SPD will wieder die Partei der Arbeit sein
Führende Köpfe in der SPD-Fraktion drängen in der Wirtschaftspolitik auf eine Rückbesinnung auf die markwirtschaftlichen Potenziale der deutschen Industrie und des industriellen Mittelstandes. Sie wollen die Finanzindustrie wieder auf ihre Rolle als Dienstleister des industriellen Sektors zurückstufen, der mit „einem starken Mittelstand in Deutschland ein Fundament für „Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze“ bildet. Nur so könne es gelingen, auch in Zukunft Wohlstand und soziale Sicherheit zu erhalten.
Grundlage für diese Aussagen ist ein unter der Leitung der Wirtschaftspolitiker Garrelt Duin und Hubertus Heil erarbeitetes Positionspapier mit dem Titel „Sozialdemokratische Industriepolitik – Impulse für den Standort Deutschland“, dessen Inhalt zentraler Bestandteil des Bundestagswahlkampfes im kommenden Jahr werden soll und das „Welt Online“ vorliegt. Darin schreiben die Autoren: „Gerade auch in der Wirtschafts- und Finanzkrise hast sich gezeigt: Deutschland ist aufgrund seines starken industriellen Kerns gut durch die Krise gekommen.“ Das Papier soll am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt werden.
Entstanden sind die neuen Grundsätze im Rahmen eines „Branchendialogs“, den Duin und Heil im vergangenen Jahr geführt haben. Nach einer Vielzahl intensiver Gespräche mit Unternehmern und Unternehmensvertretern, gewannen sie die Erkenntnis: „Wir müssen die Ziele und Maßstäbe unseres Wirtschaftens neu definieren.“ Schließlich entstand aus den gesammelten Informationen ein Handlungsrahmen für die Wirtschaftspolitik bis zum Jahr 2020.
In der Bundestagsfraktion gab es am Dienstag über die neuen Grundsätze zur Industriepolitik eine lebhafte Aussprache, obwohl die 15 beteiligten Arbeitsgruppen dem Papier zuvor bereits zugestimmt hatten. Nach Informationen von „Welt Online“ wurden die von Duin und Heil formulierten Thesen von der überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten begrüßt. Vor allem Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier soll sich maßgeblich dafür eingesetzt und die Bedeutung wirtschaftspolitischer Kompetenz für die SPD hervorgehoben haben, über die es in dem Papier heißt: „Für die SPD ist dies ein Teil ihres Markenkerns. Sozialdemokratische Industriepolitik ist Politik für einen neuen Fortschritt in Deutschland.“
Nach Ansicht der SPD-Wirtschaftspolitiker muss ein neues Verständnis von Wertschöpfung zwingend einhergehen mit einer grundlegenden Reform der Finanzmärkte. Diese seien zwar eine „wesentliche Voraussetzung für eine leistungsfähige Industrie und zentrale Voraussetzung für Investitionen“. Allerdings müsse die Lehre aus den ungezügelten Spekulationen der vergangenen Jahre lauten: „Kein Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt dürfen unreguliert bleiben.“
Mittelpunkt der SPD-Strategie ist die Arbeit. Diese müsse gerade im Kontext der aktuellen Krise neu bewertet werden: „Hinter dem jüngsten Erfolg der deutschen Industrie stehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ohne ihre Kreativität und ihr Engagement in den Unternehmen und Betrieben wäre ein solcher Erfolg nicht möglich.“ Aus diesem Grund seien die Beschäftigen Dreh- und Angelpunkt „einer zukunftsorientierten Industriepolitik der Sozialdemokratie“. Ihre Kreativität sei die Grundlage für die Dynamik der Wirtschaft und sollte gefördert werden.
Über die Bedeutung der Industrie für die Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe schreiben die Autoren des Papiers: „Die wirtschaftliche Stärke unseres Landes liegt im erfolgreichen Zusammenspiel aus produzierendem Gewerbe und produktionsnahen Dienstleistungen. Industrie und Dienstleistungen sind kein Gegensatz: Der Ausbau moderner Industrien ist stets gekoppelt an nachgelagerte und vor allem hochwertige Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich; umgekehrt wären weite Teile der Dienstleistungswirtschaft ohne eine starke industrielle Produktion in Deutschland jedoch nicht vorhanden.“
Welches Gewicht die Industrie nach wie vor für den Wohlstand in Deutschland hat, belegen einige Zahlen aus dem SPD-Papier. Danach erwirtschaftet die Industrie etwa ein Viertel der gesamten Wertschöpfung. Seit 15 Jahren sei dieser Wert so gut wie unverändert. Rund fünf Millionen Arbeitnehmer verdienen ihr Geld in der Industrie. „Etwa 60 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutschland hängen direkt oder indirekt von der industriellen Produktion ab“, schreiben die Sozialdemokraten. Auf ihr Konto gingen 97 Prozent der Exporte.
Im Einzelnen fordern die SPD-Abgeordneten ein Impulsprogramm für mehr Investitionen in die Industrie. Sie wollen den Fachkräftebedarf der Betriebe sichern, den Missbrauchs von Leiharbeit verhindern und drängen auf eine Reform der Mini-Jobs, die größere Anreize für die Aufnahme einer Arbeit setzt und geringfügig Beschäftigte besser absichert. Sie wollen den ökologischen Wandel gestalten und etwa in Energienetze investieren, die eine Vollversorgung mit dezentral erzeugten erneuerbaren Energien ermöglichen.
Günther Lachmann am 25. Januar 2012 für Welt Online