Portugals Jahr der Entscheidungen

Das Verfassungsgericht entscheidet dieser Tage über weiterer Kürzungen der Renten. Im März steht die Entscheidung über den gesamten Haushalt an. Überlebt die Demokratie?

 

Es gibt mehr und mehr Anzeichen, dass es mit der portugiesischen Wirtschaft bergauf geht, und das auch noch schneller, als die optimistischsten Schätzungen es vorhersagten. Trotzdem wirkt es, als ob die Welt zu Grunde ginge, wenn man sich die Medien ansieht. Auch aus den  politischen Parteien hört man nur  pessimistische Stimmen. Statt eine politische Debatte zu führen, wird nur mit den Finger gezeigt. Die Parteien sind alle zersplittert, nur die Kommunisten nicht. Und die haben keine klare Strategie.

Die politische Elite wartet unruhig auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezüglich weiterer Kürzungen der Renten. Die Entscheidung wird nächste Woche bekanntgegeben, und sie wird eventuell einen kleinen Teil der massiven Ausagebensenkungen  die die Regierung für nächstes Jahr vorbereitet, betreffen. Beobachter vermuten, dass das Verfassungsgericht sich gegen den Plan der Regierung, die Renten von ehemaligen Angestellten des öffentlichen Dienstes zu kürzen, entscheiden wird. Und dies wird wahrscheinlich riesige Auswirkungen auf die Renditen der portugiesischen Anleihen haben.

Alles hängt irgendwie miteinander zusammen: Wenn sich das Gericht gegen weitere Rentenkürzungen entscheidet, muss der Ministerpräsident die Sparmaßnahmen ändern, und das tut er wahrscheinlich, indem er die Steuern erhöht. Das könnte die noch immer sehr fragile wirtschaftliche Erholung stören und das Land zu einen Vorsorgekredit zwingen, oder schlimmer, einen zweiten Bailout. Die Verantwortung der Richter ist durchaus unverhältnismäßig, und der Druck auf sie ist enorm.

Was für ein Chaos

Wenn es nicht so ein politisches Chaos gäbe, könnte sich Portugal in einer ähnlichen Situation wie Irland befinden. Andererseits kann man das Land nicht mit Griechenland vergleichen. Denn die portugiesische Regierung hat alle Anforderungen der Troika erfüllt. Die Öffentlichkeit ist davon überzeugt, dass die Mitte-Rechts Regierung von Pedro Passos Coelho zu schwach in die Verhandlung mit den internationalen Institutionen war. Der Ministerpräsident machte einen großen Fehler: Am Anfang des Programms sagte er, dass er entschlossen ist „jenseits der Troika zu gehen.“ Damit wollte er sagen, dass er an die Reformen glaubte. Nun verfolgt ihn diese Aussage wie in ein Horrorfilm. Er erscheint als starker Unterstützer der Sparmaßnahmen, der nicht einmal in der Lage ist, die extremsten Forderungen der Gläubiger abzulehnen. Ihm wird vorgeworfen, ein begeisterter Anhänger der deutschen Strategie in der Eurokrise zu sein.

Menschen haben ein kurzes Gedächtnis. Das Sparprogramm wurde von der ehemaligen sozialistischen Regierung ausgehandelt. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass es schlecht entwickelt war und auf vielen fehlerhafte Annahmen über das Land beruht. Es ist zu kurz und die Kürzungen der Ausgaben sind zu brutal: Das Sparprogramm beläuft sich auf 25 Milliarden Euro in nur drei Jahren (bei einem BIP von 160 Milliarden Euro). Es geht um Kürzungen von 5 Prozent des BIP pro Jahr bei gleichzeitiger Erhöhung der Steuern. Und die Wirtschaft befindet sich im freien Fall.

Die wichtigsten Reformen betreffen den Arbeitsmarkt, die soziale Sicherheit und den Wohnungsbau. Die größeren Reformen im Staat sind noch immer unvollständig, aber Entscheidungen wurden gefällt und eine richtige Reform in diesem Sektor könnte etwa zehn Jahre andauern. Es ist sehr seltsam zu sehen, wie die Abgesandten der Troika in Lissabon ankommen. Das Programm ist nicht verhandelbar, zumindest nicht, was die Zahlen und die Zeitdauer angehen. Wir sind ziemlich weit weg vom Geiste des Marshall Plans, der es Europa erlaubte, sich vom Krieg zu erholen.

Begrenzte Souveränität

Der zeitlichen Verlauf der Krise bleibt bei uns ohne Konsequenzen. Nächste Woche kommt eine Entscheidung vom Verfassungsgericht, und dann ist Weihnachten. Anfang 2014 versucht Portugal vielleicht die Märkte zu testen und Schulden abzugeben. Wenn das Wasser zu kalt ist, muss sich die Regierung auf ein Kreditprogramm vorbereiten: und das bedeutet, ein weiteres Jahr begrenzter Souveränität.

Die politische Situation wird im März noch komplizierter. Es wird eine Entscheidung vom Gerichtshof bezüglich des Gesamtbudgets geben. Wenn die Richter sich mit einem deutlichen Nein entscheiden, dann wird die Krise unmittelbar sein. In diesem Fall muss  Präsident Cavaco Silva (Mitte-Rechts) vermitteln, der direkt gewählt wurde und erhebliche Macht hat. Bleibt das Budget aber weitgehend unberührt, dann kann sich das Land mit dem nächsten Hindernis befassen. Ein zweiter Bailout ist höchst unwahrscheinlich, und ein sauberes Beenden des Programms (wie Irland) wird schwierig und hängt von dem Erfolg vom Januartest ab. Das wahrscheinlichste Szenario sind Kreditverhandlungen mit der „dvoika“ (Europäische Kommission und Europäische Zentralbank). Wird die sozialistische Partei, die wichtigste Partei der Opposition, zustimmen oder nicht? Das ist eine gute Frage. Der Preis der Sozialisten für eine Unterschrift könnten vorgezogene Wahlen sein.

Wie groß wird die Niederlage sein?

Die Europawahl im Mai kommenden Jahres wird Proteste mit sich bringen, aber die Abfolge der Ereignisse hängt von der Größe der Niederlage der Regierung ab. Eine sehr große Niederlage könnte Panik in der sozialdemokratischen Partei auslösen und Neuahlen auslösen. Natürlich wäre all das nicht einfach. Wahlen und ein reibungsloses Beenden des Programms sind eine unmögliche Kombination. Doch der Pessimismus muss bis Ende Mai wegen der Weltmeisterschaft verflogen sein. Darum werden einen Monat vor den Spielen  alle politischen Manöver vorbei sein.

Die Regierung ist zu schwach, um ihren Fortbestand zu garantieren. Einige haben bereits versucht, die Parteispitzen der wichtigsten Parteien zu verdrängen. Eines ist klar: Demokratie und auferlegte Sparmaßnahmen sind nicht sonderlich kompatibel. Bisher mussten Neuwahlen bis zum Ende der Sparmaßnahmen warten. Sollte es aber eine weiteres Versorgungspaket geben, muss die Demokratie ein weiteres Jahr warten.

Die nächsten Wahlen sind 2015, es wäre also ratsam, den vier Jahreszyklus zu vollenden, gleichwohl werden vorgezogene Wahlen von allen erwartet. Dies ist die 19. verfassungsrechtliche Regierung in der Dritten Republik, die nächstes Jahr 40 Jahre zählen wird. Während dieser Zeit der Demokratie gab es nur Regierungen, die den vier Jahreszyklus vollendenden, und vielleicht ist das die Wurzel der Krise.

Übersetzung: Anne Lachmann

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Über Luis Naves

Luis Naves ist Journalist und Schriftsteller. Er lebt und arbeitet in Lissabon. Kontakt: Webseite | Weitere Artikel

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