätzliche Argumente. Mit dem Euro sei zwar der Wunsch verbunden, „dass die Europäerinnen und Europäer friedlich und solidarisch füreinander einstehen und dass von der europäischen Integration demokratische und sozialpolitische Impulse ausgehen“. Es allerdings fraglich, ob das Festhalten am Euro diesen Zielen diene.
Höpner sagt, es sei „kein Zufall, dass wir uns heute mit einer vorher nicht gekannten Radikalisierung technokratischer Eingriffe in die Politik und die Tarifautonomie konfrontiert“ sähen. Sie zögen sich vom Fiskalpakt über das Verfahren zur Erkennung und Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte „bis zur extremsten Form technokratischen Regierens, der Vollsuspendierung demokratischer Verhältnisse in den Krisenländern“. Der Linken schreibt er daher ins Stammbuch: „Die Kritik an der demokratischen und sozialen Zerstörungskraft all dieser Eingriffe ist für linke Politik eine Selbstverständlichkeit. Sie verbleibt allerdings an der Oberfläche der Probleme, wenn sie verkennt, dass die neuen Eingriffe in Demokratie und Lohnfindung in die Logik des Euro selbst eingepreist sind, statt lediglich auf ,falschen’ Kräfteverhältnissen zu beruhen.“ Will heißen, der Euro ist das Übel.
Davon will eine andere Gruppe linker Politiker um den Wirtschaftswissenschaftler Axel Troost freilich nichts wissen. Gemeinsam mit Joachim Bischoff, Thomas Händel, Björn Radke und Harald Wolf wirbt Troost für einen Verbleib in der Gemeinschaftswährung. „Ist der Plan B – ein befreiender Grexit – eine bessere Entwicklungsperspektive?“, fragen die Fünf und warnen: „Die ,Rückkehr zur Drachme’ würde einen schlagartigen Absturz des Wertes der nationalen Währung bedeuten: nicht nur die Löhne und Renten würden um die Hälfte reduziert, auch die Sparguthaben halbiert.“
„Oliven, Feta und Tourismus reichen nicht“
Nach Lohnkürzungen von rund 40 Prozent und Rentenkürzungen von rund 44 Prozent in den letzten fünf Jahren stelle sich die Frage, wovon die Menschen dann leben sollen. „Umfassende Sozialprogramme aus Europa wären nötig, um die schlimmsten humanitären Folgen zu lindern. Experten halten diesen Weg für erheblich teurer als zum Beispiel eine Umschuldung oder die Entlastung Griechenlands von Zinsen und Tilgungsraten“, schreiben sie.
Es sei schlicht falsch, von abgewerteten eigenen Währung segensreiche Wirkungen zu erwarten. „Richtig ist, Exporte (Waren und touristische Dienstleistungen) würden preiswerter“, schreiben sie. „Aber von Oliven, Feta und Tourismus alleine kann Griechenland nicht leben, selbst wenn sie um 50 Prozent billiger würden.“ Importe würden dagegen voraussichtlich um das Doppelte teurer. Betroffen wären Produkte, die Griechenland selbst nicht oder kaum produziert wie Maschinen, Fahrzeuge oder IT-Technik. Eine dringend notwendige Modernisierung der griechischen Industrie und damit verbunden die Schaffung neuer Arbeitsplätze wären ihren Ansicht nach so gut wie nicht finanzierbar.
Mit solchen Aussagen ist die Gruppe um Troost nicht weit weg von den Argumenten von Union und SPD. Bislang hatten sie damit durchaus Einfluss in der Linkspartei. Sogar kapitalismuskritische Organisationen wie Attac pflegten diese Sprachregelung. Inzwischen sollen aber auch dort Papiere kursieren, die den Euro in ein anderes Licht rücken. Vieles deutet darauf hin, dass in der Linken eine Debatte losgebrochen ist, die sie so schnell nicht wieder los wird.