AfD-Basis verlangt Grundsätze

Leitlinien zur Europawahl sind ihnen nicht genug. Die Mitglieder der AfD schieben die Debatte über ein Grundsatzprogramm an. Ihr Wunsch nach Orientierung ist groß.

Von Programmatik hielt AfD-Chef Bernd Lucke anfangs nicht viel. „Wir sind die Partei des gesunden Menschenverstandes“, pflegte er zu sagen. Eine Zeitlang schien er damit durchzukommen. Doch spätestens nach der Bundestagswahl im September 2013 entspann sich unter den Mitgliedern eine muntere Debatte über Ehe, Familie, Kindererziehung, Islam, die Rechte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und Patriotismus.

Innerhalb der Partei bildeten sich christliche Gruppen, ein liberaler Flügel namens „Kolibri“, der konservative und liberale miteinander versöhnen wollte, und schließlich eine patriotische Plattform. Und all diese Gruppen machten nun Vorschläge zur Gesellschafts-, Energie- oder Außenpolitik. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen darüber, wie rechts oder wie liberal die Partei sein müsse oder dürfe.

Das Chaos ordnen

Zwar schrieb der Vorstand einige Papiere, es gelang ihm allerdings nicht, die Debatte zu lenken. Im Januar erarbeitete er dann sogenannte Leitlinien, mit denen er das Chaos wenigsten etwas ordnen wollte. Über diese Arbeit dann reifte die Erkenntnis, dass die Partei es dabei nicht belassen könne. Nach der Europawahl soll die AfD darum eine breite inhaltliche Debatte über ihre Grundsätze führen und so schließlich doch eine Programm-Partei werden.

„In der Diskussion über die Leitlinien ist das große Bedürfnis der Mitglieder deutlich geworden, der Partei ein Programm zu geben“, sagt Gustav Greve, Beisitzer im Bundesvorstand und mitverantwortlich für die Redaktion der Leitlinien. Voraussichtlich noch im Sommer werde die Programmarbeit beginnen. Dann soll eine Programmkommission gebildet werden, bei der die Vorschläge der Landesfachausschüsse zusammenliefen. In nun einem Jahr, so hofft Greve, könnte das Grundsatzprogramm einem Parteitag zum Beschluss vorgelegt werden.

Lucke aus der Schusslinie nehmen

Damit soll dann endgültig Ruhe einkehren, hofft der Vorstand. Dabei schwingt sicherlich auch die Erwartung mit, den Vorsitzenden Lucke ein wenig aus der Schusslinie zu nehmen, der in der Vergangenheit immer wieder mit Äußerungen, die seiner Ansicht nach Ausdruck des gesunden Menschenverstand waren, lenkend eingriff. So veröffentlichte er zu 3. Oktober 2013 zehn Thesen zum Islam oder verkündete nach Outing des homosexuellen Fußballers Thomas Hitzlsperger Fußballers, es sei wichtiger, sich um die Situation der Familien zu kümmern als darum, ob ein einzelner Fußballer schwul sei.

In der Partei erhielt er dafür nicht nur Zustimmung. Seither verließen zahlreiche Führungsmitglieder aus Landesverbänden die Partei, weil ihre Vorstellungen von einer Politik des gesunden Menschenverstandes sich als hinreichend anders herausstellten, als das, was Lucke darunter verstand.  Außerhalb der AfD heizte Lucke mit seinen Vorstößen die Debatte darüber, wo die AfD denn nun zu verorten sei, nur weiter an.

Wunsch nach Orientierung

Und mit jedem Rücktritt und jeder neuen Richtungsdebatte wuchs unter den Mitgliedern der Wunsch nach Orientierung. Sie wollen wissen, wofür die AfD außer ihrer Kritik an der Euro-Rettungspolitik steht. Sie wollen Sicherheit darüber, wie sich die Parteispitze in gesellschaftspolitischen und weltanschaulichen Fragen positioniert.  Kurz, sie wollen wissen, in welcher Partei sie eigentlich sind.

Irgendwann war auch Lucke klar, dass er diesem Wunsch nicht länger im Wegen stehen könne, und so kam es Anfang des Jahres zu den Leitlinien mit dem Ziel, der Partei im Europawahlkampf „eine Art Rahmen für die politische Arbeit an die Hand geben zu können“, wie die Partei auf ihrer Internetseite schreibt.

AfD als „Rechtsstaatspartei“

In der ersten Fassung der Leitlinien vom Januar heißt es unter anderem, in der Eurokrise hätten Rechtsstaat, Demokratie, Gewaltenteilung und das Prinzip der Subsidiarität Schaden genommen. Auch die Soziale Marktwirtschaft sei beschädigt, „weil es unsozial ist, Sparer und Steuerzahler für die Risiken verantwortungsloser Staaten und Banken in Haftung zu nehmen“. Darin bezeichnet sich die AfD als „Rechtsstaatspartei“, die „Kriminalität nicht duldet oder bagatellisiert“ und „Meinungsfreiheit und eine offene Diskussionskultur“ als „wichtiges Gut“ betrachte.

Eine „kinder- und elternfreundliche Familienpolitik“ sei von „entscheidender Bedeutung“, denn: „Solange die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland den Bestand nicht zu erhalten vermag, bejahen wir die Zuwanderung integrationswilliger und integrationsfähiger Einwanderer nach Deutschland.“ Allerdings müsse eine solche Zuwanderungspolitik nach „klaren Kriterien gesetzlich geordnet werden“. Alle Gruppen von Zuwanderern, die vergleichbare Qualifikationen aufwiesen, müssten gleiche Chancen haben.

1570 Rückmeldungen auf die Leitlinien

Diese Leitlinien waren nach dem Parteitag in Erfurt per Mail an die Mitglieder verschickt worden. Die Basis hatte eine Woche Zeit, Änderungswünsche und Einsprüche geltend zu machen. „Wir hatten 1570 Rückmeldungen“, sagt Greve. Das seien zwar deutlich weniger als die fast 5000 Antworten auf das Europawahlprogramm, aber immer noch eine gute Beteiligung. Inzwischen habe das Redaktionsteam die Änderungen eingearbeitet und erneut zur Abstimmung an die Mitglieder verschickt, die diese bis Ostersonntag kommentieren können. Dann gehen die Leitlinien erneut in die Redaktion, und auch die dritte Fassung wird den Mitgliedern nochmals zur Abstimmung zugeleitet.

„Die meisten Einwände, nämlich genau 108 Änderungswünsche, gab es zu Punkt 19“, sagt Greve. Der hieß wörtlich: „ (…)Den Anforderungen des Wirtschaftslebens müssen Grenzen gesetzt werden, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Freizeit sollte aktiv und gemeinschaftlich verbracht werden. Auch aus diesem Grund sind die Förderung des Vereinslebens, die Unterstützung der Künste und der Schutz der Natur wichtig.“

Viele Mitglieder hätten geschrieben, sie wollten sich von der Partei nicht vorschreiben lassen, wie sie ihr Privatleben zu gestalten hätten, so Greve. Aber so sei der Punkt ja auch gar nicht gemeint gewesen. Die Formulierung, räumte er jedoch ein, sei allerdings wohl etwas missverständlich gewesen.

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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