Bürger-Brandbrief gegen den ESM an Kanzlerin Merkel
Wenige Tage vor den Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt unternehmen Kritiker letzte Versuche, das Vorhaben doch noch zu verhindern, mindestens aber verzögern zu können. Unter anderem wenden sich jetzt 40 vornehmlich aus Forschung und Wissenschaft kommende ESM-Gegner in einer „Außerparlamentarischen Großen Anfrage“ an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Einige der Unterzeichner repräsentieren verschiedene Protestbewegungen wie das Bündnis Bürgerwille, das Aktionsbündnis Direkte Demokratie e.V., die Zivile Koalition e.V., die Freien Wähler, die Partei der Vernunft und die Mach Mit Partei.
„Frau Bundeskanzlerin, halten Sie ein!“, schreiben sie. „Das deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, umfassend über mögliche Alternativen zum ESB und die Beweggründe Ihrer Politik informiert zu werden. Bedauerlicherweise hat keine Fraktion im Deutschen Bundestag dieses Recht eingefordert.“
Die Unterzeichner seien getrieben von „der tiefen Sorge“, dass die Kanzlerin mit dem ESM einen „noch größeren Fehler“ begehe. Schon die Rettungsaktionen für Griechenland würden Deutschland demnächst milliardenschwere Verluste zufügen.
In seinem Anschreiben bittet der Münsteraner Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum die Kanzlerin eindringlich, die „tiefe Sorge“ der Unterzeichner ernst zu nehmen. Er ist Geschäftsführender Direktor des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung. „Treten Sie in den Dialog mit uns ein, bevor unumkehrbare und verhängnisvolle Entscheidungen im Zusammenhang mit dem ESM und dem Fiskalpakt getroffen werden“, schreibt er.
Zu den Erstunterzeichnern zählt auch Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Aiwanger ist ein erbitterter Gegner der deutschen Euro-Rettungspolitik und sympathisiert etwa mit dem von Hans-Olaf Henkel empfohlenen Nordeuro-System. Weitere Erstunterzeichner sind die Professoren Ronald G. Asch von der Universität Freiburg, Charles B. Blankart von der Humboldt-Universität Berlin, Matthias Erley von der TH Clausthal-Zellerfeld, Carola Groppe von der Universität Hamburg und Volker Grossmann von der University of Fribourg.
In dem eigentlichen Brief an Merkel fordern Sie die Kanzlerin zum Einhalten auf. „Das deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, umfassend über mögliche Alternativen zum ESM und die Beweggründe Ihrer Politik informiert zu werden. Bedauerlicherweise hat keine Fraktion im Deutschen Bundestag dieses Recht eingefordert.“
Das wollen die Kritiker nunmehr selbst tun. Sie verlangen „ausführliche Antworten“ auf zehn Fragen. Bis die Antworten vorlägen, solle die Beschlussfassung über den ESM verschoben werden.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=13lkdkXzPFs&w=560&h=315]Sie fragen erstens danach, wie hoch die finanziellen Verluste der Bundesrepublik Deutschland wären, wenn Griechenland am 1. Juli seine Insolvenz mit einem Schuldenschnitt von 50 oder gar 80 Prozent erklärte. Sie wollen zweitens wissen, ob die Kanzlerin damit rechne, dass die inzwischen aufgelaufenen milliardenschweren Target-II-Kredite irgendwann wieder zurückgeführt würden.
Sie fragen drittens nach wissenschaftlichen Studien, die belegen könnten, ob Deutschland durch den Europa einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren habe. Sie fragen viertens nach Studien, die Vor- und Nachteile eine Rückkehr Deutschlands zur D-Mark abschätzen.
Fünftens wollen die Kritiker über Vor- und Nachteile des vom früheren BDI-Chefs Hans-Olaf Henkel empfohlenen „Nordeuros“ aufgeklärt werden. In ihrer sechsten Frage fordern sie dasselbe für die Einführung von Parallelwährungen in Ländern mit dauerhaft hohen Leistungsbilanzdefiziten.
Sie wollen aber siebtens auch wissen, ob die Folgen einer strikten finanzpolitischen Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten untersucht worden sind. Und sie fragen achtens danach, warum die Bundesregierung an die Wirksamkeit konditionierter Hilfskredite glaubt, obwohl diese Praxis in den lateinamerikanischen Schuldenkrisen erfolglos gewesen sei.
Schließlich erkundigen sie sich neuntens danach, warum im ESM weder der von Angela Merkel ursprünglich immer wieder geforderte Umschuldungsmechanismus noch eine Insolvenzordnung für Staaten vorgesehen sei. Und zehntens: „Weshalb scheitert Europa, wenn das Eurosystems in seiner jetzigen geografischen Zusammensetzung keinen Bestand mehr hat?“
Die Bundeskanzlerin möge anhand dieser Fragen ihren Bürgern gegenüber beantworten, warum ihre Politik alternativlos sei, so die Kritiker. Nach bisheriger Planung soll der Bundestag am 29. Juni den Weg für den ESM freimachen.
Günther Lachmann am 18. Juni 2012