Die EU will Europa zur Waffenschmiede der Welt machen
Weil die Finanzkrise jetzt auch die Konjunktur der wirtschaftlich starken Länder in den Abgrund reißt, will die EU-Kommission die Krise mit Waffen-Verkäufen abfedern. Die Friedensnobelpreis-Träger im Gleichschritt mit der Rüstungsindustrie.
Vor wenigen Tagen berieten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wieder einmal über die wirtschaftliche Lage in Europa. Die ist alles andere als rosig, denn nach den Südländern greift die Rezession nun auch auf die starken Nordländer über. GEOLITICO hatte dies bereits im August prognostiziert, als die Wirtschaftsforschungsinstitute noch von satten Wachstumszahlen träumten. Damals wiesen nämlich die rückläufigen Containerumschläge in den europäischen Häfen (HARPEX) und die weltweit sinkenden Rohstoff-Frachten (Baltic-Dry-Index) in eine andere Richtung.
Im Herbst dann ersetzten die großen Wirtschaftsforschungsinstitute ihre positiven Zukunftserwartungen durch realistischere Negativ-Prognosen. So schreibt das Kieler Institut für Weltwirtschaft für Deutschland:
„Das schwache außenwirtschaftliche Umfeld und die Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik zur Bewältigung der Krise im Euroraum belasten weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Insgesamt haben sich die Konjunkturaussichten gegenüber unserer Herbstprognose deutlich eingetrübt. Für das kommende Jahr prognostizieren wir einen schwachen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um lediglich 0,3 Prozent (gegenüber 1,1 Prozent in der Herbstprognose). Für das übernächste Jahr erwarten wir eine Expansion um 1,5 Prozent – auch dieser Wert bleibt unter unserer bisherigen mittelfristigen Projektion zurück.“
Inzwischen rudert auch die Bundesregierung zurück. „Die Zeiten werden rauer“, sagt Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Im kommenden Jahr werde sich die Konjunktur abschwächen. Vor allem die Unruhe in der Eurozone verunsichere die Unternehmen. Investitionen würden nun eher zurückgehalten.
Auf dem EU-Gipfel zu Beginn des Monats machten sich die Staats- und Regierungschef folglich Gedanken darüber, wie sie den drohenden Wachstums-Einbruch zumindest abschwächen könnten. Viel ist ihnen dabei wohl nicht eingefallen. Allerdings überraschte Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei der anschließenden Pressekonferenz mit einer überraschenden Aussage, die offenbar darauf abzielt, Europa aus der Not heraus zur Waffenschmiede für die Welt zu machen.
„Der Verteidigungssektor ist, abgesehen von seiner politischen Relevanz, entscheidend für unseren Export, für Spitzenforschung, und schafft Wachstum und Jobs für Hochqualifizierte“, sagte Barroso, was den ARD-Korrespondenten zu der spontanen Bemerkung verleitete, dies sei eine bemerkenswerte Aussage nur wenige Tage nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU.
Ansonsten blieb die Ankündigung des Kommissions-Präsidenten weitgehend unbemerkt. Dabei war sie wahrlich kein Schnellschuss, sondern wohl überlegt. Bereits im März hatten Daniel Calleja, Generaldirektor der Generaldirektion Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission und Pierre Delsaux, stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion „Markt“, ein Papier zur Lage und Bedeutung der Rüstungsindustrie in Europa vorgelegt. Titel: „Defending European defence: The Commissions role“.
Der Aufsatz beginnt mit den Worten, Europa sei mit einer schweren Krise konfrontiert. Die Staaten litten unter der Verkettung von Finanzkrise und wirtschaftlichem Absturz. Es sei folglich wenig überraschend, dass viele Staaten ihre Verteidigungsausgaben reduziert hätten. Und es gebe wenig Hoffnung, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern werde. Ausbleibende Investitionen für Verteidigung und für Forschungsprogramme der Rüstungsindustrie würden nun die Frage aufwerfen, ob Europa in der Lage sei, die nächste Waffengeneration zu entwickeln und herzustellen.
In einem weiteren Papier „Defence industry and Markets Task Force“ weist die Kommission auf die wirtschaftliche Bedeutung der Verteidigungsindustrie hin. Noch könnten Ausfuhren in Drittländer die schrumpfenden Verteidigungsausgaben in Europa kompensieren. Allerdings müsse sich die europäische Industrie sich langfristig weitaus stärker auf Märkte „für Verteidigungsgüter mit einem starken Wachstumspotential wie Indien und Brasilien“ ausrichten. Nur so sei die auch die Wettbewerbsfähigkeit verwandter Bereiche etwa in der Elektronikindustrie oder auch der Raumfahrt zu halten.
Allerdings sind diese Märkte heftig umkämpft. Denn auch die US-Rüstungsindustrie suche nach einer Kompensation für ausbleibende Aufträge der US-Regierung. Ohne Investitionen in neue Produkte hätten es europäische Unternehmen schwer gegen diese Konkurrenz. Aus diesem Grund fordern die Autoren finanzielle Unterstützung der europäischen Industrie: „Auf lange Sicht kann die Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten nur auf der Grundlage eines funktionierenden europäischen Heimatmarktes erhalten werden.“
Ganz im Sinne hat die Bundesregierung die Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter bereits deutlich angehoben. Deutsche Waffenhersteller dürfen mehr Panzer, Gewehre und Kriegsschiffe verkaufen als je zuvor. Kein Zweifel: Deutschland und Europa wollen mit dem Handel von Waffen raus aus der Krise. Denn die gehen immer.