Ab heute herrscht der ESM
Der ESM nimmt das Geld der Bürger, und die Frierenden und Hungernden in Griechenland, Portugal und Spanien sollen weiter sparen. Trotzdem glauben die Politiker, sie hätten alles richtig gemacht.
Um 15 Uhr am heutigen Tag wird sich Europa entscheidend verändern, denn heute machen die Finanzminister der Euro-Länder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zur weltweit mächtigsten Finanzinstitution.
Wie einst die weltweit größten Banken gegen Ende der Weimarer Republik zur Regelung der deutschen Reparationszahlungen die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit Sitz in Basel schufen, so schaffen Banken und Politik heute den ESM als Herrschaftsinstrument über die europäischen Finanzen. Über den ESM greifen sie ein in die nationalen Haushaltsrechte, diktieren Sparvorgaben und Schuldzahlungen, hebeln also de facto die Demokratie aus. Dieser Tag ist ein wahrhaft historischer für das Euro-Europa.
Im Angesicht der nahen Zukunft regt sich erschrocken erstmals auch das juristische Gewissen und fordert hilflos Recht und Gesetz auch für die Herrscher und Mitarbeiter des ESM.
„Bevor die Aufgaben des ESM wie geplant auf die direkte Rekapitalisierung von Banken ausgeweitet werden, sollte die Immunität vor Gerichtsverfahren jeder Art für den ESM und seine Mitarbeiter gestrichen werden“, sagt der Richterbund-Vorsitzende Christoph Frank. Ein Brief mit den Bedenken des Verbandes sei an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU), EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker sowie EU-Justizkommissarin Viviane Reding versandt worden.
Geradezu lächerlich ist das Geschrei der Richter jetzt, da es nichts mehr zu verhandeln gibt. Der ESM ist eine rechtsfreie Festung. Sein Eigentum und seine Vermögenswerte genießen uneingeschränkten Schutz vor Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung oder anderen Zugriffen durch Behörden und Gerichte.
Er nimmt das Geld der Bürger, aber die Bürger besitzen nicht das Recht, es zurückzuverlangen. 700 Milliarden Euro müssen sie ihm zahlen, und bis zu 500 Milliarden Euro kann er davon in die Finanzmärkte pumpen.
Und die Frierenden und Hungernden in Griechenland, Portugal und Spanien sollen weiter sparen. „Meine größte Sorge ist, dass einige Krisenländer nicht die politische Kraft haben, den schmerzhaften, aber wirksamen Reformkurs bis zum Ende durchzuhalten“, sagt der deutsche ESM-Chef Klaus Regling.
Sie fürchten, dass die Bürger nicht länger stillhalten, sondern tatsächlich aufstehen. In 57 spanischen Städten demonstrierten gestern wieder Zehntausende Menschen gegen das drakonische Spardiktat. In Griechenland werden es Hunderttausende sein, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel morgen in Athen eintrifft.
Aber die Märkte werden jubeln, die Kurse nach oben schießen. Und die Politiker werden denken, sie hätten alles richtig gemacht.