Eine zunehmend egoistische und aggressive Gesellschaft

Gesellschaft/ Volk / Quelle: Pixabay, lizenezfrei Bilder, open library: https://pixabay.com/de/menschen-publikum-masse-volk-334110/ Gesellschaft/ Volk / Quelle: Pixabay, lizenezfrei Bilder, open library: https://pixabay.com/de/menschen-publikum-masse-volk-334110/

Selten war das Klima in der deutschen Gesellschaft so schlecht wie heute. Immer mehr Menschen sprechen ihre Meinung nur noch ungern aus. Die Gereiztheit wächst.

Mit Corona ist das gesellschaftliche Klima ist kälter geworden. Es ist geprägt von Egoismus und Aggressivität. So sieht es die Mehrheit der Bevölkerung nach zwei Jahren Pandemie. In einer aktuellen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach diagnostizierten 95 Prozent der Befragten eine veränderte, 78 Prozent eine gravierend veränderte Gesellschaft. «Gerade einmal ein Prozent sieht eine Veränderung zum Positiven, 82 Prozent dagegen zum Negativen», schreibt Prof. Renate Köcher in der FAZ.

Und diese Veränderung beunruhige die Menschen mehr als die Sorge, sich zu infizieren oder Ängste, von den ökonomischen Kollateralschäden der Pandemie betroffen zu werden. Gerade die Sorge vor ökonomischen Folgen stellte sich bei vielen wohl als überzogen heraus. Denn die große Mehrheit der Befragten sei «bemerkenswert gut durch die zweijährige Krise gekommen», schreibt Renate Köcher. Etwa 15 Prozent sorgen sich demnach um ihren Arbeitsplatz, das sind etwa so viele wie vor der Krise.

Gesellschaft mit schwierigem Meinungsklima

Dafür sorgen sich umso mehr Menschen um das Meinungsklima im Land. Viele beschleicht das Gefühl, bestimmte Dinge nicht mehr sagen zu können oder mit bestimmten Ansichten besser hinterm Berg zu halten. Köcher: «So haben 59 Prozent der Bevölkerung, dass man beim Thema Impfen vorsichtig sein muss. Jeden Dritten belastet das Gefühl, heute die eigene Meinung weniger frei äußern zu können.»

Bereits im Juni des vergangenen Jahres kam Allensbach bei Fragen zum Meinungsklima zu besorgniserregenden Ergebnissen. Nur 45 Prozent gaben damals an, sie hätten das Gefühl, ihre Meinung in Deutschland frei äußern zu können. Das war der niedrigste Wert in einer Allensbach-Umfrage seit 1953. Er zeigt an, wie sehr eine Minderheit die Diskursfreiheit der Mehrheit zu ersticken droht. Allensbach fragte damals nach der Haltung der Menschen zur gendergerechten Sprache und zu den Versuchen, Worte aus dem Sprachgebrauch zu verbannen.

Damals schrieb ich: «Auch das Bestreben, Worte wie „Zigeunerschnitzel“, „Negerkuss“ oder „Mohrenkopf“ aus dem Sprachgebrauch zu verbannen, teilen zwei Drittel der Deutschen nicht. So meinten 77 Prozent, es sei kein Problem von einem „Zigeunerschnitzel“ zu sprechen, beim „Mohrenkopf“ meinten dies 68 Prozent. Dennoch werden Straßennahmen geändert, Klassiker der Weltliteratur umgeschrieben.»

Weil all das geschieht, fühlt sich die Mehrheit der Deutschen gegängelt. Allensbach wollte wissen, woher das kommt und fand heraus: «Dies ist nur erklärbar, wenn man die Rolle der Massenmedien in diesem Prozess mit berücksichtigt ohne sie könnte ein solcher öffentlicher Druck gegen die Einstellungen der Mehrheit nicht aufgebaut werden

Panikmache in den Medien

Gerade in der Pandemie ist der Medienkonsum noch einmal gewachsen. Denn zu Beginn der Corona-Krise suchten die Menschen nach so vielen Informationen wie möglich über das Virus und die in ihr Alltagsleben einschneidenden politischen Entscheidungen. Damals wurden die Berichte zur Pandemie als überwiegend sachlich eingeschätzt. Heute «bewerten 46 Prozent die Berichterstattung als Panikmache», so Allensbach, nur 26 Prozent bescheinigen den Medien eine «realitätsnahe Berichterstattung».

Obwohl die Pandemie weiterhin die Berichterstattung der Medien insgesamt dominiert, fühlen sich die Menschen nicht mehr gut informiert. Dafür ist allerdings zunächst einmal die Politik verantwortlich. «73 Prozent der Bevölkerung mach die Unübersichtlichkeit der Situation zu schaffen, nicht zu wissen, wie sich die Pandemie entwickeln wird und damit auch die staatlich verordneten Einschränkungen», schreibt Renate Köcher. 62 Prozent beklagten einen Verlust an Planungssicherheit.

Leben in einer «besonders unsicheren Zeit»

Auch das hat Folgen. Inzwischen hat eine große Mehrheit der Menschen das Gefühl, in einer besonders unsicheren Zeit zu leben. Eine vergleichbare Verunsicherung gab es etwa nach dem Ausbruch der Euro-Krise 2010 oder auf dem Höhepunkt der Migrationskrise 2016. Heute jedoch hat das Maß der Verunsicherung einen Höhepunkt erreicht. Dazu schreibt Renate Köcher: «68 Prozent der Bevölkerung haben den Eindruck, in einer ungewöhnlich unsicheren Zeit zu leben.»

Es wird sich herausstellen, ob der Regierungswechsel in so angespannten Zeiten den Menschen neue Zuversicht geben kann, oder ob die mit großen Ambitionen für allerlei experimentelle Vorhaben angetretene Ampel die Menschen nur noch weiter verunsichert. Derzeit sieht es so aus, als würde die Reizbarkeit noch zunehmen.

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Über Günther Lachmann

Der Publizist Günther Lachmann befasst sich in seinen Beiträgen unter anderem mit dem Wandel des demokratischen Kapitalismus. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter gemeinsam mit Ralf Georg Reuth die Biografie über Angela Merkels Zeit in der DDR: "Das erste Leben der Angela M." Kontakt: Webseite | Twitter | Weitere Artikel

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Nathan
Nathan
2 Jahre her

Egoistische Gesellschaft? Nein! Aber egoistisch unerbittliches diktatorisches System, das nur den „neuen“ Zombie-Menschen zuläßt. Aussehen egal, alles erlaubt, weil es Ausdruck von „Freiheit“ ist, weswegen fast alle sich sooo frei fühlen, angesprochen fühlen und mitmachen. Aber wehe, einer hat eine dem System entgegenstehende Meinung, nennt einige Freiheiten „entartet“ und „anormal“ und erdreistet sich auch noch, dies zu äußern: Der wird sofort mii einem Aufschrei fertiggemacht und verliert sein Recht auf Freiheit. Je globalistischer und entarteter die Zombies sind, um so mehr werden sie kulturell verherrlicht als Bewunderung und Ausdruck, wie „frei“ wir doch GEWORDEN sind! Es wird deutlich, daß wir… Read more »

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