Deutsche sind der Krise überdrüssig

Politiker ermahnen uns, „optimistischer in die Zukunft zu blicken“. Ökonomen liefern dazu günstige Wirtschaftsprognosen. Füge wir uns in das Unausweichliche!

 

Die Euro-Krise hat ihren Schrecken verloren. Zumindest sind die Zeiten alarmierend hoher und dennoch weiter steigender Zinsen und Risikoprämien auf Staatsanleihen von europäischen Krisenstaaten vorbei – vorerst jedenfalls. Der Alarmismus der Presse und der Medien ist verschwunden, über Massenproteste wird praktisch nicht mehr berichtet, was nicht heißt, dass es keine mehr gibt. Und vielleicht ist überhaupt nur genau dies der Grund dafür, dass die Krise von vielen als abgehakt oder doch zumindest als nicht mehr gefährlich wahrgenommen wird – gerade in Deutschland.

Die Staatsschuldenprobleme in Europa sind trotz mehrerer Runden austeritätspolitischer Maßnahmen in den Krisenstaaten nicht wirklich gelöst, auch wenn die Regierungen der betreffenden Länder sowie die Vertreter der Euro-Gruppe gerne den Eindruck vermitteln, man sei auf einem guten Weg und auch mit der europäischen Wirtschaft gehe es langsam wieder bergauf.

In die Knie gezwungen

Nur am Rande: Herr Shinzo Abe sagt in Japan ja genau dasselbe. Die Austeritätspolitik hat die europäischen Volkswirtschaften, in denen sie angewendet wird, in die Knie gezwungen. Die Arbeitslosigkeit ist dort überall extrem angestiegen, sehr viele kleine und mittelgroße Firmen sind aufgrund der eingebrochenen Nachfrage pleitegegangen. Das trifft selbstverständlich auch die Exporteure aus Deutschland und anderen Mitgliedstaaten.

Für die betroffenen Menschen in diesen europäischen Staaten jedenfalls hat die Krise ihren Schrecken nicht verloren. So viel steht fest.

Deutsche Abhängigkeit von China

Außerdem schwebt Europa natürlich nicht im luftleeren Raum. Die wirtschaftliche Entwicklung sowie mögliche neue Krisensituationen in anderen Weltregionen, zum Beispiel Japan mit den riskanten „Abenomics“ und China mit seiner Immobilienblase, dem Berg fauler Kredite, den massiven Umweltproblemen, insbesondere in den Großstädten (Smog) und dem sich sukzessive abkühlenden Wachstum, beeinflussen oder limitieren die weitere wirtschaftliche Entwicklung Europas.

Ein Schweizer Banker sagte kürzlich in einer Gesprächsrunde der Neuen Zürcher Zeitung, die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands sei ein Derivat der Nachfrage Chinas. Das mag etwas überspitzt ausgedrückt sein, weist aber sehr zutreffend auf die hohen Abhängigkeiten großer deutscher Exporteure, etwa der Autohersteller, und damit des deutschen Exportmodells von der Entwicklung in China hin. Insofern ist es auch eine gelungene Metapher, denn die deutsche Wirtschaft „wettet“ auf China.

Garantie für Krisen

Nur weil die Informationen zur wirtschaftlichen, finanziellen und – nicht zu vergessen – der politischen Entwicklungen in Japan und vor allem China in der deutschen Presse und in den Medien nur sehr spärlich fließen, heißt das selbstverständlich nicht, dass sie nicht wichtig für uns und die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und hierzulande sind. Und hohe Unternehmenskonzentration und starke Vernetzung auf den globalen Märkten sowie hohe wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeiten sind heute eine Garantie für Krisen, wie wir sie infolge der Lehman-Pleite 2008 erlebten. Was der Auslöser ist und wo, geographisch gesehen, sie ausgelöst werden, ist egal.

Regierungspolitiker in Bund und Ländern haben die Deutschen zum Jahreswechsel, ja, vielleicht muss man sagen „angemahnt, optimistischer in die Zukunft zu blicken. Es sei nicht alles so schlecht, wie es die Deutschen gerne redeten. Schließlich liege etwa die Beschäftigung in Deutschland auf Rekordniveau. Die Ökonomen von diversen Instituten haben mit günstigen Wirtschaftsprognosen für 2014 bereits zuvor ihren Teil zur Verbesserung der Stimmung beigesteuert.

Alle Warnungen ausgesprochen

Und ja, seien wir ehrlich, sind wir es nicht auch leid, das fortlaufende Krisengetöse, die immer neuen Warnungen vor dem bevorstehenden „Untergang“, die Diskussionen über die Ursachen und was man unbedingt anders machen müsste?

In der Tat scheint die Sache ausdiskutiert zu sein. Alle Warnungen wurden scheinbar ausgesprochen, alle Aspekte der Krise, alle Fakten und Argumente für und wider die Krisenpolitik, die in Europa verfolgt wird, wurden wieder und wieder genannt und durchgekaut. Doch die Schuldenstaaten sind nicht pleitegegangen, die Währungsunion ist nicht auseinandergebrochen, der nächste Crash ist ausgeblieben und das bereits so lange schon, dass auch die Warnungen der hartnäckigsten Rufer inzwischen entweder verstummt sind oder ungehört im Nichts verhallen.

Zurück zum Optimismus

Anders ausgedrückt: Wir sind wieder bereit, die Dinge optimistisch zu sehen, weil wir sie nicht mehr länger pessimistisch sehen wollen. Oder: Wir sind wieder an jenem Punkt angelangt, an dem uns eine „plötzlich“ eintretende Krise „überraschen“ kann.

Das hat unbestreitbar Vorteile für die Euro-Retter und Krisenbekämpfer. Sie können uns wieder erzählen, die Krise habe niemand vorhersehen können und dass es eine neue, andere Krise sei, weil man die alte ja erfolgreich in den Griff bekommen hatte. Sie könnten es, weil wir erst das Interesse an der Krise und der Krisenpolitik und dann den Überblick verloren haben.

Fügen wir uns in das Unvermeidliche

Wozu also all das Krisengerede? Fügen wir uns in das Unvermeidliche. Lassen sie uns die Euro- und Schulden-Krise für beendet erklären, so wie Ronald Pofalla die NSA-Affäre für beendet erklärt hat. Lassen Sie uns Urlaub von der Krise machen. Wir können uns dann ja wieder mit neuer Energie darüber aufregen, wenn´s erneut losgehen sollte und brauchen uns die Zeit bis dahin nicht mit dem mühseligen Verfolgen und Diskutieren der Fakten und der weiteren wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Entwicklungen in Europa, den USA, China und anderswo abquälen.

Wir hätten wieder viel mehr Zeit für schönere Dinge, könnten uns vom Krisenstress erholen. Das wäre doch was oder nicht!?

„Win-win“-Situation

Überraschung und Ratlosigkeit von Fachleuten und Politikern wirken auf uns zudem viel überzeugender, wenn wir nicht informiert sind. Haben Sie den Mut zur Informationslücke! Denken Sie nicht immer nur an sich, sondern bitte auch mal an all die Verantwortlichen, die Sie gewählt oder auch nicht gewählt haben, die sich wegen der Euro- Krise ständig „für uns“ den Kopf zerbrechen müssen.

Es wäre eine echte „Win-win“-Situation. Die Verantwortlichen wollen es, wir wollen es.
Aber wir sind nun einmal Deutsche und brauchen es deswegen schon amtlich. Lassen Sie uns also darauf hoffen, dass vielleicht Frau Merkel oder ein Mitglied der neuen Bundesregierung sich einen Ruck gibt und uns erlöst und die Krise offiziell für beendet erklärt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes und gutes Neues Jahr. Lassen Sie sich überraschen.

Über Stefan L. Eichner

Als Ökonom beschäftigt sich Stefan L. Eichner seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 stellte er in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vort, die er "evolutorischer Wettbewerb" nennt. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel