Bürger soll über Grexit abstimmen
Nicht der Bundestag, die Deutschen sollen entscheiden, denn sie zahlen die Rechnung: Am Montag stellt die AfD eine Umfrage über einen Grexit ins Internet.
Im Streit um ein neues Rettungspaket für Griechenland kündigt die AfD eine bundesweite Online-Petition an. „Wir brauchen ein Referendum in Deutschland über den Austritt Griechenlands aus der Eurozone“, sagte die neue Vorsitzende Frauke Petry. „Es ist unerträglich, dass über mehr als 50 Milliarden Euro deutscher Steuergelder in Brüssel und Athen entschieden wird, ohne dass die deutschen Bürger ein wie auch immer geartetes Mitspracherecht haben. Das darf nicht sein.“
Ihr Ko-Vorsitzender Jörg Meuthen sagte, er gehe davon aus, dass der Bundestag in der nächsten Woche zusammenkommen werde, um ein weiteres Rettungspaket zu beschließen. Außerdem werde angesichts der sich dramatisch verschärfenden Lage in Griechenland diesmal wohl auch „humanitäre Akuthilfe vonnöten sein“.
„Wir wollen aber nicht, dass der Bundestag wieder etwas gegen den Willen der Menschen beschließt“, sagte Meuthen. „Das Volk soll entscheiden, schließlich muss es die Rechnung für all diese Hilfspakete zahlen.“ Am Montag soll die Petition im Internet stehen, an der sich alle Bürger beteiligen können.
Frankreichs Kalkül
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Meuthen übernimmt im neuen AfD-Bundestand die Rolle des Wirtschafts- und Finanzexperten, die zuvor der auf dem Essener Parteitag abgewählte Bernd Lucke innehatte. Wie Lucke ist auch Meuthen Professor für Volkswirtschaftslehre. Wie Lucke ist er gegen weitere Griechenlandkredite und plädiert für die Rückkehr des Landes zu einer eigenen Währung. Angesichts der Notlage der griechischen Bevölkerung sei das Scheitern der Politik von Kanzlerin Angela Merkel für jeden offensichtlich geworden.
Die Griechen hätten in ihrer Volksabstimmung deutlich gemacht, dass sie den Euro nicht um jeden Preis behalten wollten. „Die EU-Eliten jedoch scheint das wenig zu kümmern“, sagte Meuthen. Allen voran die französische Regierung wolle Griechenland unbedingt im Euroraum halten. Dabei gehe es ihr aber nicht um das Wohl der Griechen oder um das Wohl des Kontinents insgesamt.
„Frankreich muss aufgrund seiner eigenen anhaltend kritischen Haushaltslage mit höheren Kreditzinsen rechnen, sollte Griechenland aus dem Euro ausscheiden“, sagte der neue AfD-Ko-Vorsitzende. „Nur aus diesem Grund sollen die Griechen jetzt neue Kredite erhalten.“ Aus Sicht der Finanzmärkte wäre nämlich mit dem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro ein Präzedenzfall geschaffen, dass überschuldete Eurostaaten aus der Eurozone ausscheiden müssten.
„Genau das wäre aber das richtige Signal. Wer eine schlechte Bonität hat, muss für Kredite mehr zahlen. Das ist ein Grundprinzip, das Überschuldung im Normalfall vorbeugt. Die Aushebelung dieses Prinzips hat Griechenland erst in die Situation gebracht, in der es heute ist“, sagte Meuthen.
Lucke-Austritt amtlich
Die Regierung in Paris wäre gut beraten, sich die eigene Schwäche einzugestehen. Denn auch Frankreich sei innerhalb des derzeitigen Eurosystems nicht ausreichend konkurrenzfähig. „Die Lösung des Dilemmas könnte eine Aufteilung der bisherigen Eurozone in mindestens zwei Währungsräume mit gegenseitig flexiblen Wechselkursen sein“, schlug Meuthen vor. Deutschland könne dann in einem stabilen Währungsraum, beispielsweise zusammen mit Finnland, Österreich und den Niederlanden seine Leistungsfähigkeit erhalten, ohne damit zugleich andere wirtschaftlich schwächere EU-Staaten „kaputt zu konkurrieren“.
Obwohl die AfD nicht im Bundestag vertreten ist, will sie ihre Forderung nach einem Referendum über den Grexit parlamentarisch beraten lassen. Meuthen glaubt hierzu eine Möglichkeit gefunden zu haben. „Über eine der fünf AfD-Landtagsfraktionen kann man versuchen, den Bundesrat dazu zu bringen, über ein solches Referendum zu debattieren. Denn ich glaube kaum, dass Frau Merkel im Bundestag darüber sprechen möchte“, sagte er.
Während die neue AfD-Führung ihre Arbeit aufnahm, wurde der Austritt des Parteigründers und früheren Vorsitzenden Lucke amtlich. Mitte der Woche hatte er seinen Austritt angekündigt, nun sei er vollzogen, bestätigte Petry. Gemeinsam mit Lucke hätten inzwischen über 2000 und damit etwa zehn Prozent der AfD-Mitglieder ihr Parteibuch zurückgegeben.
„Wir haben von Anfang an damit gerechnet, dass wir 20 Prozent der Mitglieder verlieren könnten“, sagte Petry. „Und es können in den kommenden Tagen durchaus noch etwas mehr werden.“ Gleichwohl sei der Parteitag am vergangenen Wochenende „ein Befreiungsschlag“ gewesen. Er habe die AfD von einem selbstzerstörerischen Machtkampf erlöst. Und durch die nun mit Lucke austretenden Mitglieder werde die Partei bis tief in die kommunalen Gliederungen hinein befriedet.
Aufruf zum Mandatsverzicht
Petry wies erneut darauf hin, dass sich durch die von gehenden Mitglieder nichts am Kurs der Partei ändere. „An den politischen Leitlinien der Partei von 2013 hat sich nichts geändert“, sagte sie. Wichtigstes Thema sei nach wie vor die Kritik an der Euro-Rettungspolitik und nicht, wie vielfach unterstellt werde, die Flüchtlings- und Asylpolitik. Die AfD trete weiterhin für mehr direkte Demokratie ein, für die Förderung von Mittelstand und Familien und möchte die Sozial- und Wirtschaftspolitik wieder in Einklang bringen.
Lediglich in der Frage, wie sich die Europäische Union entwickeln solle, habe der neue Vorstand etwas andere Vorstellungen als die alte Parteiführung. Da sei die AfD näher bei der britischen Regierung als bei der Bundesregierung. „Wir sind entschieden gegen eine weitere Harmonisierung innerhalb der EU und möchten uns hinsichtlich einer Reform der EU stärker mit den Briten vernetzen“, sagte die neue AfD-Vorsitzende.
Nach dem nunmehr endgültigen Bruch mit Lucke forderte sie einen Mandatsverzicht all derjenigen, die die Partei mit ihm verlassen hätten. Sie gehe allerdings nicht davon aus, dass Lucke „und diejenigen, die ihm folgen, die Größe besitzen, ihre mit der AfD errungenen Mandate zurückzugeben“.
Auch AfD-Vize Alexander Gauland forderte alle ehemaligen AfD-Mitglieder, die im Europa- oder in einem Landesparlament sitzen, zum Mandatsverzicht auf. „Das verlangen die Regeln des politischen Anstandes“, sagte Gauland. „Selbstverständlich“ gelte dies auch für Lucke und Henkel. Gauland sagte, Luckes Austritt sei konsequent, wenn auch bedauerlich. „Lucke war der Gründer der AfD. Doch in den vergangen Monaten hat er alles falsch gemacht. Er tut mir leid“, sagte Gauland.
Luckes Partei-Pläne
Lucke ruft inzwischen im Internet dazu auf, die „AfD des Jahres 2013“ noch einmal neu zu gründen. Unterstützt wird er dabei von den Europaabgeordneten Henkel, Joachim Starbatty, Bernd Kölmel und Ulrike Trebesius. Bereits im Mai hatten sie auch in Vorbereitung eines solchen Schrittes den „Weckruf“-Verein als eine Art Partei innerhalb der AfD ins Leben gerufen. Als Satzung war die der AfD übernommen worden.
In den vergangenen Tagen hatte Lucke die „Weckruf“-Mitglieder befragt, ob sie für eine Parteineugründung seien. Obwohl weniger als die Hälfte der „Weckruf“-Unterstützer sich für einen Neuanfang aussprachen – genau waren es 1948 von über 4000 –, werben Lucke und seine Mitstreiter aus dem Europaparlament nun offensiv für einen solchen.
An der vom Ex-Parteichef initiierten Umfrage unter den Weckrufern hatten rund 2600 Mitglieder teilgenommen. 58 Prozent von ihnen antworteten ihm, sie hätten die AfD bereits verlassen oder hätten die Absicht, dies zu tun. Weitere knapp 25 Prozent der Weckruf-Mitglieder wollten der Umfrage zufolge ihren Verbleib in der AfD von Lucke abhängig machen.
Entgegen ursprünglichen Erwartungen soll die neue Partei nun doch nicht „Weckruf 2015“ heißen, sondern „Neustart 2015″. In der AfD wird bereits über den „NS 2015“ gefrotzelt und gefragt, was denn die Neonazis wohl dazu sagen werden.