EU hebelt die Menschenrechte aus
Ein Bremer Professor, der einst Guttenberg des Plagiats überführte, erhebt nun in einer Studie schwere Vorwürfe gegen EU-Spardoktrin. Sie verstoße massiv gegen die Menschenrechte.
Die von der EU-Troika in den Krisenstaaten Europas durchgesetzten Sparmaßnahmen verstoßen gegen die Menschenrechte. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten der Universität Bremen. Erstellt wurde es im Auftrag der „Kammer für Arbeiter/innen und Angestellte für Wien“ von jenem Professor Andreas Fischer-Lescano, der einst den deutschen Verteidigungsminister Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg zu Fall brachte. Fischer-Lesacano hatte als erster Plagiate in Guttenbergs Dissertation aufgedeckt. Nun will er die EU-Austeritätspolitik zur Strecke bringen.
Die von der Troika verhängten Sparmaßnahmen griffen in „ganz vielfältiger Weise in die Grund- und Menschenrechte ein“, sagt er. Konkret nennt er „die Rechte auf Berufsfreiheit, Tariffreiheit und Arbeitsentgelt (…) das Menschenrecht auf Wohnung und soziale Sicherheit, auf Gesundheit, auf Bildung, auf Eigentum und auf gute Verwaltung“. Die Anordnungen der Troika hätten „neben den wirtschaftlichen Folgen auch tiefgehende Eingriffe in die sozialen und demokratischen Rechte der Menschen in den Krisenländern nach sich gezogen“.
Massiver Rückbau von Arbeitsrechten
Wörtlich schreibt Fischer-Lescano:
„Es kam u.a. zu einer umfassenden Absenkung von Mindestlöhnen, zu weitgehenden Eingriffen in die Pensionssysteme, zur Streichung von zusätzlichen Gehältern, zu einer Deregulierung der Arbeitsmärkte und zur Dezentralisierung der Tarifverhandlungen. Darüber hinaus wurden Privatisierungen auf den Weg gebracht, die auch zentrale öffentliche Dienstleistungen wie die Wasserversorgung und den öffentlichen Rundfunk betreffen. Hinzu treten Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme, die Bildungssysteme und die Gesundheitsversorgung.“
Das Gutachten stellt somit Grundrechtsverletzungen durch die Troika-Vorgaben in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen fest. Die Berufsfreiheit und Tariffreiheit der Arbeit werde durch die geforderte „Absenkung des Niveaus von Mindestlöhnen, durch die Kürzung von Zahlungsansprüchen und Urlaubszeiten, die Sanktionierung Arbeitssuchender, die Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Absenkung von Kündigungsschutzvorschriften und die Aushöhlung nationaler Tarifvertragssysteme durch die Einführung zeitlicher, räumlicher und personeller Beschränkungen im Hinblick auf die Geltung von Tarifverträgen“. Fischer-Lescano spricht von einem „massiven Rückbau fundamentaler Arbeitsrechte“ in den europäischen Arbeits- und Sozialmodellen, der „in massiver Weise die Ausübung der Menschen- und Grundrechte“ betreffe.
Einschnitte in die soziale Sicherheit
In den von Troika-Vorgaben betroffenen Staaten litten zudem die Rechte auf Wohnung und soziale Sicherheit. So verlange die Troika, dass kostenlose Beförderungsrechte und Familientransferleistungen gestrichen würden. Außerdem müssten die Staaten Arbeitslöhne und Pensionen „extrem“ reduzieren. Im Gesundheitswesen fordere die Troika eine Reduzierung der Zahl der Ärzte, eine Einschränkung der Kostenbefreiung bei Behandlungen und eine Erhöhung der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten und Medikamenten.
Dabei seien die rechtlichen Grundlagen für alle diese Eingriffe überaus zweifelhaft. So sei etwa der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) „außerhalb des Unionsrechts im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages eingerichtet“ worden. Die Sparmaßnahmen würden mit der Begründung verordnete, es läge ein Ausnahmezustand vor. Dazu meint Fischer-Lescano:
„Auch in der Finanzkrise sind die europäischen Organe und Institutionen zur Beachtung des Unionsrechts verpflichtet. Es gibt keinen Ausnahmezustand, der das Unionsrecht suspendiert.“
An anderer Stelle formuliert er, solange die Europäischen Verträge in Kraft seien, die Grundrechtecharta gelte und die regionalen und globalen Menschenrechtskonventionen verbindlich seien, könne „die Ordnung der Legalität nicht durch politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger suspendiert werden“. Schließlich seien die Maßnahmen der Krisenbewältigung „nicht unabhängig von der rechtlichen Normalordnung zulässig, sondern nur dann, wenn sie im Rahmen dieser Ordnung gerechtfertigt sind“.
Kritik am Europäischen Gerichtshof
Kritik übt Fischer-Lascano auch am Europäischen Gerichtshof (EuGH), der in der Finanzkrise in einer Reihe von Entscheidungen „deutliche Zurückhaltung geübt“ und so mit Blick auf die Austeritätspolitik den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta eingeschränkt habe. So habe der EuGH unter Berufung auf Art. 51 der Grundrechte-Charta im Fall der Umsetzung Troika-Vorgaben für Portugal, mit denen etwa Gehalts- und Pensionseinbußen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst und der Zugang zu Gesundheitsmaßnahmen festgelegt worden seien, „eine Anwendbarkeit der Charta ausgeschlossen“. All das sei nicht hinnehmbar.
„Das portugiesische Verfassungsgericht hat daher ganz zu Recht die Umsetzung einiger Klauseln im Memorandum der Troika mit Portugal für verfassungswidrig erklärt“, sagt der Bremer Professor.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte bereits im Mai 2012 auf die Gefahren der Sparpolitik hingewiesen. Vor allem die Sparmaßnahmen in Zeiten der Rezession umgesetzt werden müssten, sei dies für die betroffenen Bevölkerungen überaus schmerzvoll.
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
Die durch zahlreiche Verfassungsbeschwerden bekannt gewordene Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing geht in ihrer Kritik noch weiter. Sie spricht im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Troika von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Hassel-Reusing hatte deshalb bereits im November 2012 Strafanzeige gegen Unbekannt beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wegen der Schädigung der Gesundheit der griechischen Bevölkerung gestellt (Az. OTP-CR 345/12).
Die Kernforderung ihrer acht Verfassungsbeschwerden ist die Lösung der Finanzkrise am Maßstab der verfassungsmäßigen Ordnung des jeweiligen Landes und der universellen Menschenrechte. „Derzeit orientieren sich die Vorgaben der Troika und die Maßnahmen der betroffenen Länder jedoch am Maßstab der Strenge im Sinne der ,Praxis’ bzw. ,Modalitäten’ des IWF“, sagt sie. Wohin diese Art Reformen führten, habe die IWF-Politik unter anderem in Südamerika gezeigt, nämlich zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten.
Ecofin soll Stellung nehmen
Hassel-Reusing schrieb den Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin) an und ersuchte um eine Klarstellung zu den im Mai 2010 veröffentlichten Schlussfolgerungen, wonach die Auflagen für die Krisenländer in ihrer Strenge der Praxis des IWF bzw. dessen „Modalitäten“ entsprechen sollten. „Meiner Ansicht nach ist die Strenge des IWF nicht mit den universellen Menschenrechten vereinbar“, sagt sie. Ihrer Ansicht nach ist das Ecofin-Papier zum Gipfel der Finanz- und Wirtschaftsminister vom 9. Mai 2010 „das gewichtigste bekannte Dokument zur Auslegung“, wie streng die Auflagen im Europäischen Finanzierungsmechanismus, also bei der Griechenland-Hilfe, dem EFSM, dem EFSF und dem ESM sein sollten. Nach Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention seien völkerrechtliche Verträge nichtig, die mit den universellen Menschenrechten oder besser mit zwingendem Völkerrecht nicht vereinbar seien.
Hassel-Reusing warnt zudem vor einer künftigen EU-Wirtschaftsregierung mit einem verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt, mit Ungleichgewichtsverfahren und haushaltsmäßiger Überwachung. Mit dem Ungleichgewichtsverfahren könne man auch Staaten auch ohne akutes Liquiditätsproblem und ohne übermäßiges Defizit Auflagen machen. Bei der haushaltsmäßigen Überwachung kann die EU-Kommission in die Haushaltsentwürfe von Bund und Ländern eingreifen und EU-Fördermittel für Sanktionen bei Nichterfüllung von Auflagen aus dem Europäischen Finanzierungsmechanismus und der europäischen Wirtschaftsregierung zu Lasten der Bevölkerung instrumentalisieren.