Merkels Allmacht und Steinbrücks dunkle Geheimnisse

Deutschland hat längst eine Allparteien-Regierung. Und es hat einen SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück, der Mitglied einer Finanz-Lobby-Organisation war, deren Spuren im Internet jetzt sorgfältig gelöscht werden...  

Selten hat ein Wahlsieg die politische Lage so wenig verändert wie jener hauchdünne Erfolg von SPD und Grünen jüngst in Niedersachsen. Und nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik ist wo wenig über die Ursachen der Niederlage gesprochen worden. In früheren Jahren hätte die Abwahl einer von der Kanzler-Partei geführten Landesregierung zu Beginn des Bundestagswahljahres für erhebliche Diskussionen über den Kurs der Bundesregierung nach sich gezogen. Vom sonntäglichen Journalisten-Stammtisch auf Kosten des Gebührenzahlers in der ARD bis hin zur letzten bierseligen Runde im bayerischen Wald wäre man der Frage nachgegangen: Was hat diese Bundesregierung falsch gemacht?

Das Märchen von den Leihstimmen

Doch diese Frage stellte nach der CDU-Wahlniederlage in Niedersachsen niemand. Demoskopen, Journalisten und Politiker gaben den Liberalen die Schuld an der Niederlage. Sie hatten Stimmen gewonnen, die der CDU fehlten. Journalisten, Demoskopen und Politiker erfanden sogar das Märchen von der Leihstimmenkampagne der CDU für die FDP, um die Niederlage zu erklären. Alle haben es voneinander abgeschrieben. Erst Tage später räumte der Erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, ein: „Eine Leihstimmenkampagne der CDU hat es nie gegeben.“ Es ist unfassbar, dass so etwas in einer Zeit der vollständigen medialen Durchdringung der Gesellschaft noch möglich ist.

Angela Merkel haben die Ereignisse von Niedersachsen jedenfalls überhaupt nicht geschadet. Sie hat nicht den geringsten Grund, die Hoffnung auf die Wiederwahl im September fahren zu lassen. Nach wie vor ist kein Politiker so beliebt wie sie. 65 Prozent der Deutschen sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Das ist eine Steigerung um fünf Prozentpunkte. Zu diesem Ergebnis kommt der ARD-Deutschlandtrend im Januar.

Angst vor Hannelore Kraft

In dieser Rangliste taucht die SPD erst an vierter Stelle nach Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Finanzminister Wolfgang Schäuble auf. Und auf dem vierten Platz rangiert nicht etwa der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, sondern die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die allein schon wegen ihrer Wahlerfolge die einzig legitime Herausforderin von Angela Merkel gewesen wäre.

Vor Hannelore Kraft hatte sich Merkel auch am meisten gefürchtet. Denn sie bringt viele Eigenschaften mit, die auch Merkel auszeichnen. Beide sind uneitel, zurückgenommen, beherrscht und in der Lage zuzuhören. Das schätzen die Wähler. Die beiden sind das Gegenteil des aufgeplusterten Peer Steinbrück, der als Dampfplauderer für Vorträge über eine Finanzkrise, zu der er selbst einiges beigetragen hat, Millionen-Honorare  kassierte, und dann noch über das angeblich zu niedrige Gehalt eines Bundeskanzlers nörgelte. Er tat fast so, als müsse der Wähler ihm dankbar sein, wenn er den Job zu den Merkel-Konditionen übernähme. Merkel bekommt übrigens 289 986,84 Euro im Jahr.

Applaus im Bankenviertel

Außerdem ist Steinbrück keine inhaltliche Alternative zu Merkel. In der großen Koalition standen sie für dieselbe Politik. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sozialpolitische Vorstöße des SPD-Spitzenkandidaten sind weder bekannt noch zu erwarten.

Für seine wirtschaftspolitischen Überzeugungen erhält Steinbrück im Frankfurter Bankenviertel weitaus mehr Applaus als bei Arbeitnehmern. Über eine möglicherweise sogar gefährliche Nähe zur Finanzindustrie schreibt das Online-Portal Lobbypedia, das „Wissen, Daten, Fakten und Zusammenhänge über die Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit“ sammelt: „Insbesondere die Aktivitäten Steinbrücks rund um die Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD) verdeutlichen die Vorwürfe.“

Steinbrücks faule Papiere in der WestLB

Die Initiative Finanzstandort Deutschland war eine Lobbyorganisation ohne Rechtsform. Mitglieder waren unter anderen die Deutsche Bank, Goldman Sachs, die Commerzbank und die Citigroup. „Während ihres Bestehens setzte sich die IFD für eine Deregulierung der Finanzmärkte ein und warnte noch 2008, im Zuge der Finanzkrise, vor einer Überregulierung des Finanzsektors seitens der Politik.Auch das Bundesfinanzministerium war unter der Leitung Steinbrücks Mitglied der Initiative“, schreibt Lobbypedia. Und Wikipedia weiß: „Seit 2011 ist die Initiative nicht mehr aktiv, Spuren im Internet wurden weitestgehend gelöscht.

Und ist da noch Steinbrücks Rolle beim Desaster der Westdeutschen Landesbank (WestLB). Derzeit soll ein Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages den Niedergang der WestLB beleuchten. Steinbrück war zunächst als Landesfinanzminister, dann als Ministerpräsident vom Februar 2000 bis zu seiner historischen Wahlniederlage 2005 unmittelbar für die Machenschaften der WestLB verantwortlich. Vor allem in seiner Zeit als Ministerpräsident kaufte die WestLB massenhaft jene faulen Papiere, an denen sie letztlich zugrunde ging.

Politik ohne Zukunft

So wenig dieser Kandidat Steinbrück also eine Alternative zu Merkel sein kann, so wenig ist es die SPD. Gemeinsam mit CDU, FDP und den Grünen haben die Sozialdemokraten im Bundestag vorbehaltlos die Europapolitik der Bundesregierung unterstützt. Mit dieser Politik haben sie sich selbst alle Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung genommen. Denn diese Politik belastet den deutschen Steuerzahler nun mit Kredit-Risiken in Billionenhöhe, die spätestens ab 2014 in barer Münze beglichen werden müssen. Insgeheim arbeitet das Bundesfinanzministerium bereits an drakonischen Sparprogrammen. Die SPD will die Steuern erhöhen. Letztlich läuft beides aufs Gleiche hinaus.

Genaue das ist auch der Grund, warum es nach der Niedersachsen-Wahl keine Debatte über die Politik der Bundesregierung gab. Es konnte sie gar nicht geben, weil es so gut wie keine Unterschiede zwischen den Parteien mehr gibt. Die Abstimmungen im Bundestag haben gezeigt, dass Merkel bereits heute die Kanzlerin eine Allparteien-Koalition ist. Streng genommen gibt es keine Opposition mehr, und damit hat der Wähler in Wahrheit auch keine Wahl. Egal, für wen er stimmt, er wählt – mit Ausnahme der Linken – mehr oder weniger dieselbe Parteipolitik.

Gesucht wird ein Kapitän

So gesehen, ist auch das Zweckbündnis zwischen Union und FDP längst Geschichte. Merkel braucht die Liberalen gar nicht, und sie wird sie im September auch ganz sicher sterben lassen, sollten sie aus eigener Kraft nicht mehr in den Bundestag einziehen. Entscheidend ist in dieser Allparteien-Konstellation nur noch, wer als Kanzler oder Kanzlerin den Kurs vorgibt.

Wenn es Merkel also gelingt, diesen Umstand deutlich hervorzuheben und die Wahl zu einer Persönlichkeitswahl zwischen ihr und Steinbrück zu machen, hat sie schon gewonnen. Denn anders als in Niedersachsen, wo mit Stephan Weil ein zwar farbloser, aber unbelasteter Sozialdemokrat antrat, der zum Erfolg weder substantiell beitrug noch ihn schmälerte, ist Steinbrück eine echte Belastung für den SPD-Wahlkampf. Seine Aufsichtsratspöstchen und seine Verstrickung in die Finanzkrise hängen den Sozialdemokraten wie ein Mühlstein am Hals. Außerdem: Wer will schon einen zum Kanzler, der viel lieber Sparkassen-Präsident wäre?

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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