Die Rolle der Emotionen in der Ukraine-Politik

Olaf Scholz (SPD) / Ukraine-Politik / / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: fsHH / https://pixabay.com/de/photos/mann-politiker-olaf-scholz-hamburg-2990405/ Olaf Scholz (SPD) / Ukraine-Politik / / Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: fsHH / https://pixabay.com/de/photos/mann-politiker-olaf-scholz-hamburg-2990405/

Auch in der politischen Ukraine-Debatte in Deutschland spielt die Kunst der richtigen Bilder und Worte eine große Rolle. Und die Angst vor einem 3. Weltkrieg.

Politik arbeitet im demokratischen Wettbewerb häufig mit Emotionen, vor allem in Zeiten des Wahlkampfs. Aber im Regierungshandeln darf sie niemals von Emotionen geleitet werden. Gerade in Krisenzeiten muss Vernunft das oberste Prinzip allen politischen Handelns sein.

Wer jedoch in den vergangenen Wochen vor allem Grünen-Spitzenpolitikern genau zugehört hat, dem wird ihre nicht nur in der Wortwahl, sondern auch in der Tonlage zum Ausdruck gekommene Empathie für das Schicksal der Ukraine nicht entgangen sein. Menschlich ist das absolut verständlich. Wer fühlt nicht mit den Menschen in der Ukraine, die mit Heldenmut ihr Land verteidigen?

Doch so wenig sich Journalismus mit einer Sache gemein machen darf, auch nicht mit einer guten (Hanns Joachim Friedrichs), so wenig dürfen Politiker sich von ihren Gefühlen leiten lassen.

Baerbock und Habeck brilliant inszeniert

Wann und wo auch immer Außenministerin Annalena Baerbock dieser Tage zum oder über den Krieg spricht, lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie spielt mit den Empfindungen ihrer Zuhörer, wenn sie bei solchen öffentlichen Auftritten ihre Weiblichkeit und Mütterlichkeit einsetzt. Dabei ähnelt ihr Vorgehen dem des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Doch Baerbocks Rolle ist eine andere als die Selenskyjs.

Letzterer harrt in einem von der russischen Armee überfallenen Land aus. Er muss in seinen Reden der eigenen Bevölkerung Mut und dem Gegner Angst machen. Selenskyj hat gar keine andere Wahl, also mit allen ihm zur Verfügung stehenden rhetorischen Mitteln Beistand für sein Volk einzufordern, dass einen bewundernswerten Widerstand gegen die barbarischen Angriffe russischer Soldaten leistet. Selenskyjs schärfste Waffen in diesem Krieg sind seine Bilder im grünen T-Shirt und seine Sprache. Und der gelernte Schauspieler beherrscht beides, die Bilder und die Sprache wie nur wenige Politiker.

Auch Annalena Baerbock weiß um die Kunst der richtigen Bilder und Worte. Oft genug haben sie und Robert Habeck sich schon als Grünen-Vorsitzende brilliant inszeniert. Ihnen muss niemand beibringen, dass auch und gerade auf dem internationalen Parkett die Rhetorik das wichtigste Handwerkszeug ist. Und eben weil Annalena Baerbock das so genau weiß, spricht sie ja jetzt so, wie sie spricht. Sie ist geradeaus und spätestens seit dem Einmarsch der russischen Armee provozierend einseitig. Ihre Botschaft lautet Beistand für die Ukraine. So wurde sie zum Lautsprecher Selenksys nicht nur in Berlin.

Zweifellos macht sie das gut, aber das ist nun wirklich nicht ihre Aufgabe. Erstens hat die Ukraine mit Dmytro Kuleba einen eigenen Außenminister, zweitens ist die vornehmste Aufgabe einer Außenministerin die hohe Kunst der Diplomatie. Kuleba hat die legitimen Interessen der Ukrainer, Baerbock die der Deutschen und die ihrer europäischen Nachbarn zu vertreten, ohne dabei allzu viel Porzellan zu zerschlagen, – auch nicht im Haus von Aggressoren.

Angst vor einem 3. Weltkrieg

Aufgabe von Diplomaten ist es, im besten Fall militärische Konflikte zu verhindern, und wenn solche Konflikte dennoch ausgebrochen sind, diese möglichst zu verkürzen. Schließlich sollte der Diplomat über den Krieg hinaus denken und agieren. Er sollte schon heute jene Zeit im Blick haben, in der Gespräche über eine neue Ordnung geführt werden müssen. Solche Gespräche sind aber nur dann möglich, wenn heute die entsprechenden diplomatischen Kanäle offengehalten und nicht vollständig zerstört werden.

Aktuell scheint den Grünen daran nicht gelegen zu sein. Wirtschaftsminister Habeck erklärte Deutschland bereits vor Wochen zur Kriegspartei. Als Grund nannte er die Unterstützung der Sanktionen gegen Russland. Damit flankierte er nicht nur die emotionalen Reden Baerbocks, sondern ebnete zugleich den Weg für Debatte um die Lieferungen von schwerem Militärgerät. Wider besseres Wissen ignorierte Habeck alle Warnungen vor der Gefahr eines neuen Weltkrieges. Denn sobald die europäischen Mitglieder der Nato als tatsächliche militärische Kriegsbeteiligte wahrgenommen werden, wird der Ukraine-Konflikt aus dem Ruder laufen.

Anton Hofreiter versteigt sich gar in die These, Kanzler Olaf Scholz verantworte einen 3. Weltkrieg, wenn er keine schweren Waffen in die Ukraine liefere. Wörtlich sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, problematisch sei, „dass wir bei den Waffenlieferungen bremsen und damit die Gefahr droht, dass der Krieg sich länger hinzieht“. So könne es sein, „dass weitere Länder überfallen werden und wir dann am Ende in einen erweiterten de facto dritten Weltkrieg rutschen“. Er kehrt die Argumentation jener Militärs um, die gerade in der Lieferung schweren militärischen Geräts die Eskalation sehen.

Bis vor wenigen Tagen vertrat neben der SPD auch die CDU weitgehend die Linie von Olaf Scholz. Nun jedoch stellen sich die Christdemokraten an die Seite der Grünen und der FDP und drängen den Bundeskanzler zur Lieferung schweren militärischen Gerätes an die Ukraine. Wie der Grüne Hofreiter behauptet behauptet der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadepuhl, Scholz sei „mitverantwortlich für die Wehrlosigkeit der Ukraine“. Der Bundeskanzler müsse „jetzt Farbe bekennen und im wahrsten Sinne des Wortes ,liefern‘“. Wenn Deutschland zögere, entscheidende militärische Hilfe zu leisten, stehe es „mit einem Fuß auf der Seite Putins“.

Nach Ansicht der Union bleibt Deutschland anders als die Vereinigten Staaten und Großbritannien, weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Wadepuhl sagte, die Bundesregierung müsse begreifen, das Deutschland als zentrales Land in Europa angesehen werde und dementsprechende Handlungen erwartet würden. Sollten sich der Kanzler und die Bundesregierung in der Frage der Lieferung schwerer Waffen nicht bewegen, will die Unionsfraktion in der kommenden Woche einen entsprechenden Antrag dazu in den Bundestag einbringen.

Ähnlich äußerten sich der designierte FDP-Generalsekretär Bijan und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, die FDP-Politikerinnen Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Djir-Sarai sagte, die Ukraine brauche nicht nur die volle Unterstützung und Solidarität Deutschlands, sondern auch konkrete Hilfe. „Waffenlieferungen beziehungsweise schwere Waffen sind hier ein notwendiger Weg“, sagte der FDP Politiker. Auch Strack-Zimmermann ist dieser Ansicht.

Das denkbar schrecklichste aller Szenarien

Stärker noch als die Minister Baerbock und Habeck spielen Hofreiter, CDU und FDP mit der Angst der Menschen. Sie zeichnen das denkbar schrecklichste aller Szenarien, das eines dritten Weltkriegs. Möglicherweise haben die vielen Bilder von getöteten Zivilisten, von Geflüchteten und der massiven Zerstörung der Infrastruktur zu diesem Stimmungswandel beigetragen. Vielleicht waren es aber auch die nun anstehenden wichtigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Schließlich lässt sich mit keinem anderen Thema so öffentlichkeitswirksam eine Front zur SPD aufbauen. Denn im Subtext der Kritik an Olaf Scholz schwingt immer die Botschaft mit: Die Sozialdemokraten sind die Russen-Freunde, sie paktieren mit den Bösen.

Letztlich wäre es schäbig, sollten Parteien im Wahlkampf einen europäischen Kriegsschauplatz gegen politische Mitbewerber instrumentalisieren. Verantwortungsvoll wäre es hingegen, offen alle Argumente abzuwägen und Entscheidungen transparent zu gestalten. Vor allem Olaf Scholz müsste dazu beitragen. Leider tut der Kanzler genau das nicht. Obwohl er häufig öffentlich auftritt, sagt er kaum etwas. Scholz erklärt seine Politik zu wenig. Statt selbst zu kommunizieren, lässt er die anderen reden. Und in dieser Zurückhaltung schwächt er sich selbst. Denn Medien mögen diejenigen, die reden, nicht denjenigen, der schweigt.

Scholz hat sich in der Ukraine-Frage ganz offensichtlich dafür entschieden, die mit der Lieferung schwerer militärischer Waffen verbundene Gefahr eines Weltkrieges klug abzuwägen. Er wählt den Weg der Vernunft. Aber wenn er ihn nicht besser kommuniziert, wird es ein einsamer Weg werden.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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Wolfgang Wirth
Wolfgang Wirth
2 Jahre her

Guter Artikel. Man ist als etwas älterer Mensch heute wirklich immer wieder erstaunt, ja entsetzt, wie wenig Gespür jüngere Menschen in unserer Zeit für geopolitische Zusammenhänge und auch für militärische Eskalationsgefahren haben. Da gibt es Nachwuchspolitiker, die ihrer fetten Bezüge wegen zwar nicht als politische Amateure zu bezeichnen sind, sich aber gleichzeitig noch amateurhafter, noch laienhafter als die bewussten Schlafwandler von 1914 verhalten. Fast ist man geneigt, vielen jüngeren Zeitgenossen schlichtweg Dummheit zu unterstellen, wenigstens aber geringen Weitblick. Kann man beispielsweise das Wissen unterstellen, dass Russland die stärkste Nuklearmacht der Welt ist? Was wissen sie eigentlich über Kernwaffen? Was wissen… Read more »

Wolfgang EWirth
Wolfgang EWirth
Reply to  Wolfgang Wirth
2 Jahre her

Der obige Link funktioniert seltsamerweise nicht, daher hier noch einmal:

https://www.newstatesman.com/world/europe/ukraine/2022/04/russia-cannot-afford-to-lose-so-we-need-a-kind-of-a-victory-sergey-karaganov-on-what-putin-wants

Gerolf
Gerolf
2 Jahre her

Die Partei, deren Angehörige in den 80er-Jahren Bundeswehrsoldaten, die in Uniform auftraten mit „Soldaten sind Mörder“ begrüßt haben, weil Pazifisten nun einmal jede Art von Wehrhaftigkeit als das Böse schlechthin ansahen, ist nun zur Partei der neuen Bellizisten mutiert.

Manchmal ist die Geschichte doch sonderbar.

Janus
Janus
2 Jahre her

Man könnte es auch umdrehen. Auch Scholz ist sicher besorgt um die Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Aber er will vor den Lantagswahlen sicher keinen Streit in der SPD, in der Einige ja immer noch Putin als Friedensengel ansehen. Und dabei den Anspruch der Ukraine, ein eigener Staat zu sein, bestreiten.

Skyjumper
Skyjumper
2 Jahre her

Hinsichtlich der Aussagen zur Unangebrachtheit/Unangemessenheit von Emotionen in der Exekutivabteilung eines Staates stimme ich Herrn Lachman zu.

Hinsichtlich seiner Aussagen zu Scholz und mangelnder der Erklärungen steht der Lachmann den Medien wahrscheinlich einfach zu nahe.

Egal was die Medien bevorzugen würden: Gerade in solch aussenpolitisch wirren Situationen ist Reden Silber, und Schweigen Gold.
Denn auch wenn Herr Lachmann sich noch vor der Erkenntnis drückt: Wir befinden uns bereits im 3. Weltkrieg. Er wird nur (noch) nicht so geführt wie man es aus historischen Aufnahmen zum 2. Weltkrieg kennt.

Janus
Janus
Reply to  Skyjumper
2 Jahre her

M.EIch wäre doch eine Unterscheidung angebracht. Unblutige Auseindersetzungen über politische und wirtschaftliche Interessen, auch wenn sie hart geführt werden unterscheiden sich vom Krieg. Sie zerstören weder Leben direkt noch zerstören Sie Infrastruktur. Sie lassen die Chance auf Überwindung oder zumindest Verbesserung der Lage oder der Beziehungen. Ein in Richtung der Gleichsetzung ist auch den Medien geschuldet. Der Kampf der Radfahrer und anderer Interessengruppen, der Umwelt-und Klimaschützer, Krieg der Autofahrer, Arbeitgeber und Arbeitnehmer…. Sprech in einem Land, in dem es nach dem Krieg noch keine wirklich blutigen Auseinandersetzungen gegeben hat. Im Übrigen gab es genug Bilder auch ohne zweiten Weltkrieg. Aus… Read more »

Skyjumper
Skyjumper
Reply to  Janus
2 Jahre her

@Janus, ich verstehe Ihren gedanklichen Ansatz durchaus. Und sicherlich kann/sollte man die unterschiedlichen Ausprägungen von Kriegen differenziert betrachten, buw. bewerten. Allerdings vermag ich Ihre Ausführungen trotzdem nicht so ohne weiteres zu teilen. Glauben Sie wirklich es ist für die betroffenen Menschen ein großer Unterschied ob sie nichts zu essen haben weil es nichts mehr gibt, oder weil sie es sich ab 20. des Monats nicht mehr leisten können aufgrund von Preisen die um 20 bis 30 % im Lebensmittelbereich gestiegen sind? Und glauben Sie wirklich dass nordafrikanische Mütter einen Unterschied machen wenn ihre Kinder in 5-6 Monaten anfangen zu verhungern?… Read more »

Nathan
Nathan
2 Jahre her

Der von den USA und NATO, zur Durchsetzung der amerikanische NWO geplante 3. Weltkrieg läuft doch bereits im Hintergrund. Nur findet er (zum Glück für uns) nicht mehr auf DEUTSCHEM Boden, wie zur Zeit des Kalten Krieges mit dem Eisernen Vorhang quer durch Deutschland, statt, sondern nun quer durch die Ukraine. Wäre zu Zeiten des Kalten Krieges Rücksicht auf Deutschland und die Deutschen genommen worden? NEIN! Das verhaßte Deutschland wäre zerstört worden. Nun wurde die Ukraine und deren Bewohner geopfert, um ohne offiziell erklärten 3. Weltkrieg diesen wirtschaftlich gegen Russland durch Sanktionen, weltweite Erpressung und Isolation zu führen, den militärischen Part… Read more »

Wayne Podolski
Wayne Podolski
Reply to  Nathan
2 Jahre her

Der wahre Hintergrund ? Ich denke dieser hat nichts mit der NATO oder dem Westen zu tun, alles nur Nebelkerzen. Außenministerin Baerbock hat den wahren Grund des Krieges bei ihrem kürzlich stattgefundenen Besuch in Israel erwähnt und das ist die zunehmende Wasserknappheit in Israel. Den Israelis geht das Wasser aus und wenn dank schwerer Waffen auch aus deutschen Beständen der letzte Ukrainer umgekommen oder geflüchtet ist ( die Jüdin Baerbock hat angkündigt 8-10 Millionen Ukrainer, ein Viertel der Bevölkerung, aufnehmen zu wollen !) wäre neuer Lebensraum geschaffen. Selensky hat desbezüglich interessante Äußerungen desbezüglich in der Jerusalem Post gemacht. Auch er… Read more »

Ulrich Bohl
Ulrich Bohl
2 Jahre her

Bei manchen unserer Politiker klingt aus ihrem Sprech schon fast eine gewisse Kriegssehnsucht heraus. Nur wenn es dann ernst wird will es keiner gewesen sein. Die Grünen haben mit ihrer Rhetorik jeden Anspruch auf den Titel für Frieden einzu- treten restlos verloren. Man muß kein Anhänger der SPD sein um das Verhalten von Scholz in der Frage der Lieferung schwerer Waffen zu unterstützen. Schon die Aufnahme der Ukraine in die EU ist ein schwieriges Kapitel denn im Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags ist folgende weitgehend un- bekannte Verpflichtung enthalten. „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats… Read more »

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