Über Lügen, Mördertrupps und Machtinteressen in Syrien

Seit Wochen und Monaten sind Berichte aus Syrien fester Bestandteil jeder Nachrichtensendung. Immer heißt es, Rebellen kämpften gegen das Regime von Baschar al-Assad, um dem Volk die Demokratie zu bringen. Ausführlich werden in den Meldungen angebliche Gräueltaten des Regimes beschrieben. Über die Rebellen erfährt der Fernsehzuschauer oder Leser, dass diese Assads Soldaten heftigen Widerstand leisten. Grund genug also, sich die Lage in Syrien einmal genauer anzuschauen.

Und schnell wird deutlich, dass es durchaus Darstellungen und Einschätzungen des Geschehens gibt, die deutlich von den gängigen Schilderungen abweichen. So hinterfragte etwa der unter anderem für die „Welt“ arbeitende Nahost-Korrespondent Alfred Hackensberger am 18.Juli 2012 auf seinem Blog die offiziellen Angaben zum Massaker in Tremse, einem kleinen Dorf nahe der Stadt Hama. Angeblich sollen dort Soldaten der syrischen Armee über 250 Menschen getötet haben, darunter viele Frauen und Kinder. Das behaupten die Regimegegner der „Freien Syrischen Armee (FSA). Hackensberger schreibt: „US-Aussenministerin Hillary Clinton sprach aufgebracht von «unzweifelhaften Beweisen, dass das syrische Regime absichtlich unschuldige Zivilisten tötete.» Doch was wissen wir tatsächlich über das Massaker von Tremse?“

Wer seinen Beitrag aufmerksam liest,  der fragt sich, auf welcher Informationsgrundlage  die US-Außenministerin die Lage einschätzte. „Doch die Berichte der Rebellen werfen Fragen auf“, so Hackensberger. „Wie üblich veröffentlichten die Medienverantwortlichen der Aufständischen zwar Videos im Internet. Sie zeigen die Leichen von etwa 15 jungen Männern, alle im kampffähigen Alter. Einer von ihnen scheint eine schusssichere Weste zu tragen. Es ist das erste Mal, dass die Rebellen keine drastischen Bilder von ermordeten Frauen und Kinder ins Netz stellten. Offensichtlich existieren sie nicht, denn bei allen anderen, ähnlich tragischen Vorkommnissen hat man darauf nicht verzichtet.“
Widersprüche gebe es auch bei der Dokumentation der Opfer durch oppositionelle Organisationen. Hackensberger: „Sollten Teile der Rebellen vorschnell von einem Massaker an unschuldigen Zivilisten gesprochen haben? Schließlich wissen  Sie, dass jede weitere Gräueltat, die dem Regime von Präsident Bashar Assad angelastet wird, sie einer westlich geführten militärischen Intervention einen Schritt näher bringt. Ihr Credo lautet offenbar: Assad muss fallen, auch wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt.“

Die Wahrheit ist ja bekanntlich das erste Opfer im Krieg. Und in Syrien herrscht Krieg. Die Frage ist nur, wer dort gegen wen kämpft. Wer sind die sogenannten Aufständischen, die sich selbst sogar als Armee bezeichnen? Wer finanziert sie? Wer liefert ihnen Waffen?

Bereits Anfang Mai 2012 wagte UN-Generalsekretär UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine klare Aussage zu Syrien, für die er umgehend gescholten wurde. In einer Rede in New York machte er die islamistische Terror-Organisation Al-Qaida für Anschläge in Syriens Hauptstadt Damaskus mit insgesamt 55 Toten verantwortlich.

Am 1. August 2012 lieferte eine UN-Mitarbeiterin neue Belege für eine massive Gewaltintervention von außen. In einer E-Mail an die Nachrichtenagentur AFP schrieb sie über die Kämpfe in der Stadt Aleppo. Diese seien „sehr besorgniserregend“. Und weiter: „Wir haben jetzt die Bestätigung, dass die Opposition in Aleppo über schwere Waffen, darunter Panzer, verfügt.“ Die Bevölkerung habe angesichts der Kämpfe vorübergehend Zuflucht in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden in sicheren Stadtteilen gesucht. Es gebe Engpässe bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Gas.

Die Rebellen kämpfen mit Panzern! Die Nachricht der UN-Mitarbeiterin zerstörte endgültig das Bild, dass die Medien bislang von den Kämpfen in Syrien zeichneten: Hier das böse Regime, dort die für Freiheit und Demokratie kämpfende syrische Opposition. Nur ausgebildete Soldaten können Panzer fahren. Das heißt, in Syrien kämpfen entweder Söldner oder Soldaten anderer Länder, die ein machtstrategisches Interesse am Sturz von Präsident Assad haben.

Etwa zeitgleich mit der E-Mail der UN-Mitarbeiterin tauchte auf YouTube ein Video auf, das offenbar die Hinrichtung von Anhängern der Assad-Regierung durch Rebellen zeigt. Einer der Gefangenen ist fast nackt, sein Gesicht blutüberströmt. Er soll zum Stamm al-Berri gehören, der Assad angeblich treu ergeben ist. Wie es heißt, hätten die al-Berri die syrische Armee im Kampf gegen die Rebellen unterstützt. Der Mann mit dem blutüberströmten Gesicht und andere werden an eine Wand gestellt und von den Kugeln der Rebellen durchsiebt. „Gott ist groß“ rufen die Täter während sie schießen.

Ist ein Zufall, dass der UN-Sondergesandte Kofi Annan am Tag nach diesen Meldungen zurücktritt? Den bisherigen Darstellungen der Lage im Land war jedenfalls nun die Grundlage entzogen. Und damit auch den Aussagen der fragwürdigen „syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in London. Sie sei, schrieb Jens Blecker auf ikNews bereits am 23. Juli, „ein Einmannbetrieb in London“ und „sorgte mehr als einmal für Aufsehen durch leicht widerlegbare ,justierte und falsche Nachrichten”.

Über „Wahrheiten und Lügen“ im Zusammenhang mit Syrien schrieb auch der französische Journalist Thierry Meyssan. Er stellte unter anderem fest, es habe keine mit Ägypten oder Tunesien vergleichbaren friedlichen Demonstrationen gegeben. Auch habe das Regime – anders als im Westen berichtet – nicht mit scharfer Munition auf die Demonstranten geschossen. Bislang seien kaum syrische Soldaten desertiert, dafür aber unzählige „Mordgeschwader“ ins Land eingedrungen. Er schreibt von einem Einsatz von „Söldnern und Spezialtruppen, um das Land zu destabilisieren“.

In einem aktuellen Video geht Meyssan sogar soweit, dass er behauptet, entgegen den Aussagen westlicher Medien habe das syrische Volk der Armee im Kampf gegen die bewaffneten Rebellen geholfen.

Nachdem kaum noch zu verheimlichen ist, was tatsächlich in Syrien geschieht, kommt eine bestätigende Meldung aus Washington. US-Präsident Brack Obama gab dem Geheimdienst CIA einen Geheimauftrag für die Intervention in Syrien, berichtete CNN. Der „Spiegel“ schreibt in seinem jüngsten Heft, das Emirat Katar, das bereits aktiv den Kampf gegen Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi unterstützte, versorge nun die syrischen Rebellen mit Waffen. Und die deutsche Regierung wiederum wolle Katar mit Panzern versorgen.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Syrien unter dem Regime von Baschar al-Assad ist eine Diktatur. Das Regime war und ist extrem gewalttätig. Aber das hat die Welt über Jahrzehnte nicht weiter gestört. Jetzt gibt es offenbar das starke Bedürfnis, Assad aus dem Amt zu jagen. Es geht wohl darum, Syrien aus dem Bündnis mit Iran und Russland zu lösen und die Machtstatik in der Region zu verändern. Dafür nehmen alle Beteiligten sogar die Gefahr eines Flächenbrandes in Kauf. Der Aufbau einer Demokratie spielt dabei ganz sicher keine Rolle.

Günther Lachmann am 3. August 2012

 

 

 

 

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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